Kriminalhauptkommissar Ronny Mittler. Axel Schade

Kriminalhauptkommissar Ronny Mittler - Axel Schade


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meine Wortwahl. Zugegebenermaßen überrascht mich ihre These. Sie erwischen mich sozusagen auf dem falschen Fuß. Sagt man das so?“ Er ist sichtbar erschüttert, pustet kräftig durch und fragt: „Was veranlasst sie zu dieser Annahme?“

      „Doktor Harr, ich bitte um Verständnis. Beim derzeitigen Ermittlungsstand benenne ich keine Einzelheiten. Wir verfolgen verschiedene Hinweise. Es gibt Indizien. Nochmals meine Frage. War Thilo depressiv? Zeigte er psychische Auffälligkeiten?“

      „Nein. Ich kenne den Jungen, seit er auf die Welt kam. Hätte er seelische Probleme, wüsste ich das. Da bin ich sicher. Seine Eltern wären auf mich zugekommen, um Rat zu suchen. Thilos Vater Volkmar und ich sind Freunde. Es besteht ein Vertrauensverhältnis zwischen uns. Ich bin Gründungsmitglied des Yacht & Segelsportvereins, wie die van der Leuwens. Wir sehen uns regelmäßig.“

      „Was wissen sie darüber, wie Thilo sich das Handgelenk brach?“ „Eine harmlose Geschichte. Ein Zank unter jungen Burschen. Wie er alle nasenlang vorkommt. Nicht der Rede wert.“ „Harmlos? Finden sie? Ein Mensch wird verletzt, landet mit Armbruch im Krankenhaus. Ohne Übertreibung ist der Tatbestand der Körperverletzung erfüllt, betrachtet man es von rechtlicher Seite, Herr Harr.“

      „Schön. Schön. Sie haben recht. Ein Krankenhausaufenthalt war im Grunde nicht notwendig. Er hätte nach Röntgen und Eingipsen nach Hause entlassen werden können.“ „Warum blieb er?“ „Volkmar und Griselda bestanden darauf. Sie wünschten, dass ich den Heilungsprozess persönlich begleite.“ „Aus welchem Grund?“ „Wie gesagt. Sie baten darum.“

      „Ihre Antwort reicht mir nicht. Wenn die Verletzung eine Banalität darstellte, frage ich mich, warum die Eltern diese Bitte an sie richteten.“ „Sie wünschten, dass ihr Sohn zu einhundert Prozent wieder hergestellt wird. Das er sich erholt. Im Krankenhaus sei er unter Kontrolle, meinte Volkmar. Zu Hause ist der Junge doch nur auf Achse. Das sagte er wörtlich.“

      „Sie wollten ihn unter Aufsicht wissen? Weshalb?“ „Sie befürchteten, ihr Filius nähme die Blessur auf die leichte Schulter. Thilo ist aussichtsreicher Kandidat für das Olympiateam der Segler. Eine schwerwiegende Verletzung oder gar Behinderung käme äußerst ungelegen.“

      „Verständlich. Zum Leben eines Spitzensportlers gehören Selbstdisziplin, hartes Training, Verzicht und Durchhaltevermögen. Der Wille, sich für den Erfolg zu quälen, muss vorhanden sein. Stimmen sie zu?“ „Das ist richtig, Herr Mittler.“ „Mangelte es Thilo an der nötigen Disziplin?“ „Ich fürchte, der Junge war irdischen Freuden mehr zugetan, wie eisernem Training.“ „Genauer?“

      Professor Harr windet sich auf dem Stuhl. Man sieht, wie unangenehm es ihm ist, Auskunft zu erteilen. „Thilo war Partygänger. Ständig auf Achse. Feiern stand bei ihm hoch im Kurs. Wein, Weib und Gesang und dergleichen. Er nahm das Leben leicht. Übernahm nicht die notwendige Verantwortung. Dem Alkohol entsagte er nicht, wie man es von einem Sportler erwartet.“

      „Wie kam es zum Bruch des Handgelenks? Spielte Trunkenheit eine Rolle?“ „Details sind mir alleinig vom Hörensagen bekannt. Ich war kein Augenzeuge der Auseinandersetzung.“ „Ich bin mit allem zufrieden, was sie wissen. Erzählen sie, Herr Doktor. Wurde getrunken?“ „Alkohol war sicher im Spiel. Davon ist auszugehen. Sitzt Thilo samstagabends mit Freunden im BOOTSHAUS, trinken sie. Vorglühen nennen die jungen Leute es heutzutage. Für den nachfolgenden Clubbesuch.“

      „Kam es innerhalb der Gruppe zu einer Auseinandersetzung?“ „Nein. Soweit ich informiert bin, drehte es sich bei dem Streit um Carola. Sie kellnert aushilfsweise im BOOTSHAUS. Verdient sich was dazu. Nettes Mädchen. 19 Jahre alt.“

      „Sie war der Grund der Auseinandersetzung? Wie kam das?“ „Thilo verhielt sich ihr gegenüber, ... wie drücke ich es aus ...? Er benahm sich nicht wie ein Gentleman.“ „Was deuten sie an? Genauer bitte.“

      Stockend berichtet Doktor Harr: „Er berührte Carola. ... In unangemessener Weise. ... Am Gesäß. ... Zwang sie, ... sich auf seinen Schoß zu setzen, ... dergleichen.“ „Er begrapschte sie gegen ihren Willen?“ „Ja. Soweit mir bekannt ist.“ „Nötigung und sexuelle Belästigung also. Was weiter? Wie kommt der andere Teilnehmer der Streitigkeit ins Spiel? Wie heißt er? Was macht er?“

      „Dennis Jakobs. Auch ein Segler. Er ist Carolas Freund. Ihr Verlobter, wenn ich nicht irre.“ „Wie alt ist er?“ „Das weiß ich nicht. Mitte zwanzig vielleicht.“ „Was ist er von Beruf?“

      Professor Doktor Harr legt die Stirn in Falten. „Einen Moment bitte. ... Kurz nachdenken. ... Er arbeitet bei der Stadtverwaltung. Welche Position er begleitet, ist mir unbekannt. Ich kenne nicht jedes Vereinsmitglied persönlich. Zu den jungen Leuten pflege ich kaum Kontakt. Allenfalls sehe ich sie bei Vereinsfeiern. Hin und wieder sonntags beim Tee trinken im BOOTSHAUS. Diesbezüglich bin ich außerstande weiterzuhelfen, Herr Mittler.“ Er erhebt sich. „War es das? Haben sie noch Fragen? Ich muss los, Visite, sie verstehen?“

      „Falls ich weitere Auskünfte benötige, weiß ich ja, wo ich sie finde. Danke für ihre Zeit Professor Harr.“

      Lena öffnet die Tür des Lokals, tritt ein und geht zur Theke. „Moinchen.“, grüßt eine Frau hinter dem Tresen. Unverblümt mustert sie den frühen Gast vom Scheitel bis zur Sohle. „Was weht mir der raue Nordseewind denn da Hübsches in die Hütte?“ In ihrem Mundwinkel klemmt eine Zigarette, die beim Sprechen wippt. Sie nimmt den Glimmstängel raus, löscht ihn im Spülwasser, wirft den Stummel in einen Mülleimer. „Dämliches Rauchverbot. Gilt auch für mich. Ab und zu ziehe ich mal eine durch, wenn keine Gäste da sind. Aber nun bist du ja reingeschneit, Schätzchen. Was darf ich für dich tun? Käffchen? Tee? Erotische Massage?“ Sie lacht, als sei es ein Scherz, trotzdem entsteht bei Lena der Eindruck, das Angebot sei Ernst gemeint.

      „In der Reihenfolge wäre schön!“, spielt sie den Flirt mit und setzt sich auf einen Barhocker. „Hoppla. Jetzt wird´s interessant!“ Die Bedienung lehnt sich auf die Theke, schaut ihrem Gast tief in die Augen. „Scheint doch kein schlechter Tag zu werden, wie ich beim Aufstehen dachte. Fangen wir mit dem Käffchen an?“ „Gerne.“, antwortet Lena mit brüchiger Stimme. Sie räuspert sich. „Frosch im Hals?“, erkundigt sich die attraktive Frau gutgelaunt. „Lieber einen Kräutertee?“ „Nein. Alles gut!“, flunkert die Oberkommissarin und ärgert sich insgeheim, das es ihr im wahrsten Sinne des Wortes die Sprache verschlug.

      Die dunkelblonde Bedienung steht mit dem Rücken zu Lena, derweil sie die Kaffeemaschine mit Wasser befüllt. „Dauert einen Moment. Ich muss die Maschinerie erst in Gang bringen.“, erklärt sie. Sie hat eine sportliche Figur. Ihr Haar trägt sie lang bis zu den Hüften. Hübsch, denkt Lena, gefällt mir. Ihr Herz klopft schneller, wie normal.

      Die Tür zum Gastraum wird geöffnet. Merle Jörgisdottir tritt ein. „Moin.“, grüßt sie. „Auch ein fröhliches Moinchen!“, trällert die Bedienung und wendet sich ihrem neuen Gast zu. „Hallihallo! Hab ich ein Glück!“, raunt sie anerkennend. „Hat eine Fähre mit Schönheitsköniginnen angelegt, oder was geht ab?“, scherzt sie.

      „Kein Parkplatz zu finden!“, erklärt Merle und knallt den Autoschlüssel auf den Tresen. „Norddeich ist rappelvoll mit Touris.“, nörgelt sie. „Den Wagen habe ich notgedrungen direkt vors Lokal gestellt und das Blaulicht aufs Dach gepackt. Wenn einer nicht dran vorbeikommt, muss er sich melden.“

      „Blaulicht? Hab ich was mit den Öhrchen oder hast du das wirklich gesagt?“, fragt die Wirtin. „Kommissarin Jörgisdottir. Kriminalpolizei.“, stellt sich Merle vor. Sie hält ihr den Dienstausweis vor die Nase, zeigt auf Lena und sagt: „Meine Vorgesetzte. Oberkommissarin Schösteen.“

      „Vorname Lena.“, fügt diese apart lächelnd hinzu. Die Wirtin wendet sich ihr zu und raunt: „Lena heißt das schöne Kind. Nett! ... Sehr nett!“ Der Angesprochenen rieseln angenehme Schauer den Rücken hinunter. An ihren Armen stellen sich Härchen auf.

      „Und sie sind wer?“, fragt Merle diensteifrig. „Wer ich bin? Das werde ich dir sagen.“ Zur Überraschung der Polizistinnen


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