Grüne Soße, Tote Hose (XXL Leseprobe). Carola van Daxx

Grüne Soße, Tote Hose (XXL Leseprobe) - Carola van Daxx


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ist sie, Deine Tochter Janina! Wir gehören doch zu Dir!!!“ Wie mit Pattex klebten seine Füße am Boden fest, seine Beine konnte er keinen Millimeter mehr bewegen. Er kam einfach nicht von der Stelle, hatte keine Kraft mehr. Panische Angst überfiel ihn, dann warf Sophie ihm auch noch die Kleine entgegen, und natürlich konnte er nicht anders, als das Kind aufzufangen. Der Sabber lief an seinem karierten Malerhemd herunter, das Geschrei wurde unerträglich und sein Kopf drohte zu zerplatzen. Der fürchterliche Lärm kam näher und näher, aber es war kein Kindergeschrei mehr, doch irgendjemand rief seinen Namen. Von ganz weit her hörte er es rufen:

      „Jaaaaaaaaan!!! Du alte Schlafmütze, jetzt steh‘ endlich auf, Du sollst Dich doch schon längst um Basti kümmern, ich muss jetzt weg, Mädelstreffen, Vollversammlung, ich hab’s Dir zigmal gesagt. Aber der Herr hört ja nix – dabei ist doch nur ein Ohr verbrannt, aber egal. Das bereden wir ein anderes Mal. Jetzt komm endlich runter! Auf, auf!!!“, hallte es in sein gesundes Ohr. Das verbrannte Ohr hatte sich nach dem Blitzschlag nie mehr so recht erholt – es war fast taub. Und sah, ganz nebenbei bemerkt, recht unappetitlich aus, um es klar beim Namen zu nennen.

      Er schaute sich um und realisierte nach und nach, dass er wohl nur geträumt hatte. Zum Glück! Ein Alptraum zwar, aber immerhin. Es war nur ein Traum gewesen – vom Heiligabend 2015, als er – mit den Nerven völlig am Ende – Trost in der „Alten Linde“ gesucht hatte. Immer und immer wieder träumte er von diesem Abend und war gottfroh, dass er in Wirklichkeit kein sabberndes Baby auf dem Arm hielt und keine Sophie von Rohdenfeld ihn stalkte. Das war schon einmal von Vorteil! Boris Becker würde sagen: Advantage Johannsen…

      Dann fiel es ihm wieder ein: Der alte Spruch von Linas Oma, der guten alten „Omma Hermine“ die immer gesagt hat: „Packvolk schlägt sich, Packvolk verträgt sich!“ Will sagen, kurz nach dem legendären Heiligabend, als die Sache mit Lina sich wieder einmal von auf Off auf On gewendet hatte, stand Theodor von Rohdenfeld, der Gatte der holden Sophie, in Schotten auf der Matte. Nachdem er sie erst mit Schimpf und Schande aus seinem Jagdschloss im Hohen Vogelsberg gejagt hatte. Seine Parteifreunde bestanden jedoch auf geordneten Verhältnissen. Schließlich war die intakte, deutsche Familie oberstes Parteiprinzip – da musste jeglicher Skandal aus der Öffentlichkeit herausgehalten werden. Immerhin war er ein Schwergewicht in der neu gegründeten Partei „Nordisch Deutsch Konservativ“, die in Rekordzeit einen rasanten Aufstieg hingelegt hatte.

      Doch kaum, dass sie sich bei ihm eingenistet hatten, waren Sophie und Klein-Janina auch schon wieder abgedampft. Eine Ehe ist eben auch nur ein Geschäft, wie so vieles im Leben. So kam es Jan manchmal vor. Es gab nur noch „Deals“, so wie bei Donald Trump, aber der machte halt richtig große Geschäfte. Und die Ehe war irgendwie doch auch ein Geschäft – oder warum blieb Melania nach all seinen Eskapaden noch immer bei ihm? Ehen wie diese gab es überall, auch in Mecklenburg-Vorpommern, wo die Rohdenfelds ihren Stammsitz hatten.

      Wahrscheinlich waren sie inzwischen wieder auf ihr jahrhundertealtes Hofgut zurückgekehrt und hatten alles, was auf dem Vulkan passiert war, einfach ausgeblendet. So, als wäre nichts gewesen. Menschen können so etwas. Kurzer Neustart – und man lebt einfach weiter wie vorher. Kein Ton mehr, weder von Theo, noch von ihr selbst zu dem, was vorgefallen war.

      Jan hatte zum Glück nie mehr etwas von Sophie gehört. Aber manchmal fragte er sich schon, ob Janina vielleicht wirklich seine Tochter war. Doch wann immer der Gedanke in ihm aufkam, verdrängte er ihn so schnell es ging. Und seit er im Wartezimmer eine dieser kitschigen Homestorys der Familie von Rohdenfeld auf ihrem mecklenburgischen Hofgut Gustavsburg gelesen hatte und die Rede von einer deutschen Bilderbuchfamilie war, machte er sich immer weniger Gedanken um seinen Ausrutscher mit der äußerlich so schönen Sophie. Wie gesagt: Oma Hermines Sprüche haben noch immer die Wahrheit gesagt. Packvolk schlägt sich, Packvolk verträgt sich… Nur dass in diesem Fall das Packvolk einen Adelstitel trug.

      Ein durchdringender Schrei ließ Jan hochschrecken, das war Wachwerden auf Holzhammerart pur:

      „Jan Jooooo-hannsen! Du faule Socke vor dem Herrn, jetzt mach‘ mal hinne, ich muss gleich weg!“ Das Ende von Linas Geduldsfaden war wohl erreicht, der Ton entschieden verschärft. Nach und nach fiel es ihm wieder ein, wo er überhaupt war. Manchmal kam er durcheinander, das Pendeln zwischen zwei Wohnungen barg Verwirrung. Offensichtlich befand er sich aber in Linas Schlafzimmer im beschaulichen Bad Salzhausen und nicht in seinem Schottener Fachwerkhaus. Sein Sohn Bastian wartete vermutlich schon sehnsüchtig auf seinen „Babba“ – zum Entsetzen des hanseatischen Vaters sprach das Kind nämlich schon jetzt schlimmstes Oberhessisch – und Lina war ganz aus dem Häuschen, was Jan in wenigen Momenten schon wörtlich nehmen durfte: Sturmfreie Bude für die beiden Männer!

      Der Grund: Das langersehnte Treffen der „Flaggenmädels“, einer Truppe von vier Frauen in den besten Jahren – oder besser gesagt, einer Selbsthilfegruppe von Damen mit Wechseljahrshintergrund. Auf alle Fälle handelte es sich um ein Ereignis, das man nicht unterschätzen sollte. Die „Vollversammlung“ bestand aus Lina Siebenborn, ihres Zeichens Kaffeehausbesitzerin, Susi Lustig, rasende Reporterin, Marie-Anne Bender, ehemalige Friseuse, mittlerweile im Ruhestand auf Fuerteventura, und Ines Gerlach, Assistentin aus Frankfurt, die Linas Job bei der HansaFra „geerbt“ hatte. Diese eingeschworenen Vier hatten es schon immer faustdick hinter den gepflegten Öhrchen, und heute war nach langer Zeit ein Wiedersehen geplant.

      Jan Johannsen war alles recht, Hauptsache, diese Sophie, sein unrühmliches Verhältnis aus vergangenen Tagen, machte keinen Stress mehr – und tauchte möglichst auch nicht mehr in seinen Alpträumen auf. Püh! Doch nun musste er sich wirklich sputen und sein warmes Bettchen verlassen. Er war wirklich mehr als erleichtert, dass der Horror, aus dem er gerade aufgewacht war, doch nur ein Traum gewesen ist. Alles andere wäre auch ein Fall für steile Klippen...

      „Ja, ich komme gleich!“, rief er so laut er konnte. Ein herrlicher Kaffeeduft wehte ihm direkt in die Nase. Ein echtes Argument fürs Aufstehen, fand Jan. Es gab wahrlich Schlimmeres im Leben als über einem Café zu nächtigen und den Tag mit einem Hauch von Wiener Kaffeehaus zu beginnen – das musste er wohl zugeben. Und dieser eine Tag ohne seine geliebte Lina würde auch vergehen, er war ja schließlich kein Teenie mehr – auch wenn er sich manchmal noch immer so benahm. Im Grunde genommen freute er sich sogar darauf, ein bisschen Zeit mit Bastian, dem süßen blonden Fratz, der ihm wirklich ähnlichsah, verbringen zu können. Zumindest am Vormittag, denn dann musste er zu einem Termin nach Frankfurt und die „Perlen“, allen voran die liebreizende Amelie und die noch nettere Anette, die immerzu wie fleißige Bienchen in Haushalt und Café zugange waren, würden „Nanny“ spielen, bis er wieder zurück war. Sicher würde Bastian das gefallen, einmal wieder ohne die Übermutter zu sein, zu der sich Lina im Laufe der Zeit entwickelt hatte. Wenn Jan sie ärgern wollte, brauchte er nur den Zeigefinger rotieren zu lassen. Das war das Stichwort zum Abheben für Lina: Hubschrauber-Mutti! Und schon ging Lina in die Luft wie ein HB-Frauchen aus der Werbung der Siebziger. Na, wer wird denn gleich in die Luft gehen??? Greif‘ lieber zu HB. So der alte Reklamespruch. Aber der Slogan wirkte immer noch, besonders beim Vergleich mit den Helikopter-Müttern. Manche dieser neumodischen Wortschöpfungen hatten doch ihren Sinn, fand Jan. Und grinste in sich hinein. Dabei war er in Wirklichkeit derjenige, der übervorsichtig und überängstlich reagierte, bei allem, was seinen Stammhalter betraf. Nur, wer denkt schon gerne über seine eigenen Marotten nach? Er am wenigsten. Dann hörte er Lina schon wieder rufen, diesmal in weitaus schärferem Ton.

      „Ich zähle jetzt genau bis drei, dann setzt’s was, Jan Johannsen!“, tönte es von unten aus dem Flur. Mit einem Satz sprang er aus dem Bett. Der frühe Vogel hatte gewonnen, so ein Mist! Er musste es ehrlich zugeben: Für Bastian hatte Vater Jan so manche schlechte Angewohnheit sausen lassen. So auch durchzechte Nächte und lange Vormittage im Bett. Am Ende würde er noch seriös werden, befürchtete der charismatische Maler, der Künstlertyp mit Hang zur Hypochondrie. Was er natürlich vehement bestreiten würde. Oder besser gesagt. Er würde in die Luft gehen wie ein HB-Männchen, wenn auch nur eine Person ihm dieses böse H-Wort an den Kopf werfen sollte. Er und ein Hypochonder!!! Das wäre ja noch schöner… Hypochonder, das war ja noch schlimmer als Hubschrauber-Mutti.

      Gerade mal Mitte Januar, Anno Domini 2018, und Deutschland war nahezu lahmgelegt.


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