Raban und Röiven Eine magische Freundschaft. Norbert Wibben

Raban und Röiven Eine magische Freundschaft - Norbert Wibben


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wir noch etwas retten wollen!«, lenkt der Kolkrabe unerwartet aber drängend ein.

      »Was? Wir müssen zu einer Rettungsaktion aufbrechen? Da solltest du mich aber erst besser informieren, worum es überhaupt geht!«

      »Dazu ist keine Zeit. Wir müssen sofort aufbrechen. Jetzt!« Der schwarze Vogel berührt den verdutzten Jungen mit seinem linken Flügel.

      »Portaro!«

      Raban hört die knarzende Stimme. Das Zimmer beginnt sich zu drehen. Es flimmert kurz.

      Als das Gleißen aufhört, steht er im Freien, auf einem Bergrücken. Der Kolkrabe läuft schimpfend auf einem schmalen Pfad hangabwärts:

      »Elender, blöder, nichtsnutziger Verband. Völlig ungeeignet zum Zaubern. Wir sollten eigentlich direkt bei Minerva angekommen sein.« Der schwarze Vogel blickt sich kurz nach dem Jungen um, der noch immer dort steht, wo sie angekommen sind. »Nun schau dich kurz etwas um. Aber beeile dich und folge mir schnell nach!«, hört er Röivens Stimme.

      Was der Junge sieht, verschlägt ihm den Atem. Er befindet sich auf einem beeindruckenden Bergrücken. Die langen Abhänge hinter ihm leuchten hell im Mondlicht. Auf der vor ihm liegenden Seite liegen dagegen graue Schatten. So weit er den Weg vor und hinter sich sowie das umgebende Land überblicken kann, ist nirgends ein Haus oder eine Ansiedlung zu sehen. Der sich vor ihm abwärts windende Weg verläuft in Richtung eines Moorgebietes, auf dem nur schwach vereinzelte Büsche zu erkennen sind. Ein leichter Dunst liegt auf dem Gebiet. Über die gesamte Weite ist kein Ton zu hören oder die geringste Bewegung zu erkennen. Lediglich der schwarze Vogel schreitet auf dem Weg vor ihm abwärts.

      »Wie sind wir hierher gekommen und wohin willst du so schnell?« Der Junge holt den Vogel kurz darauf ein, um sich ihm in den Weg zu stellen. »Du gibst mir jetzt sofort eine Erklärung für das alles.«

      Nach einer kurzen Pause fordert er: »Und wenn du schon zaubern kannst, besorge mir doch meine Hose, Shirt und Schuhe. In meinem Schlafzeug ist es reichlich kalt. Außerdem möchte ich nicht derart gekleidet umherwandern!« Herausfordernd blickt Raban in Röivens Augen.

      »Ist ja gut. Ich versuch es mit deinen Sachen.«

      Der Junge hört ein kurzes, unverständliches Gemurmel, dann ist er normal gekleidet, so wie er gestern unterwegs war.

      »Danke, das ging ja mal schnell. Aber jetzt solltest du meine Fragen beantworten und mir sagen, worum es geht. Und bitte, fang vorne an.«

      Lächelnd nimmt er den Vogel auf seine Arme und folgt dem Pfad in der bisherigen Richtung.

      »Wir sind mit dem magischen Sprung hierher gekommen. Wenn sich ein Zauberer einen ihm bekannten Ort vorstellt und »Portaro« spricht, verlässt er den bisherigen Ort und befindet sich sofort an dem aus seinen Gedanken.«

      »Das Reisen mittels magischem Sprung kenne ich aus einem Buch. Dass das tatsächlich funktioniert, hätte ich nicht gedacht«, staunt der Junge verblüfft. »Aber warum sind wir hier auf diesem unwirtlichen Berghang?«

      Röiven klingt bei der folgenden Erläuterung etwas verlegen:

      »Ich sagte dir bereits, dass ich mit dem festgebundenen Flügel vielleicht nicht so gut zaubern kann. Es ist zwar auf unserem Weg hierher nichts passiert …« Die nächsten Laute klingen, als könnten es Schimpfworte sein, formen sich aber zu keinen sinnvollen Worten in Rabans Kopf:

      »… aber wir sind zu weit oberhalb des Ziels angekommen. Wir müssen eine Höhle am Fuß dieses Berges erreichen, bevor der Mond untergegangen sein wird.« Der Rabe klappert erneut mit seinen Augendeckeln, wobei er seinen Kopf etwas schräg hält.

      »Was weißt du über Elfen?«, beginnt der Kolkrabe seinen Bericht danach unerwartet mit einer Frage, worauf Raban sofort stehen bleibt. »Halt, ähem, ich meine natürlich: nicht anhalten. Die Zeit drängt. Während ich dir die geforderten Informationen gebe, musst du so schnell wie möglich weitergehen.«

      Der Junge setzt sich sofort wieder in Bewegung. Auch wenn der Vollmond sein Licht ungehindert zur Erde schicken kann, gibt es auf dieser Seite des Berghangs mehr Schatten als Licht. In der unsicheren Beleuchtung bewegt sich der Junge so schnell wie möglich, was aber nicht so einfach ist. Er muss sehr oft um größere Steine herum ausweichen oder sich vorsichtig auf losem Geröll abwärts vortasten. Mit dem Vogel auf den Armen ist es nicht so einfach, das Gleichgewicht zu behalten. Raban möchte unbedingt vermeiden hinzufallen, wodurch sie aber relativ langsam den Hang hinunterkommen. Manchmal meint er, ein Aufseufzen des Kolkraben zu hören, so, als ob dieser wegen des gemächlichen Tempos fast verzweifelt.

      »Könnte ich doch nur fliegen!«, stöhnt dieser einmal, als der Junge abermals vorsichtig die Beschaffenheit des Bodens prüft, bevor es weiter geht.

      »Also, was kannst du mir über Elfen sagen?«, wiederholt Röiven seine Frage.

      »Das sind menschenähnliche Wesen aus Märchen und Geschichten, die gegenüber Menschen oft unnahbar und stolz sind. Sie besitzen manchmal Zauberkräfte und wohnen an geheimen Orten.«

      »Für einen Menschen ist dein Wissen gar nicht so schlecht, obwohl es lückenhaft und ein Teil deiner Antwort nicht richtig ist. Elfen gibt es wirklich, nicht nur in Märchen!«

      Raban atmet ungläubig ein, wird aber vom Vogel an einer Äußerung gehindert, indem er schnell fortfährt.

      »Ja, ja, es gibt sie. Früher lebten sie überall in unserem Land, doch heute halten sie sich meistens versteckt. Ihr größtes zusammenhängendes Gebiet befindet sich in einem geheimen Wald im Norden. Dort lebt ihre Anführerin Solveig mit vielen von ihnen in ihrer Festung Serengard.«

      »Aber kann das sein?«, unterbricht ihn der Junge. »Diese Elfe lebt in dem von dir genannten Schloss im geheimen Wald, aber nur in einer Geschichte. Ich habe das vor einiger Zeit in einem Buch gelesen. Wie hieß es doch gleich? Richtig: »Eila – Die Leuchtende«.«

      »Oh. Du kennst die Geschichte?«, will der Vogel erstaunt wissen. »Nicht viele haben das Buch bisher gelesen, wie ich gehört habe.«

      »Ich kenne es.«

      »Gut, dann brauche ich dir ja zu Elfen nichts mehr zu erläutern.«

      »Aber das ist doch nur eine Geschichte, ein erdachter Roman!«

      »Nein. Das ist eine wahre Geschichte, verpackt in einen Roman.«

      »Dann gibt es die darin beschriebenen Personen, also: Eila, Finley, Rose Hlin, Sorcha und Knuth wirklich?« Raban ist erstaunt stehengeblieben.

      »Bitte weiterlaufen, die Zeit drängt. Gut so. – Ja, diese Personen hat es tatsächlich gegeben, vor etwas mehr als 100 Jahren, auch die bösen und die guten Zauberer.«

      »Aber, wie kannst du das wissen? Kolkraben werden nicht so alt und die Bücher wirst du sicher nicht gelesen haben.«

      Raban will noch immer nicht glauben, was er gerade gehört hat.

      »Auch wenn wir relativ alt werden können, wenn man nicht gerade von schießwütigen Menschen angegriffen wird«, fügt der schwarze Vogel grollend hinzu, »hatte ich damals noch nicht mein Nest oder die schützende Eierschale verlassen. Meine Großmutter hat mir erzählt, was wirklich passierte. Sie lebt heute im geheimen Wald. Großmutter hat das von Solveig erfahren, als das Buch von einem Verwandten Eilas geschrieben wurde. Der Autor und Solveig haben damals in regem Austausch miteinander gestanden.« Röiven schweigt kurze Zeit, genauso wie Raban, der das Gehörte erst verarbeiten muss.

      Nach einem kurzen, rollenden Räuspern fährt der Kolkrabe fort:

      »Somit kennst du die wichtigsten Fakten aus den Büchern.«

      »Woher weiß ich aber, ob vielleicht etwas dazu gedichtet wurde und was wahr ist?«

      »Das


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