Alsuna Jasmin - Sonnenblume. Bridget Sabeth
den Frauenarzt hatte!
Natascha klappte eine Schranktür nach der anderen auf. Statt zu frühstücken, suchte sie ein Schmerzmittel. Endlich stieß sie auf einen Korb mit Medikamentenschachteln, die Petra gehörten. Paracetamol, las sie. Geht das eigentlich für Schwangere?
Natascha nestelte den Beipackzettel hervor. »Falls erforderlich, können die Tabletten in strenger Abwägung des Nutzen-Risiko-Verhältnisses während der Schwangerschaft eingenommen werden.«
Das klang für Natascha nicht allzu besorgniserregend. Sie wollte keinesfalls krankfeiern, da heute im Hotel ein Hochzeitsfest mit hundertfünfzig Gästen anstand. Jede Kraft war gefragt, und ein Fernbleiben würde ihre Arbeitskollegen und vor allem den Chef verärgern. Im Großen und Ganzen unterschieden sich die Arbeiten nicht von ihrer vorherigen Stelle. Doch ihre Tätigkeit wurde besser bezahlt und dazu hatte sie mehr Möglichkeiten, ihren Liebsten zu treffen, da sie näher an der jugoslawischen Grenze untergebracht war. Janusz und sie waren noch nicht lange ein Paar, ein knappes Vierteljahr. Einige Wochen nach ihrem achtzehnten Geburtstag hatten sie sich beim Schwimmen am Teich kennengelernt. Inzwischen schmiedeten sie Zukunftspläne, träumten von einem Haus mit Garten und vielen Kindern. Wie Janusz wohl reagiert, wenn er erfährt, dass ich schwanger bin? Bestimmt rührend und liebevoll! Natascha wurde gleich ein Stück wärmer in der Brust. Entschlossen steckte sie sich das Schmerzmittel in den Mund, spülte es mit einem Glas Wasser hinunter. Vorsichtshalber schob sie die restliche Packung in ihre Handtasche.
Es gab nur ein Problem: Ihre Eltern! Begeistert würden Herr Papa und Frau Mama nicht sein, sondern sie hörte schon jetzt ihre dummen Vorurteile! Ein Jugoslawe? Ausländer können sich nicht an unsere Gepflogenheiten anpassen! Sind grob und ungebildet! Was weißt du mit achtzehn Jahren von der Liebe?
Natascha fröstelte es. Die Eltern hatten keine Ahnung davon, wie lieb Janusz zu ihr war. So zärtlich und aufmerksam! Seine funkelnden lebenslustigen Augen schauten bis in ihr Innerstes. Und wenn er sprach, mit seiner tiefen Stimme gepaart mit dem leicht fremdländischen Akzent, hätte sie ihm ewig zuhören können. Zum ersten Mal in ihrem Leben fühlte sie sich geliebt, nicht so wie daheim, wo ein hartes Regime herrschte, es kein nettes Wort gab. An eine liebevolle Umarmung der Eltern konnte sie sich nicht erinnern! Das oberste Ziel lag darin, Leistung zu erbringen, keine Schwäche einzugestehen. Besonders nachdrücklich machte das ihr Vater, der den Bruder Willi und sie mit einem Lederriemen verdrosch, wenn sie eine schlechtere Note als einen Dreier heimbrachten. Mutter schaute dabei stets weg! So wollte Natascha niemals werden!
Sie legte ihre Hand an den Unterbauch! Dich, mein Schatz, werde ich lieben! Immer! Bald habe ich eine neue Familie, kann die alte endgültig hinter mir lassen! Ich gehe nie mehr nach Zuhause zurück! Dieser Gedanke gefiel ihr. Sie musste es bloß schaffen, dass die Eltern mit der Verbindung einverstanden waren. Gewiss würden sie einer Hochzeit zustimmen, auch wenn sie noch nicht volljährig war und bevor das Kind unehelich aufwachsen müsste. Dann wäre sie befreit von der Last ihrer Eltern!
Ein flüchtiges Lächeln huschte über Nataschas Lippen. Sie stand unter Janusz’ Zauber, seit sie sich das erste Mal geliebt hatten, mitten im kühlen Wasser des Sees. Über ihnen hatte das Sternenzelt in der lauen Sommernacht geglitzert. Gut sah er mit seinem athletischen Körper obendrein aus!
So, beeil dich! Träumen kannst du später genug!, tadelte sich Natascha stumm und zog sich eine Jacke über. Sie fror trotz der ansprechenden herbstlichen Temperaturen, die jetzt, Ende Oktober, noch einmal herrliche Plusgrade aufboten. Gähnend kam ihre Zimmerkollegin Petra, die erst am Nachmittag in das Hotel musste, aus dem angrenzenden Raum. Sie machte aufgrund ihrer Schwangerschaft nur kurze Dienste und keine Nachtschichten mehr.
Petra stoppte. »Guten Morgen, heute bist du aber spät dran. Und du siehst ein bisschen blass aus.«
»Hab verschlafen. Dafür bist du aber früh auf. Zufall oder hast du vor der Arbeit noch etwas vor?« Natascha umschiffte bewusst das Thema ihres eigenen Befindens, obwohl ihr Kopf dröhnte und sie sich kränklich fühlte.
Petra langte lächelnd an ihren Bauch. »Ich treffe mich mit Joschi. Wir sind zu einem späten Frühstück verabredet. So eine Fernbeziehung ist schon komisch. Aber in wenigen Monaten wohne ich wieder fix im Haus meiner Mutter, und das ist groß genug, da kann er gleich miteinziehen.«
Natascha stierte auf das Bäuchlein ihrer Kollegin, das kaum erkennen ließ, welch süßes Geheimnis sich darin verbarg. Sie unterband den Impuls, sich ebenso über ihren zu streicheln. »Viel Spaß euch. Vielleicht können wir ja mal zu viert etwas unternehmen. Nun muss ich aber wirklich los.« Natascha fand Petra nett, und spürte, dass sich daraus eine richtige Freundschaft entwickeln konnte.
»Ja, sehr gerne. Bis später. Und nicht zu viel Stress!« Petra zwinkerte ihr zum Abschied zu.
Natascha beeilte sich. Ihr Gehweg ins Hotel dauerte knapp fünf Minuten. Dabei wurde ihr wärmer und das Zittern ließ nach. Außer Atem trat sie in die Großküche ein, die mit vielen Edelstahlflächen ausgestattet war. Der monströse Herd mit mehreren Kochplatten stand mittig. Angrenzend gab es Arbeitsflächen, an denen meist der Küchenchef persönlich hantierte.
»Ja, wird’s bald, du wirst nicht bezahlt, um dir Extra-Freiminuten zu gönnen!«, wurde sie forsch vom Chef angeschnauzt. Er hatte die Augen zu schmalen Schlitzen zusammengekniffen und fuchtelte mit einem überdimensionalen Messer, mit dem er dabei war, das Fleisch in passende Stücke aufzuschneiden. Die anderen Mitarbeiter sahen kaum auf, sondern werkelten an ihren zugedachten Plätzen.
Natascha biss sich auf die Unterlippe. Das war der Nachteil des neuen Jobs, der raue Ton! Und dieser Kerl, der sie an einen wütenden Pitbull erinnerte. Aber bald musste sie ohnehin nicht mehr hier arbeiten! Dann hatte sie ein Kind mit ihrem Traummann! Janusz! Ihr Herz machte einen Sprung, als sie an sein blondes Haar und die seeblauen Augen dachte. Sie war bis über beide Ohren verliebt. Erst letztes Wochenende waren sie über die Grenze nach Slowenien gefahren, wo er mitten in einem Sonnenblumenfeld ein romantisches Picknick für sie arrangiert hatte. Die Stunden waren viel zu schnell verflogen!
»Was ist, zwei linke Hände, oder weißt du nicht mehr, wie man sich die Schürze bindet?«, brummte der Chef mit hochrotem Kopf.
»Entschuldigung!« Natascha band schnell die losen Enden der Schürze in ihrem Rückenbereich zusammen. Vor ihr wartete ein riesiger Berg Kartoffeln, der geschält werden musste. Sie griff nach der ersten Knolle. Die Arbeit ging ihr langsamer als für gewöhnlich von der Hand. Ihr wurde heißer. Auf ihrer Stirn bildete sich ein feuchter Film, und der Schweiß sickerte beständig in die Kleidung. Ihre Hände wurden schweißnass, sodass das Abwischen an der Schürze nicht lange nutzte. Ihr Mund fühlte sich sonderbar trocken an, während die Kopfschmerzen kaum mehr spürbar waren, dafür breitete sich ein dumpfer Schmerz in ihrem Unterbauch aus.
Als sich der Chef wegdrehte, holte sich Natascha rasch ein Glas Wasser, aber auch das half ihrem Kreislauf kaum. Ihr wurde zusehends schwindliger, während sich der Berg Kartoffeln vor ihr nur unmerklich verkleinerte. Da entwischte ihr eine Knolle, schlitterte den Boden entlang.
»Entschuldigung!« Natascha hastete ihr nach, um sie von den Fliesen aufzuheben.
»Verdammt noch einmal! Reiß dich zusammen!«, ertönte es ungehalten vom Chef.
Natascha richtete sich zu rasch auf, ihr Kreislauf rebellierte und sie sank mit tanzenden grauen Punkten hinab auf den kühlen Boden.
»Geht es dir nicht gut?« Eine Kollegin trat näher, fühlte ihre Stirn. »Du glühst ja. Warum sagst du denn nichts? Werner, sie ist krank!«
Der Chef stieß einen Fluch aus. »Dann schau, dass du zum Arzt kommst! Krankes Personal kann ich nicht gebrauchen! Abmarsch!«
Die Kollegin reichte Natascha die Hand, half ihr hoch. »Du hast es gehört, leg dich ins Bett. Oder besser noch, geh zu einem Arzt. Soll dich jemand begleiten?«
»So weit kommt’s noch!«, mischte sich der Küchenchef ein. »Heute benötige ich jede Hand!«
»Danke Sandra. Nein – es ist nicht weit bis zu meiner Unterkunft.« Natascha legte die Schürze ab und war froh, den zornigen Blicken des Chefs zu entkommen.