Flammender Schnee. Thomas Manderley

Flammender Schnee - Thomas Manderley


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      ‚Geh’ einfach!’ Anna sah nach unten und begann damit, ein paar Gläser abzuspülen. Ich wollte keinen Streit anzetteln. Anna hatte ja schon genug Ärger am Hals. Also bin ich rauf, hab’ meine Sachen geschnappt, bin die Treppe wieder runter und wollte geradewegs zur Tür raus, ohne ein weiteres Wort zu verlieren, aber Anna hielt mich auf. Sie gab mir einen Beutel mit ein paar belegten Broten und einer Flasche Wasser. Mehr konnte sie wohl auf die Schnelle hin nicht machen. Ich nahm den Beutel und wir sahen uns für ein paar Sekunden tief in die Augen. Ich sage Ihnen: Dieser Moment war magisch. Ihr Blick hat mich regelrecht aus der Zeit katapultiert. Ich schwöre Ihnen, dass ich nicht mehr wusste, wo ich war. Ich hatte alles um mich herum ausgeblendet. Ich sah nur noch das Funkeln in ihren Augen. Aber ich wusste, ich musste gehen. Also drehte ich mich einfach um und ging hinaus in die Kälte.“

      „Mann, da hat es Sie ja ganz schön erwischt. Aber war der Moment für Anna denn genauso magisch?“

      „Ich denke schon. Wir haben nie mehr über diesen Nachmittag gesprochen, aber so, wie sich das Ganze entwickelt hat, gehe ich mal schwer davon aus.“

      „Gut. Aber wo sind Sie dann hingegangen?“ Der Inspektor runzelt die Stirn.

      „Ich hatte größere Teile meiner Notausrüstung retten können: Ein kleines Zelt und Gott sei Dank einen kleinen Gasbrenner. Die habe ich immer dabei, wenn ich in die Berge fahre. Man weiß ja nie! Meinen Schlafsack hatte ich so wie so schon mitgenommen, noch bevor die meinen Wagen angezündet haben.“

      „Mutmaßlich!“

      „Ach kommen Sie, Herr Inspektor, von allein wird der Wagen kein Feuer gefangen haben, oder?“

      Der Inspektor schweigt, sieht nicht einmal von seinem Notizblock auf.

      „Ich bin dann zum nah gelegenen Wald gelaufen und hab da an einer recht versteckten Stelle im Unterholz mein Lager aufgeschlagen. Das Wetter wurde zwar schon wieder deutlich schlechter, aber das war mir egal. Hier ging etwas Seltsames vor sich und natürlich hab’ ich auch eine gute Story hinter dem Ganzen vermutet.“

      „Und da haben Sie freiwillig bei minus zehn, minus fünfzehn Grad im Wald übernachtet?“

      „Na ja, als Reporter nimmt man für eine gute Story manchmal so einiges auf sich. In Ihrem Beruf gibt es sicherlich auch die eine oder andere harte Situation, oder nicht?“

      Der Inspektor lacht kurz auf „Ja, stimmt schon. Aber was ließ Sie vermuten, dass da wirklich etwas nicht stimmte? Ich an Ihrer Stelle hätte erst einmal vermutet, dass Anna Sie einfach nur loswerden und Ihnen mit der Geschichte von ‚seltsamen‘ Dingen nur Angst einjagen wollte. Wissen Sie: Die Leute in den Dörfern haben halt eine gewisse Ablehnung gegen alles, was neu ist und vor allem gegen alles, was aus der Großstadt kommt. Sie lieben ihr Leben, so wie es ist und allem, was dies aus dem Gleichgewicht bringen könnte, wird erst einmal mit Skepsis und manchmal auch mit Aggressivität begegnet. Das darf man aber alles nicht so ernst nehmen. Wenn Sie weg sind, ist für die Leute im Dorf wieder alles so, wie es sein sollte.“

      „Nicht so ernst nehmen? Herr Inspektor, die hätten mich in Feilnberg fast verprügelt, nur weil ich da aufgetaucht bin. Das kann man schon in die Kategorie ‚seltsame Dinge‘ einordnen, denke ich. Und wenn Anna sagt, dass es hier Dinge gibt, die mich nichts angehen, dann wird sie mich nicht angelogen haben.“

      „Da wäre ich mir nicht so sicher. Und dass man Sie fast verprügelt hat: So etwas kommt leider vor, öfter als Sie vielleicht glauben!“ Der Inspektor macht eine kurze Pause und sieht mir direkt und bestimmt in die Augen. Nach ein paar Sekunden fährt er aber fort: „Also gut, Sie haben im Wald übernachtet.“

      „Ja, es war zwar noch nicht so spät, aber schon stockdunkel. Also bin ich los in Richtung Feilnberg. Ich wollte einfach mal sehen, was da los war.“

      „Das war aber gefährlich. Wenn Sie sich nachts ins Dorf schleichen, glauben die erst recht, dass Sie etwas im Schilde führen.“

      „Ich wollte ja nur mal gucken. Außerdem jagt man bei diesem Wetter keinen Hund vor die Tür. Aber Sie haben mit einer Sache Recht, Herr Inspektor: Es war wirklich gefährlich.“

      „Inwiefern?“ Der Inspektor blickt interessiert auf.

      „Ich bin nicht weit gekommen. Als ich in die Nähe der Hauptstraße kam, habe ich Stimmen gehört. Also hab’ ich mich langsam näher heran geschlichen und bin hinter einem Schneehaufen in Deckung gegangen. Es war ja ziemlich dunkel, wie ich schon gesagt habe, also konnte ich nicht so viel erkennen, aber ich denke, es waren drei Männer, die an der Straße standen und mit Ferngläsern nach Klamm herüber sahen.“

      „Haben die untereinander gesprochen?“

      “Ja, aber wie immer habe ich nicht all zu viel verstanden. Ich vermute, die haben nach einer bestimmten Person Ausschau gehalten und diese Person war mit hundertprozentiger Sicherheit ich. Nach ein paar Minuten sind die Männer wieder in Richtung Feilnberg verschwunden.“

      „Und? Sind Sie denen gefolgt?“

      „Nein, dafür ging mir einfach zu sehr die Muffe.“

      „Verständlich.“

      „Ich bin dann zurück zum Zelt und hab mich aufs Ohr gelegt.“

      „Und wie ging das mit der Kälte?“

      „Ach, eigentlich ganz gut. Klar war es frostig, aber mein Schlafsack war wirklich gut.“

      Es klopft. Eine Schwester kommt mit meinem Mittagessen herein: „So, Herr Gruber, jetzt ist erstmal Pause.“ Sie stellt das Essen schnell und mit gekonntem Schwung auf meinen Beistelltisch. „So, lassen Sie es sich schmecken.“ und schon war sie wieder verschwunden.

      „Na, ich lasse Sie jetzt erst einmal in Ruhe essen.“ sagt der Inspektor, steht auf und steckt seinen Notizblock in die Jackentasche. „Ich habe heute Nachmittag einen Termin. Ich komme dann morgen wieder.“ Der Inspektor gibt mir die Hand und geht.

      Mein Essen besteht aus Schweinefleisch mit Kartoffeln und gemischtem Gemüse. Eigentlich mag ich das ja, aber dies hier schmeckt verkocht und wie ungesalzener Eintopf. Ich bin nicht hungrig, aber ich weiß, dass ich etwas zu mir nehmen muss, um wieder Kraft zu bekommen. Also esse ich.

      Eine halbe Stunde später wird abgeräumt und kurz darauf erscheinen zwei Ärzte und Schwester Denise. Sie nehmen meine Verbände ab und untersuchen mich. Es folgt etwas in den Raum hinein gemurmeltes, medizinisches Fachchinesisch. Dann dreht sich einer der Ärzte zu mir: „Herr Gruber, das wird schon. Bald springen Sie wieder rum, wie ein junger Bock.“

      „Danke Herr Doktor, Springbock war schon immer mein Berufswunsch.“ Ich grinse den Doktor an, aber der setzt eine ernste Miene voller Unverständnis auf und geht ohne weiteren Kommentar zusammen mit seinem Kollegen hinaus.

      Schwester Denise bleibt und legt mir einen neuen Verband an: „Schön, dass Sie Ihren Humor noch nicht verloren haben.“

      „Na ja, wenn man seinen Humor komplett verloren hat, ist man eigentlich schon tot, zumindest als Rheinländer.“

      „Na, hier gäbe es dann jede Menge lebender Leichen.“

      „Sie haben Ihren Humor also auch noch nicht verloren!“

      Denise lächelt: „Wenn man hier arbeitet, braucht man eine gewisse Portion Humor, sonst wird man verrückt.“

      „Das glaube ich. Aber Denise, können Sie mir vielleicht doch etwas über Frau Anna Burleitner sagen. Wie geht es ihr?“

      „Ich darf es wirklich nicht.“ Denise sieht mir fest in die Augen. „Es ist unverändert: Sie ist stabil, aber immer noch nicht wach.“

      „Danke Denise! Sie haben was gut bei mir.“

      Denise lächelt nur: „Fertig!“ Sie steht auf und geht. Aber vorher dreht sie sich noch einmal zu mir um. „Wenn alles gut verheilt, können wir Sie in ein paar Tagen in einen Rollstuhl setzen. Dann können Sie vielleicht Ihre Anna besuchen.“

      „Danke!“ sage ich leise.


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