Die flüsternde Mauer. Manuela Tietsch
Er nickte, obwohl er in Wahrheit am liebsten wieder auf das Lager im Zelt gefallen wäre.
„Wie ist eigentlich dein Name?“, fragte ich ohne lange Vorrede.
Er stutzte. Wie hatte er so unhöflich sein können? Unglaublich! Er erhob sich, verneigte sich leicht und wollte ihr antworten. Kein Wort kam über seine Lippen. Er wusste seinen Namen nicht mehr! Die Erkenntnis traf ihn wie ein Schwerthieb. Er guckte entsetzt auf den Boden, versuchte sich zu erinnern. Er sah sie wieder an. Er konnte ihr seinen Namen beim besten Willen nicht nennen. Und plötzlich merkte er, dass er auch die Namen seiner Verwandten vergessen hatte. Einzig ein Name kreiste in seinem Kopf. Sarwiga, die Zauberin von Feuerberg. Er spürte, wie er das Gleichgewicht verlor und das Blut aus seinem Gesicht wich.
Sie drückte ihn zurück auf den Schemel.
Er musste ihr etwas sagen. Nur was? Konnte er ihr die Wahrheit sagen, ohne dass sie ihn daraufhin vor die Tür warf? Sie wartete auf seine Worte.
„Ich könnt es euch nicht sagen!“, brachte er schließlich leise hervor.
„Wieso, ist es ein Geheimnis?“
„Neyn, das sey es nicht!“, beeilte er sich zu versichern. „Ich hätt ihn vergessen!“
„Was?“ Sie sah ihn ungläubig an. „Das ist doch nicht möglich.“
„Ich schwöre es bey allem was mir heylig sey, ich weyß nicht eynmal mehr die Namen meyner Eltern oder Geschwister.“
Also doch der Ritter ohne Namen, schoss es mir durch den Kopf. Er wirkte verstört. Ich glaubte ihm. Das, was er erlebt hatte, war ja auch schrecklich und sicherlich schockierend, so dass er in eine rettende Vergesslichkeit geraten war.
„Wir werden deinen Namen schon wiederfinden“, sagte ich, um ihn zu trösten. Er saß zusammengesunken wie ein Häufchen Elend auf dem Schemel. In der neuen Kleidung sah er zwar nicht mehr ganz so lumpig aus, doch seine Haare und er konnten dringend ein Bad gebrauchen. Ich wollte ihm ja nicht zu nahe treten, aber …?
„Hast du Lust auf ein Bad?“
Er sah zu mir auf, schien über mein Angebot nachdenken zu müssen, schließlich nickte er, wenn auch halbherzig.
„Das Badehaus und der Bader sind schräg gegenüber, ich bringe dich hin, gerade sind kaum Leute da, das passt schon.“
Er erhob sich und folgte mir. Wieder schien er so abwesend. Möglicherweise ertrank er noch im Wasser? Ich musste dem Bader sagen, dass er ein Auge auf ihn hatte. Das Wasser war gerade frisch aufgefüllt worden und es hatten höchstens zwei oder drei Leute darin gebadet, gute und angenehme Voraussetzungen, fand ich.
„Hey, Frank, hast du einen Badeplatz für meinen Bekannten frei?“
Frank grinste, während er sich den Ritter ohne Namen von oben bis unten ansah.
„Der hat´s nötig.“ Er lachte auf. „Danach muss ich allerdings wohl wieder das Wasser wechseln!“
„Könnet ihr mir auch gar den Bart stutzen? Und vielleycht die Haare eyn wenig reynigen und bürsten?“, fragte der Ritter ohne Namen.
Frank nickte. „Den Bart schon, da hab´ ich ja Mal richtig was zu tun, die Haare dagegen, das ist nicht mein Aufgabenbereich.“
Der Ritter ohne Namen zeigte seine Hände, die langen und teils abgebrochenen Nägel. „Was sey mit denen, könnet ihr daran etwas ändern?“
Frank verzog angeekelt die Lippen. „Mann, wie lange hast du die denn nicht mehr geschnitten?“ Er nickte zum Zeichen, dass er sie einkürzen würde.
„Ich dank euch sehr.“
Ich sah zu meinem Stand, zwei Leute sahen sich die Kleider an. „Ich muss rüber.“ Ich ging schon los, drehte mich noch einmal zu ihm um. „Das mit den Haaren machen wir später, ich helfe dir.“
„Habet Dank, Frouwelin!“
Er sah ihr nach. Wenigstens konnte er sie von hier aus sehen und das gab ihm Trost. Er gab sich vertrauensvoll den Händen dieses Mannes hin, obwohl er früher seinen Bart immer selber gestutzt hatte. Schließlich nahm er ein Bad und wusch sich die Haare.
Ein völlig neues Lebensgefühl, als seine Nägel geschnitten waren, und der Bader hatte nicht mal seine Füße ausgelassen. Er genoss das warme Wasser, das seinen ausgelaugten Körper umspülte und ließ sich in die Entspannung fallen. Das hatte er lange nicht mehr gehabt. Der Bader hatte die vorhandenen Vorhänge zugezogen, sodass er ganz für sich allein war und niemand ihm unerwünschte Blicke zuwerfen konnte.
Warum konnte er sich nicht an seinen Namen erinnern? Das war zum Verrücktwerden. Er wusste wohl, dass er auf dieser Burg gelebt hatte und auch mit welchen Menschen, doch alle Namen waren wie fortgeblasen. Er konnte sich lediglich an ihre Gesichter erinnern. Aber nur an einen Namen: Die Dame von Feuerberg! Eine weitere Tücke der Zauberin? Er schob mit seinen knochigen Händen das Wasser zur Seite und erzeugte dadurch kleine Wellen und Kreise, die er beobachtete. Bei all dem, was er erlebte, fiel es ihm sehr schwer sich zu entspannen, jedenfalls bis in die Tiefe. Durch einen Spalt zweier Vorhangteile beobachtete er weiterhin Alanis, die mehr als einmal herüber sah. Sie war eine wirklich außergewöhnlich schöne Frau. Und sie war so ganz anders, als alle anderen, die er kannte. Er schloss die Augen, lehnte sich an die Wandung des Zubers und versuchte, sich auf seinen Atem zu besinnen. Und ganz unerwartet war er da, sein Name: Askwin! Er war der Ritter Askwin von Steinberg.
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