PUNKTUM.. Wolfgang Priedl
Spitäler und erkundigen uns, ob jemand mit dem Namen deiner Mutter eingeliefert wurde. Sollten wir nicht erfolgreich sein, dann ist das bereits eine gute Nachricht. – Was hältst du davon?«
Anna nickt zögerlich. »Super Idee, aber willst du zwanzig – oder mehr – Krankenhäuser anrufen?«
»Nein. Hör zu: Erstens haben wir in der Redaktion keinen Hinweis auf einen schweren Unfall. Das ist schon einmal positiv. Und was die Liste der Spitäler angeht, da habe ich eine Idee: Ich habe diese Woche mehrmals den Holzinger Peter – von der Kripo – sekkiert, habe ihn wiederholt nach einer Story gefragt. Er hatte zwar nie etwas für mich, aber ich glaube, wir funken auf derselben Wellenlänge. Waren immer sehr amüsante Gespräche. Ein Wort gab das andere. Er hat mir angeboten, dass ich mich jederzeit bei ihm melden darf, wenn der Schuh drückt. Und jetzt drückt er. Mit etwas Glück ist er noch in Amt und Würden. Soll ich ihn für dich anrufen?«
Anna nickt wieder. Hoffnung keimt auf, während Claudia in ihrem Mobiltelefon nach der Nummer sucht.
»Es läutet … «
»Tomacic.«
»Grüß Gott, Claudia Bigler spricht. Ich möchte bitte mit Herrn Dr. Peter Holzinger sprechen … «
»… Tut mir leid, Oberkommissar Holzinger ist vor zehn Minuten ins Weekend entflohen. Kann ich Ihnen weiter helfen?«
Claudia zögert kurz. »Äh, nein danke. Wäre privat gewesen. Danke jedenfalls. Wünsche Ihnen ein schönes Wochenende.«
»Wünsche ich Ihnen auch. Auf Wiederhören.«
Kaum hat sie ihr Telefon zur Seite gelegt, wird ihr bewusst, wie gerne sie mit dem Kommissar gesprochen, sie diese sonore Stimme vernommen hätte. »Soll ich es auf seiner Privatnummer probieren?«, Sie kreist mit dem Finger über dem Display.
»Ja, warum nicht? – Oh, ich verstehe, du willst nicht nur wegen mir mit ihm sprechen … «
»Anna, soweit sind wir … äh … bin ich noch lange nicht«, antwortet Claudia mit gespielter Entrüstung. Indigniert schüttelt sie ihren Kopf und tippt auf die Privatnummer. »Ruhe jetzt, es bimmelt.«
Eine tiefe Bassstimme meldet sich: »Holzinger«.
»Äh, grüß Gott. Bigler spricht. Claudia Bigler vom … «
»… vom Kurier. – Habe Sie sofort an der Stimme erkannt. Was kann ich gegen Sie tun?«, scherzt Peter.
»Herr Holzinger, Sie können sich vorstellen, dass ich Sie nicht grundlos am Wochenende störe. Aber ich sitze hier mit meiner Freundin. Und die hat ein Problem. Ihre Mutter wird vermisst … «
»Seit wann?«
»Na ja, eigentlich erst seit heute. Ist eine lange Geschichte. – Normalerweise meldet sie sich jeden Tag. Aber gestern kam nur ein SMS, dass sie sich später melden würde. Doch sie hat sich nicht gemeldet … «
Nach einer kurzen Pause fragt Holzinger: »Und wie kann ich Ihnen bei der Sache helfen?«
»Na ja, wir dachten, sie könnten überprüfen, ob es einen Unfall gegeben hat. Hier im Umkreis. Bei Ihnen gehen ja alle Meldungen zentral ein. Wenn Sie nachschauen könnten, ersparen Sie uns, eine Menge von Krankenhäusern anzurufen.«
»Ich bin leider nicht mehr im Büro. Von zuhause aus habe ich keinen Zugriff auf das System. – Sie sagen, Sie haben versucht, Sie telefonisch zu erreichen?«
»Ja … «
»Seit gestern? Das ist eine sehr kurze Zeitspanne. Haben Sie es in ihrer Wohnung nachgesehen?«
»Nein … «
»… ich würde Ihnen raten, zuerst in ihrer Wohnung nachsehen. Vielleicht ist sie dort, oder es gibt konkrete Hinweise.«
»Daran haben wir noch gar nicht gedacht, weil wir von einer Mitarbeiterin erfahren haben, dass sie möglicherweise einen Freund besuchen wollte. … «
»Warum rufen sie nicht ihren Freund an? Vielleicht ist sie tatsächlich bei ihm.«
»Nächstes Problem: Wir kennen seinen Namen nicht. – Geschweige denn, wo er wohnt.«
»Andere Freunde?«
Claudia drückt auf das Lautsprechericon, damit Anna mithören kann.
»Nein. Fehlanzeige. Meine Freundin sagt, ihre Mutter habe keine Freunde. Zumindest kennt sie keine. Die einzige nähere Bekannte, von der sie weiß, ist eine Arbeitskollegin und von der wissen wir, dass sie sich den heutigen Tag freigenommen hat, um einen Freund zu besuchen.«
»Wenn ich Sie beruhigen darf: Vermisste Personen tauchen in der Regel nach spätestens 72 Stunden wieder auf. Checken Sie zunächst die Wohnung. Und ich kann Ihnen Folgendes anbieten: Sollte ich noch jemanden in meinem Büro erreichen, der autorisiert ist, sich in unser System einzuloggen, dann werde ich ihn um Überprüfung bitten. Ist das ein Angebot?«
›Was für eine Stimme‹, schwirrt es Claudia durch den Kopf. »Äh … «, stammelt sie. »Großartig. – Das wäre super, wenn Sie das für mich machen könnten.«
»Ich rufe zurück, sobald ich etwas erfahren habe. Erwarten Sie sich aber nicht zu viel. Ich kann nichts versprechen. Sie sind unter dieser Nummer erreichbar?«
»Ja, das ganze Wochenende. Ist meine Privatnummer. – Jederzeit«, entfuhr es verwundert Claudia. Sie unterbricht die Verbindung und starrt auf das Display. Was hatte sie gesagt? Das ganze Wochenende und Privatnummer und jederzeit?
»Woher hast du seine private Telefonnummer?«, setzt Anna erstaunt nach.
»Äh … Von einem seiner Mitarbeiter – als ich ihn diese Woche nicht erreichen konnte. Er hat gemeint, er sei in der Mittagspause. Wenn es dringend ist, wäre er auf seinem privaten Handy erreichbar. Er hat mir die Nummer gegeben.«
»Und du hast sie sofort gespeichert … Egal, wir sollen jetzt einfach warten … «
»… hast ihn ja gehört.«
»Wie lange wird das dauern? … «, fragt Anna und trommelt mit den Fingern am leeren Weinglas.
»Beruhige dich. Eines nach dem anderen. Zunächst gönnen wir uns einen Prosecco, warten auf Peters Rückruf und anschließend beratschlagen wir unsere next steps. OK?«
»Gute Idee. Wir warten auf Peters Rückruf und betrinken uns zwischenzeitlich«, neckt Anna.
Claudia schlägt ihrer Freundin mit flacher Hand auf den Oberschenkel. »Ich hole uns den ›Sprudel‹.«
Sie steht auf und wackelt mit ihren Beinen, damit die eng anliegende Hose ihres dunkelgrauen, längs gestreiften Businessanzuges wieder nach unten rutscht. Anna sieht ihrer schlanken hochgewachsenen Freundin hinterher. Die hohen Absätze ließen sie noch größer erscheinen. Sie kommt aber nicht dahinter, warum sie heute verändert aussieht. Den Hosenanzug kennt sie, die Pumps auch.
Schwungvoll kehrt Claudia mit den Proseccogläsern zurück, setzt sie auf dem Tisch ab und stellt sich breitbeinig vor ihre Freundin. Anna mustert sie von Kopf bis Fuß.
»Weil wir vorhin von veränderter Umgebung gesprochen haben: Fällt dir nichts auf?«, fragt Claudia und hält ihre Hände unter ihren Haaransatz.
»Natürlich, – jetzt wo du mich mit der Nase darauf stößt: Du hast eine neue Frisur … «
Claudia dreht sich mit abgespreizten Armen um die eigene Achse.
»… Du siehst fantastisch aus. Der Pony passt zu den rotblonden Haaren. Steht dir hervorragend. Spießt sich auch nicht mit deinem Businessoutfit. Sehr stimmig. Sag, wie groß bist du eigentlich?«
»Einen Meter fünfundsiebzig«, antwortet Claudia.
»Fünf Zentimeter größer als ich … «
Claudias Telefon klingelt. Sie wirft einen Blick auf das Display, während sie Platz nimmt. »Peter«, haucht sie aufgeregt zu Anna und berührt das Hörersymbol. »Bigler«,