Alsuna Jasmin - Sonnenblume. Bridget Sabeth
der Hand über meinem herum, brachte das Wort für gespalten nicht heraus.
»Es tut mir leid. Als Tatwerkzeug konnten wir eine Axt sicherstellen. Zumindest das vordere Eisenteil, der Holzstiel ist verbrannt.«
»Ich bin zu spät gekommen.« Ich wischte mir über die Tränen schwimmenden Augen.
Lichter räusperte sich. »Ohne Sie, wäre Ihre Mutter im Haus verbrannt und wir hätten womöglich noch weniger Indizien. Dann wäre der Mord als Unfall durchgegangen und zu den Akten gelegt worden. So haben wir die Chance, den wahren Täter auszuforschen, und ich denke, das ist auch in Ihrem Sinn. Ich weiß nicht, ob es ein Trost für Sie sein kann, aber Ihre Mutter musste wenigstens nicht lange leiden.«
Das hoffe ich. »Haben Sie eine Spur?«
Lichter kratzte sich am Kinn. »Wenig, keine Fingerabdrücke. Leider haben Feuer und Wasser vieles vernichtet. Gab es einen besonderen Grund, wieso das Haus mit Kameras gesichert wurde? Auf dem Aufzeichnungsgerät konnten wir nichts mehr Brauchbares finden.«
»Mama war diesbezüglich etwas eigen und immer sehr vorsichtig. Sie versperrte stets alles gewissenhaft, solange ich mich zurückerinnern kann. Auch Kameras gab es lange Zeit, bevor ich in die Pubertät kam und sie achtete akribisch darauf, dass sie funktionierten. Ich kann mich aber an kein besonderes Ereignis erinnern, weshalb das so war, falls Sie das meinen.«
»Kam Ihnen das nie sonderbar vor?«
»Jetzt, im Nachhinein schon. Aber um ehrlich zu sein, ich bin damit aufgewachsen, da gewöhnt man sich daran.«
»Verstehe. Leider haben auch die Nachbarn nichts Außergewöhnliches bemerkt. Am späten Nachmittag war noch, wie üblich, Willibald Winzer zu Besuch.«
Ich nickte. »Er ist mein Onkel. Mama hat ihn immer verköstigt, da er lieber sein Geld in Alkohol investiert. Ich hab ihn noch gar nicht gesprochen, er besitzt kein Telefon und unser Verhältnis ist nicht besonders eng. Mama hat sich hingegen für ihn verantwortlich gefühlt. Bestimmt ist er ebenso geschockt wie ich.«
»Bei unserer ersten Einvernahme war er kaum der deutschen Sprache mächtig, hat unzusammenhängend vor sich hin gelallt.«
Ich seufzte. »Das kommt häufig vor.«
»Hatte Ihre Mutter Feinde? Haben Sie eine Idee, wer dahinterstecken könnte?«
»Nicht das ich wüsste. Sie lebt … lebte sehr zurückgezogen. Und bei ihrer Arbeit in der Bücherei ist … war sie meist allein. Freunde und Freundinnen hatte sie nie wirklich, eigentlich gab es nur mich. Und Willi.«
»Das deckt sich mit den Aussagen Ihrer Nachbarn. Dennoch werden wir alles genau überprüfen. Die Spurensicherung untersucht gerade all die Sachen, die so halbwegs verschont geblieben sind. Sobald die Beweisaufnahme abgeschlossen ist, werden wir Sie informieren. Zudem sind wir dabei, Bankdaten und etwaige Telefongespräche zu überprüfen. Was hat Ihre Mutter genau bei ihrem Anruf gesagt?«
Ich blickte auf meine Hände, bemerkte erst jetzt, dass ich sie rastlos knetete, und zwang mich, in diesem Tun innezuhalten. »Er ist wieder da. Will … will mich umbringen. Dann … dann brach die Verbindung ab. Irgendwie klingt das, als ob sie denjenigen gekannt hätte, oder?«
»Stimmt, obwohl ich lieber keine voreiligen Schlüsse ziehen möchte. In einer Notsituation kann man Wörter nicht auf die Waagschale legen. Ist Ihnen, von Ihrer Seite aus, irgendetwas Ungewöhnliches aufgefallen?«
»Sie meinen, ob ich … mich jemand?« Daran hatte ich noch gar keinen Gedanken verschwendet! »Nein, nichts dergleichen.«
»Als nächste Verwandte müssen wir natürlich auch dieses Risiko im Auge behalten. Da wir das Motiv des Täters nicht kennen, halte ich es für ratsam, wenn Sie in nächster Zeit besonders gut Achtgeben und aufmerksam bleiben. Womöglich können Sie nach dem Krankenhausaufenthalt die erste Zeit bei Freunden unterschlüpfen.«
Ich schluckte.
»So, nun will ich nicht länger Ihre Zeit strapazieren. Falls Ihnen noch etwas einfallen sollte, rufen Sie umgehend die Polizei an oder melden sich direkt bei mir.« Lichter schob mir eine Karte mit seinem Namen und einer Telefonnummer zu. »Ich bin jederzeit für Sie erreichbar. Oder, bei Ihnen vor Ort, können Sie sich an Gruppeninspektor Berger wenden, der über sämtliche Schritte von mir informiert wird und uns bei der Ermittlungsarbeit unterstützt.«
»Danke, bitte halten Sie mich ebenso auf dem Laufenden.« Mit zittrigen Fingern griff ich nach der Visitenkarte, die ich später in meiner Handyhülle verstauen wollte.
»Das will ich gerne tun. Übrigens, sobald Sie sich fit genug fühlen, können Sie ein Beerdigungsinstitut beauftragen. Die Untersuchungen an Ihrer Mutter sind offiziell abgeschlossen.«
Ein heiseres Schluchzen brach aus meiner Kehle. »Gut zu wissen.«
»Wir haben zudem ein Kriseninterventionsteam, das möchte ich Ihnen ans Herz legen und könnte Sie in dieser schwierigen Situation unterstützen.«
»Ich hatte bereits ein kurzes Gespräch mit der Psychologin des Krankenhauses. Weitere habe ich abgelehnt. Wenn, dann rede ich mit meiner Freundin.«
»Falls Sie es sich anders überlegen, sind wir jederzeit für Sie da. Ich wünsche Ihnen viel Kraft und mein aufrichtiges Beileid.«
»Bitte, finden Sie den Mörder.«
»Wir geben unser Bestes, das verspreche ich Ihnen.«
Der Beamte ließ mich im Raum zurück. Verzweifelt verbarg ich mein Gesicht in den Händen, schluchzte, weil ich sehr wohl herausgehört hatte, dass die Polizei im Dunklen tappte und nicht ansatzweise wusste, in welche Richtung sie ermitteln sollten. Die gesamte Hoffnung lag in irgendeinem Zufallsfund im Inventar. Von dem es wohl nicht mehr sonderlich viel gab.
Mara marschierte schnurstracks durch den engen Flur des Mehrparteihauses, in dem Willi wohnte. Die untere Eingangstür war unverschlossen gewesen, sodass sie nicht einmal Läuten musste. Als enge Freundin von Suni fühlte sie sich in gewisser Weise für jeden aus der Familie mitverantwortlich und hatte beschlossen, nach Willi zu sehen.
Mara erreichte den dritten und zugleich obersten Stock, klopfte an Willis Tür, neben der sich in Kartons leere Dosen und Flaschen in einem wüsten Durcheinander stapelten. Ein Namensschild suchte man vergeblich, und dort, wo die Klingel sein sollte, ragte bloß ein Stromkabel heraus. Wann war sie das letzte und einzige Mal hier gewesen? Irgendwann als Suni und sie gemeinsam die Fachschule besucht hatten, da waren sie etwa sechzehn Jahre alt. Willi war damals krank gewesen, weshalb Suni für ihn Essensbotin spielte. Dass die Freundin keinesfalls alleine hingehen wollte, verstand Mara sofort. Sie kannte Willi flüchtig von den Besuchen bei Suni, bei denen er hin und wieder auftauchte. Verlodert und meist etwas angetrunken umgab ihn eher eine abstoßende Aura, die sich in seiner winzigen Dachgeschosswohnung fortsetzte.
In Mara kroch schaudernd das damalige Entsetzen hoch, als sie an Willi dachte, der ihnen mit fiebrigen Augen und fettigem Haar torkelnd geöffnet hatte. Er war mit einer schlabbrigen Unterhose bekleidet gewesen, die drohte, an seinem schlaksigen Körper hinunterzurutschen.
Mara stöhnte und unterband den Impuls, umzukehren und ihr Vorhaben abzubrechen. Sie pochte erneut, lauter und wappnete sich darauf, dass es nach wie vor fürchterlich in der Wohnung aussehen musste. An sich war es gut, dass Willi als Letzter oben im Gebäude wohnte, so brauchte von den unten lebenden Parteien niemand an seiner Müllhalde vorbei. Doch vermutlich hatte der eine oder andere Bewohner ihn bereits verflucht, wenn er laut polternd im Vollrausch hinaufmusste.
Ihr Mann Paul hatte ihr erzählt, dass einmal sogar die Feuerwehr ausgerückt war, um ihn in seine Wohnung zu hieven. Willi war besoffen zwischen dem ersten und zweiten Stock liegengeblieben. Er war so hinüber, dass er nicht einmal realisiert hatte, dass er sich im Treppenbereich befand. Doch zum Öffnen des Reißverschlusses der Hose hatte es gereicht, und zur Begrüßung urinierte er alles voll, war ohne Scham seinem Drang nachgegangen. Wie ein Tier, dass dem Instinkt folgte.
Mara rümpfte die Nase, als ob noch immer eine Mischung aus Pisse und kaltem Rauch durch