Wolfsblut. Jack London

Wolfsblut - Jack London


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während die roten Zungen heraushingen und die Rippen in den mageren Körpern bei jeder Bewegung zu sehen waren. Sie waren wirklich nur noch Haut und Knochen und die Muskeln zu Bindfäden zusammengeschrumpft, so daß Heinrich sich im Stillen wunderte, wie sie noch auf den Beinen bleiben konnten, und sich fragte, ob sie nicht jeden Augenblick im Schnee zusammenbrechen würden.

      Er wagte es nicht, bis zum Dunkelwerden zu wandern. Um Mittag erwärmte die Sonne nicht nur den südlichen Horizont, sondern sie zeigte sogar einen blassen, goldenen Streifen am Himmel. Er nahm dies als Zeichen, daß die Tage nun wieder länger würden und die Sonne wiederkehre. Allein kaum war ihr freundlicher Schein verschwunden, als er schon das Lager aufschlug. Es blieben ihm noch mehrere Stunden matten Tageslichtes und grauer Dämmerung, allein er benutzte dieselben, um einen großen Vorrat Brennholz zu schlagen.

      Mit der Nacht kehrten die Schrecken wieder. Nicht nur wurden die hungrigen Wolfe dreister, sondern Heinrich litt auch unter der Schlaflosigkeit. Er entschlummerte unwillkürlich, wie er mit den Decken um die Schultern, dem Beil zwischen den Knien und die Hunde zu beiden Seiten neben dem Feuer hockte. Er erwachte einmal und erblickte vor sich, nicht zwölf Schritte entfernt, einen großen grauen Wolf, einen der größten des Rudels. Als er ihn erblickte, reckte sich das Tier bedächtig wie ein Hund und gähnte ihm ins Gesicht, indem er ihn mit einem Ausdruck anschaute, als sei er nur eine hinausgeschobene Mahlzeit, die bald verzehrt werden würde, und diese Sicherheit zeigte auch das ganze Rudel. Er zählte noch zwanzig Wölfe, die ihn alle hungrig anstarrten oder ruhig im Schnee liefen. Sie erinnerten ihn an Kinder, die um einen gedeckten Tisch herumstehen und nur auf die Erlaubnis zum Essen warten. Und er selber war diese Mahlzeit! Er wunderte sich nur, wie und wann dieselbe beginnen würde.

      Wie er so Holz auf das Feuer warf, kam es ihm in den Sinn, daß er seinen Körper noch nie zuvor so bewundert hätte. Er betrachtete das Spiel der Muskeln, er bewunderte die sinnreiche Mechanik der Finger. Beim Schein des Feuers krümmte er dieselben langsam und wiederholt; bald jeden einzeln, bald alle zusammen spreizte er sie aus und machte damit schnelle Bewegungen des Greifens. Er besah genau die Nägel, betastete bald derb, bald sanft die Fingerspitzen, um das Gefühl in den Nerven zu prüfen. Das alles entzückte ihn, und er fing auf einmal an, diesen zu künstlich bereiteten Leib liebzugewinnen, der so schön, so glatt, so fein arbeitend ihm gehorchte. Dann warf er einen scheuen Blick auf die Wölfe, die erwartungsvoll im Kreise um ihn herumstanden, und mit einem Schlage fuhr es ihm durch den Sinn, daß dieser wunderbare Leib, dies lebendige Fleisch nichts weiter sei als eine von den hungrigen Tieren heißbegehrte Speise, die sie gierig mit den Zähnen zerfleischen würden, geradeso wie ein Elch, ein Kaninchen auch nur Speise für ihn gewesen wäre.

      Einmal fuhr er aus dem Schlummer, der nur einem bösen Traume glich, empor und sah die rötliche Wölfin vor sich. Sie saß nur ein halb Dutzend Schritte von ihm entfernt im Schnee und blickte ihn unverwandt an. Die beiden Hunde ihm zu Füßen winselten und knurrten, aber sie kümmerte sich darum nicht. Sie blickte nur den Mann an, und auch er starrte sie eine Weile an. Es lag keine Drohung in ihrem Blick. Sie schaute ihn nur gleichsam sinnend an, aber er wußte, daß dieser Ausdruck nur eine Folge großen Hungers wäre. Er war Speise, und sein Anblick erzeugte in ihr die Begier des Appetits. Ihr Mund öffnete sich, der Speichel floß heraus und sie leckte sich das Maul im angenehmen Gefühl der Vorfreude.

      Eine wilde Angst durchzuckte ihn. Er streckte die Hand nach einem brennenden Holzscheit aus, um es nach ihr zu werfen. Allein ehe seine Finger das Wurfgeschoß erfaßt hatten, sprang sie schnell zurück, und er wußte, daß sie es gewohnt gewesen war, mit Feuerbränden geworfen zu werden. Sie hatte beim Wegspringen geknurrt und dabei all ihre weißen Zähne bis zur Wurzel entblößt. Der sinnende Ausdruck war verschwunden und eine boshafte Gier an seine Stelle getreten, die ihm Schauder einflößte. Er blickte auf seine Hand, die noch das brennende Holzscheit hielt, und bemerkte, wie sich die Finger so zart und fein um die ungleiche Oberfläche legten, wie sie sich um das rauhe Holz krümmten, und wie der kleine, der dem brennenden Teil des Holzes zu nahe kam, feinfühlig von selber vor der sengenden Glut zurückfuhr und einen kühleren Platz aufsuchte, und im nämlichen Augenblick schaute der Mann wie in einem Gesichte, wie diese feinfühligen, zartbesaiteten Finger von den weißen Zähnen der Wölfin zermalmt wurden. Nein! nie zuvor hatte er seinen Leib so lieb gehabt als nun, da er denselben vielleicht nicht mehr lang sein eigen nennen würde.

      Die ganze Nacht scheuchte er das hungrige Rudel mit Feuerbränden zurück. Wenn er unwillkürlich einschlummerte, so weckte ihn das Gewinsel und Geknurr der Hunde. Der Morgen kam, aber zum erstenmal verscheuchte das Licht des Tages die Wölfe nicht mehr. Der Mann wartete vergebens, daß sie sich zurückziehen sollten. Sie blieben im Kreise um ihn und um das Feuer und zeigten eine freche Sicherheit, die seinen durch das Morgenlicht erzeugten Mut erschütterte.

      Er machte einen verzweifelten Versuch, sich auf den Weg zu machen, allein in dem Augenblick, als er den Schutz des Feuers verließ, sprang der kühnste Wolf auf ihn los, doch zu kurz. Der Mann rettete sich dadurch, daß er zurückwich, aber kaum sechs Zoll von seiner Hüfte klappten die Zähne des Tieres zusammen. Das übrige Rudel drang auf ihn ein, und nur durch Feuerbrände, die er rechts und links um sich warf, trieb er die Wölfe in eine respektvolle Entfernung zurück.

      Selbst am hellen Tage wagte er es nicht, das Feuer zu verlassen, um Holz zu hauen. Etwa zwanzig Fuß entfernt erhob sich eine ungeheure vertrocknete Tanne. Er verbrachte die Hälfte des Tages damit, das Lagerfeuer nach dem Baume hinzuziehen, wobei er stets ein halbes Dutzend brennender Reisigbündel bereit hielt, um sie auf die Feinde zu schleudern. Als er den Baum erreicht hatte, studierte er den Wald in der Umgegend, um den Baum in der Richtung zu fällen, wo es das meiste Brennholz gab.

      Die Nacht verlief wie die vorige, nur daß das Bedürfnis nach Schlaf überwältigend wurde. Das Knurren der Hunde verlor seine Wirksamkeit, denn sie knurrten jetzt fortwährend, und seine schlaftrunkenen, halb erstarrten Sinne nahmen es nicht mehr wahr, wenn der Ton lauter und dringender wurde. Einmal schreckte er empor; die Wölfin war kaum einen Meter von ihm entfernt. Mechanisch ergriff er einen Feuerbrand und schleuderte ihn ihr in den offenen Rachen. Sie sprang zurück und heulte gellend vor Schmerz, und während er über den Gestank des versengten Haares und Fleisches frohlockte, sah er, wie sie zornig knurrend mit dem Kopfe hin und her schlenkerte.

      Darauf band er sich, bevor er wieder einschlummerte, einen brennenden Fichtenast an die rechte Hand. Nur auf wenige Augenblicke schloß er die Augen, dann erweckte ihn der Schmerz der Flamme an dem eigenen Fleische. An diesem Plane hielt er mehrere Stunden lang fest, und alles ging gut, bis er den Ast einmal nicht fest genug angebunden hatte. Als diesmal seine Augen sich geschlossen hatten, fiel ihm der Ast aus der Hand.

      Er träumte, daß er in Fort Mc. Gurry wäre. Es war warm und gemütlich dort, und er spielte mit dem Agenten Karten. Dabei schien es ihm, als sei das Fort von Wölfen umzingelt. Sie heulten vor dem Tor, und manchmal hielt er oder der Agent im Spiel inne, um zu lauschen und über ihre fruchtlosen Versuche einzudringen, zu lachen. Plötzlich gab es einen Krach. Die Tür wurde seltsamerweise erbrochen, und er konnte sehen, wie die Wölfe in das große Wohnzimmer des Forts eindrangen. Der Lärm und das Geheul war fürchterlich geworden, und dieses Geheul störte ihn jetzt. Der Traum verwandelte sich, aber das Geheul blieb.

      Plötzlich erwachte er vollständig und fand, daß der Lärm Wirklichkeit sei. Mit furchtbarem Geheul und Gekläff stürzten die Wölfe über ihn her. Die Zähne des einen hatten sich über seinem Arm geschlossen, und als er instinktiv ins Feuer sprang, fühlte er, wie die Zähne eines andern ihm ins Bein drangen. Und nun begann ein Kampf mit den Waffen des Feuers. Eine Zeitlang schützten die dicken Pelzhandschuhe ihm die Hände, und so warf er nach allen Richtungen glühende Kohlen in die Luft, bis das Lagerfeuer einem Vulkan glich.

      Doch konnte das nicht lange dauern. Die Hitze versengte ihm das Gesicht, die Augenbrauen und Wimpern waren ihm verbrannt und an den Füßen wurde die Glut unerträglich. Mit einem brennenden Ast in der Hand sprang er aus dem Feuer heraus, doch die Wölfe hatte er zurückgetrieben. Überall, wohin die glühenden Kohlen gefallen waren, zischte es im Schnee, und von Zeit zu Zeit verkündete ein knurrendes Gebrumm und ein wilder Satz, daß ein fliehender Wolf auf eine glühende Kohle getreten war.

      Nachdem der Mann noch ein paar feurige Brände den letzten Feinden nachgeschickt hatte,


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