Der Racheengel - Ein Aachen Krimi. Frank Esser

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schon zu. Er setzte sich neben den Kriminalrat aufs Podium. Einige Reporter in der ersten Reihe kannte Hansen schon von der letzten Pressekonferenz. Vor allem die Lokalreporter. Aber da der Raum heute nahezu bis auf den letzten Platz gefüllt war, blickte er in eine ganze Reihe unbekannter Gesichter.

       Nachdem Hellhausen und er sich noch über einige Punkte verständigt hatten, eröffnete der Kriminalrat pünktlich um elf Uhr die Konferenz und gab den aktuellen Ermittlungsstand zum Besten. Er schmückte die wenigen Fakten, die den Ermittlern derzeit bekannt waren, wortreich aus und übergab dann das Wort an Hansen. Zunächst waren es vor allem die Reporter der ortsansässigen Lokalpresse, die sich nach den aktuellen Geschehnissen erkundigten. Erst als sich ein Journalist eines überregionalen Blattes zu Wort meldete, wurde es für Hansen unangenehm.

       »Bremser vom Abendblatt«, ergriff der Mann das Wort. »Soweit ich das bisher verstanden habe, ist es Ihnen noch nicht gelungen, eine Verbindung zwischen den mittlerweile drei Opfern herzustellen. Und ein Motiv für die Taten haben Sie auch noch nicht ermitteln können. Es könnte ja durchaus sein, dass der Mörder weiter töten wird. Ohne jetzt Panik verbreiten zu wollen, aber das bedeutet doch im Klartext, dass jeder aus der Bevölkerung ein nächstes potenzielles Opfer sein könnte?!«

       Hansen musste einen Moment innehalten, bevor er antwortete.

       »Sicherlich«, begann er, seine Worte vorsichtig abwägend, »besteht diese potenzielle Gefahr. Aber wir sind davon überzeugt, dass der Täter nach einem bestimmten Muster vorgeht und die Opfer keine Zufallsopfer sind. Wir haben diesbezüglich neue Erkenntnisse«, log Hansen. »Aber bitte haben Sie Verständnis dafür, dass wir aus gegebenem Anlass diesbezüglich noch keine Einzelheiten an die Presse weitergeben können. Es gibt überhaupt keinen Grund dafür, dass Sie für eine verkaufsfördernde Schlagzeile Panik in der Bevölkerung verbreiten. Im Gegenteil, Herr Bremser. Ich möchte Sie und die anderen hier anwesenden Kollegen bitten, in Ihren Artikeln keine Spekulationen anzustellen, die unsere Arbeit nur unnötig erschweren würden. Das letzte was wir nämlich jetzt brauchen können, ist eine hysterische Bevölkerung, die kein Vertrauen in die Polizeiarbeit hat.«

       »Entschuldigen Sie bitte, Herr Hansen«, meldete sich der Reporter des Abendblattes erneut zu Wort. »Aber wenn drei Morde kein Grund zur Panik sind, was bitte dann? Sie haben nach drei Wochen Ermittlungsarbeit keinen Verdächtigen ermitteln können, wie Sie eben selbst eingeräumt haben. Sie wissen, so wie es für mich aussieht, nicht einmal, nach welchen Gesichtspunkten die Opfer vom Mörder ausgesucht werden. Und jetzt versuchen Sie die Gefahr herunterzuspielen und fordern uns auf, unsere journalistische Pflicht, die Bevölkerung zu informieren, zu vernachlässigen!«

       Hansen war klar gewesen, dass sich die Veranstaltung in diese Richtung entwickeln würde. Die Kombination aus Müdigkeit, grundsätzlicher Ablehnung gegen Pressekonferenzen und der Einsicht, dass der lästige Bremser im Grunde recht hatte, zerrte an seinen Nerven.

       »Es ist sicherlich nicht so, dass ich die Gefahr herunterspielen möchte. Aber Panik hilft uns auch nicht. Deshalb appelliere ich an Sie alle, sich in Ihren Berichten nur auf die Fakten zu beschränken, die wir Ihnen heute mitgeteilt haben. Alles andere wird eine Genugtuung für den Täter darstellen, weil man ihm diese Aufmerksamkeit schenkt. Ich bitte Sie lediglich, unsere Arbeit nicht zu behindern. Ich hatte nicht vor, die journalistische Meinungsfreiheit in irgendeiner Weise zu beschneiden. Und jetzt entschuldigen Sie mich bitte, ich habe noch einiges zu tun. Weitere Informationen erhalten Sie bei Bedarf von der Pressestelle unserer Dienststelle.«

       Damit beendete Hansen seinen Teil der Pressekonferenz und übergab das Wort wieder an Hellhausen. Anschließend verließ er den Presseraum. Selten kam er sich so vorgeführt vor. Er schaute auf seine Uhr. Es war jetzt kurz vor halb zwölf. Er beschloss nach Hause zu fahren, um zu duschen. Anschließend würde er mit neuer Kraft an die Ermittlungen gehen und Bremser und allen anderen beweisen, dass sie sich irrten.

      Kapitel 5

       Es war genauso abgelaufen, wie er erwartet hatte. Immer wieder hatte er seine Unschuld beteuert. Er hatte von Körlings kurz vor dessen Tod erfahren, welche Rolle Bender in der Geschichte gespielt hatte. Das war eines der wenigen Details gewesen, das ihm am Anfang in dem Puzzle noch gefehlt hatte. Es hatte ihn angewidert, wie Bender vor ihm niederkniete und um sein erbärmliches Leben bettelte. Er konnte ihn einfach nicht ungesühnt davonkommen lassen. Er musste beenden, was er begonnen hatte. Und er war noch nicht am Ende seines Weges. Schon auf dem Heimweg waren seine Gedanken unentwegt um sein nächstes Ziel gekreist. Ein Gefühl des Ekels machte sich in ihm breit, wenn er an diesen Mann dachte. Er war von allen derjenige, den er am meisten verabscheute. Er hatte bereits einen Plan. Jetzt galt es zu prüfen, ob er umzusetzen war. Er blickte auf seine Uhr. Seine Frühstückspause war zu Ende. Er musste wieder zurück an seine Arbeit gehen.

       Nachdem Hansen seine Wohnung frisch geduscht verlassen hatte, machte er sich auf direktem Weg zur Eigentumswohnung von Körlings. Er hatte zwar noch nicht die leiseste Ahnung, wonach er dort genau suchen sollte, aber irgendwo musste er ja anfangen. Sein Ziel lag nur etwa zehn Minuten von seiner eigenen Wohnung entfernt in der Lütticher Straße. Körlings hatte dort ein opulentes Apartment in einem schönen sanierten Altbau. Hansen konnte sich von seinem letzten Besuch noch genau daran erinnern, dass es von der Dachterrasse aus einen wunderschönen Ausblick bis hin zum Aachener Stadtwald gab. Mit dem sichergestellten Schlüssel, den er am Morgen extra aus der Asservatenkammer des Präsidiums geholt hatte, öffnete der Kommissar die Haustür. An der Wohnungstür in der dritten Etage entfernte er das Polizeisiegel. Obwohl die Spurensicherung die Wohnung gründlich untersucht hatte, war sie in einem ordentlichen Zustand hinterlassen worden, was leider nicht immer der Fall war.

       Zunächst lief Hansen durch die einzelnen Zimmer der über hundertachtzig Quadratmeter großen Wohnung und ließ die Eindrücke auf sich wirken. Körlings hatte Geschmack besessen. Die Ausstattung war vom Feinsten. Wahrscheinlich von einem Innenarchitekten entworfen. Alleine der Parkettboden dürfte ein halbes Jahresgehalt seines bescheidenen Einkommens als Polizist verschlungen haben.

       Aber er hatte keine Zeit, sich mit der Schönheit der Wohnung zu beschäftigen. Er war hier, um nach verwertbaren Informationen zu suchen, die sie in der Mordserie weiterbringen konnten. Hansen gab die Hoffnung nicht auf, dass die Kollegen bei der Untersuchung der Wohnung etwas übersehen hatten. Es musste doch einen Hinweis darauf geben, warum der Täter es gerade auf den Geschäftsmann abgesehen hatte. War es möglich, dass Körlings in illegale Machenschaften verstrickt war, von denen der Mörder gewusst hatte? Wurde der Geschäftsmann am Ende von seinem Mörder für etwas bestraft, das in dessen Augen so schlimm war, dass Körlings dafür den Tod verdient hatte? Zahn um Zahn. Warum hatte der Mörder gerade dieses Gleichnis verwendet?

       Hansen setzte sich an den Schreibtisch und öffnete der Reihe nach die Schubladen. Aber außer einigen Geschäftsunterlagen konnte er nichts finden. In einem der Aktenordner fand er verschiedene Zeitungsartikel, die Körlings offensichtlich gesammelt hatte. Warum hatten die Kollegen die nicht mitgenommen? Es handelte sich dabei ausschließlich um Berichte von karitativen Veranstaltungen, die der Unternehmer regelmäßig ausgerichtet hatte, um Geld für gemeinnützige Einrichtungen zu sammeln. Hansen legte sie wieder zurück.

       Während er so dasaß und seinen Blick durch die Wohnung schweifen ließ, fiel ihm allerdings etwas anderes auf. Es gab in der gesamten Wohnung keine Fotos. Weder von seiner Familie noch von Freunden. Nicht ein einziger Schnappschuss war in der Wohnung zu sehen. Hansen wusste, dass Körlings´ Eltern bereits seit ein paar Jahren tot waren. Geschwister hatte er keine. Es gab auch keine Verwandten, die das beträchtliche Vermögen des Geschäftsmannes erbten. Stattdessen sollte mit dem Geld eine Stiftung gegründet werden, die sozial schwachen Kindern eine gute Ausbildung sichern sollte.

       Darüber hinaus hatten sie ermittelt, dass der Freundes- und Bekanntenkreis des Geschäftsmannes


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