Friedrich Gerstecker: Reise in die Südsee. Friedrich Gerstecker

Friedrich Gerstecker: Reise in die Südsee - Friedrich Gerstecker


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In demselben Verhältnis stand es mit den Kartoffeln, die der kalifornische Markt und der stets sich mehrende Bedarf dorthin auf eine wahrhaft unnatürliche Weise in die Höhe getrieben; überhaupt waren sämtliche Lebensprodukte, besonders im letzten Jahre, auf eine für die dort anlaufenden Walfischfänger besonders sehr unangenehme Weise gestiegen, und es bedurfte später fast noch eines vollen Jahres, ehe sie, durch die immer vergrößerte Einfuhr sowohl nach San Francisco, hauptsächlich aber durch den dort rasch steigenden Acker- und Gartenbau, wieder ebenso rasch fielen, immer aber noch die auf die Kultur des Landes verwandte Arbeit reich vergüteten.

      Wenn der Markt auch nicht selber, so haben doch die einzelnen, in der Stadt herumgehenden Verkäufer manches Eigentümliche, die nach Art der Chinesen alles, was sie zum Verkauf bei sich führen, an einem, etwa vier Fuß langen Stock und bis fast zum Boden niederhängenden Kalebassen tragen, von denen die wieder, die den aus den Tarowurzeln bereiteten Brei oder Poë enthalten, mit ebensolchen Kalebassenstürzen bedeckt sind. Sie schlendern damit höchst gemütlich durch die Straßen, oder kauern auch geduldig an den Ecken, bis sich ein Käufer findet.

       Diese Händler, welche Früchte, Fische, Hühner, Truthühner, Schweinchen, Eier etc. in der Stadt herumtragen, sind nur Männer, bei den Märkten halten jedoch auch Frauen feil. Der Hawaiier oder Kanaka, wie er allgemein genannt wird, kann aber mit sehr wenig Arbeit auskommen; oft sieht man einzelne von ihnen, die mit einem Dutzend Eiern oder zwei Hühnern stunden-, ja tagelang in der Stadt herumlaufen, und mit einer fabelhaften Geduld immer wieder zu demselben Preis ihre Ware feilbieten – sie haben sich einmal den Preis gesetzt, und gehen nicht davon ab, und sollten sie auch genug Zeit versäumen, indessen noch dreimal so viel zu verdienen, bis sie ihn erhalten haben. Von dem Wert der Zeit scheint der Kanaka überhaupt nur einen sehr unvollkommenen Begriff zu haben, denn Leute die dort schon lange ansässig sind, haben mir versichert, man könne bei ihm, und wenn er an dem entferntesten Teil der Insel wohne, die Produkte die er erzieht, um nichts billiger am eigenen Platze bekommen, als er im Stande ist, sie auf dem Markt von Honolulu zu verwerten – die Tage, die er dazu braucht, sie dorthin zu schaffen, zu verkaufen und wieder zurückzukehren, rechnet er gar nicht.

       Was nun den Volksstamm selber betrifft, so lässt sich da allerdings nach Honolulu kein vollkommener Maßstab mehr anlegen. Die Leute sind hier in moralischer wie physischer Hinsicht entartet, und Christentum wie Walfischfänger haben sich in die Hände gearbeitet (so verschieden diese beiden Begriffe auch sonst immer von einander sein mögen) das arme Volk von der Erde so viel wie möglich zu vertilgen, oder was zurück blieb an Geist wie Körper zu Grunde zu richten. Es klingt das scharf und übertrieben, und die amerikanischen Geistlichen würden darüber die Hände über dem Kopf zusammen und die Augen zum Himmel aufschlagen, wenn sie es läsen – aber es ist leider eine Tatsache, die man nicht allein fühlt und empfindet, wenn man unter den Leuten selber wohnt, sondern die sich auch sogar durch statistische Tabellen auf die kleinste unbedeutendste Seele hinunter berechnen ließe.

      Was nun die Eingeborenen der Insel, vorzüglich die Oahus betrifft, so sind sie was man so „zivilisiert“ nennt. Die Männer tragen statt des sonst einzigen schmalen Schamgürtels, Hemden, und auch manchmal Hosen, und die Frauen gehen in bunten Kattun oder Seide gekleidet. Viele von ihnen können auch, dank den wirklich tätigen – oft zu tätigen – Bemühungen der Missionare schreiben und lesen, und zu tätig nenne ich sie deshalb, weil sie an mehreren Stellen sogar anfingen Gesetze zu geben (natürlich alles durch die Häuptlinge, später bis aufs Blut leugnend, dass sie selber auch nur das mindeste damit zu tun hätten), dass junge Leute, die einander heiraten wollten, nicht mit einander getraut werden durften, wenn sie nicht schreiben und lesen konnten. Welchen moralischen Einfluss ein solches Gesetz ausübte, lässt sich etwa denken, noch dazu wenn man die jetzige weibliche Bevölkerung der Inseln dabei sieht.

       Die Bücher, die sie haben, sind ihnen von den Missionaren übersetzt und geschenkt und bestehen, außer einigen Lehrbüchern, nur in religiösen – streng orthodoxen Schriften, die Bibel – ein circa 12–13 Zoll dickes Buch,– nimmt den ersten Rang darunter ein, denn ich zweifle nicht im geringsten, dass die Kanakas ebenso die meiste Achtung vor den dicksten Frauen, wie vor den dicksten Büchern haben werden, und wie es eine Riesenarbeit für die Missionare gewesen sein muss, dieses Buch in die Kanakasprache zu übersetzen (wobei nicht allein die einfache Übersetzung nötig war, sondern eine wahre Unmasse von Worten, ja selbst Wortlaute erst förmlich für ihre Sprache erfunden und ihnen verständlich gemacht werden musste), ebenso ist es jetzt sicherlich eine noch viel größere Arbeit für die Kanakas, das Geschriebene, das für sie von einer ganz fremden Welt handelt, zu begreifen und – zu glauben. Wir können ja das Beispiel nur an uns Christen selber nehmen, von denen kaum die Hälfte wirklich glaubt, und von dieser Hälfte kein Viertel wieder begreift, was es glaubt, während sich die Geistlichen der verschiedenen Sekten selber über Wortbedeutungen in den Haaren liegen. Was müssten die Folgen sein, gäbe sich der Kanaka mit all seinen geistigen Kräften dem Studium dieser Lehren hin? Glücklicherweise ist er weit davon entfernt, sich die Bücher oder die Lehren sehr zu Herzen zu nehmen oder gar viel darüber nachzudenken, Einzelne natürlich ausgenommen. Er betet, wenigstens öffentlich, keine Götzen mehr an, zahlt und tut für seine Priester und Lehrer was sie von ihm verlangen, ist getauft worden und betrachtet sich nun als einen vollkommenen guten und „fertigen“ Christen, der, wenn er stirbt, ohne weitere Vorrede in den Himmel und zur ewigen Seligkeit eingeht.

      Erst in seiner letzten Stunde, wo er sonst seiner Auflösung mit froher Zuversicht, oder wenigstens mit Gleichgültigkeit entgegen ging, packt ihn das, was er von den ewigen Strafen der Christen gehört – er sieht meist nur den zürnenden Gott der neuen Lehre, für den er, wie er recht gut weiß, gerade nichts Besonderes getan hat, ihn sich zum Freunde zu machen, und Angst und Entsetzen vor dem nimmer endenden Strafgericht fasst ihn, bis ihn der mitleidige Tod endlich von sich selbst befreit, und ihm die Zweifel löst, die seine bange Seele in Nacht und Grauen gefangen hielten.

       Die Herzen der Eingeborenen mag übrigens der Eifer der Missionare auf diesen Inseln vollkommen gebessert haben, das ist möglich; ich kann wenigstens das Gegenteil nicht behaupten, äußerlich hat er auf den Eingeborenen aber wenig Einfluss gehabt, und ihn weder gebessert noch veredelt. Die Insulaner stehlen nicht, weil ihnen das unter den strengsten und unnachsichtlich ausgeführten Strafen verboten ist, sie betrügen aber wo sie können, und die Frauen? – mit Sonnenuntergang wimmelten in Honolulu die Straßen von bunt gekleideten Frauen und Mädchen, und Leute die dort ansässig waren und das Leben kannten, versicherten mir, dass unter allen diesen auch nicht eine sei die nicht feil wäre. So viel was die Moralität dieser neuen Christen betrifft.

       Der Leser wird aber auch etwas Näheres über Tracht und Aussehen der Eingeborenen hören wollen, denn trotz hawaiischen Ministern und Konsuln sind das doch unbedingt die interessantesten Persönlichkeiten auf den ganzen Inseln, und jedenfalls verdient hier wieder das schöne Geschlecht die erste Erwähnung. Die Beschreibung der weiblichen Tracht dieser Inseln macht mir dabei keine Schwierigkeiten, denn sie ist einfach genug, und besteht nur aus einem Hemd und Oberkleid, das nach Art unserer deutschen Staubhemden gemacht, einzig und allein ziemlich dicht am Hals anschließt und bis auf die Knöchel in weiten Falten niederfällt. Der Stoff und die Farbe dieses Oberkleides ist aber sehr verschieden: Es besteht teils aus dem einfachsten, bescheidensten Kattun, teils aus kostbar schwerer Seide, immer jedoch in dem ganz gleichen einförmigen Schnitt. Manche tragen über diese noch seidene Schals oder Tücher, das aber nur sehr wenige, und bloß die reicheren vielleicht, während jedoch irgendein Haarschmuck keinem Eingeborenen Mädchen fehlt. Es ist dies noch ein Überrest der alten Heidenzeit, und ein Glück, dass die Missionare nie erfuhren sie trügen diese Girlanden und Kränze ihrer Lieblingsgöttin „Natur“ zu Ehren, sie wären sonst mit dem ganzen übrigen Bilder- und Götzendienst ebenfalls ausgerottet worden.

      Dieser Haarschmuck ist allgemein, und die vorherrschenden Farben dabei sind gelb und rot und grün. Viele tragen Blumen und Kränze. Der eigentliche Originalschmuck der Insulaner besteht aber aus einem schmalen Band von geflochtenen gelben und roten Federn, die sehr hoch unter ihnen geschätzt werden, da sie ihrer Seltenheit wegen schwer zu erlangen sind. Da es vielleicht zu kostspielig für alle war, sich diesen Federschmuck zu verschaffen, alle aber einen Schmuck haben mussten, so ersetzte man die Federn häufig durch runde Binden von geschorener Wolle in diesen Farben, und diese kann sich jetzt jeder verschaffen.


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