Die erste Legende von Ashamur. Eileen Schlüter

Die erste Legende von Ashamur - Eileen Schlüter


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sich rot. Er senkte eilig den Blick auf die gewienerten Holzdielen.

      Aris griff hastig nach seinem Hemd und zerrte es über den Kopf. Dann warf er den unwillkommenen Gästen missbilligende Blicke zu.

      „Schon mal was von Höflichkeit gehört?“, murrte er und funkelte Taik an. Er konnte diesen blasierten Heilkunstlehrling vom ersten Tag an nicht besonders leiden.

      „Ich hab doch angeklopft!“, rühmte Taik sich. „Hier bringe ich dir deine Zimmergenossen. Koho Kel und Koho Jarden. Wie ich gehört habe, bist du vorerst für diesen Knirps verantwortlich, bis er die Grundlagen der Kampfkunst beherrscht. Und wenn er soweit ist, wird Meister Asak ihn in seinen Unterricht aufnehmen.“ Mit diesen Worten machte Taik auf dem Absatz kehrt. „Ach und...Koho, ich erwarte dich vor Sonnenaufgang zur täglichen Meditation auf dem Ahnenhügel!“, brummte er im Vorbeigehen dem älteren Neuankömmling zu.

      „Ja, Sempo!“, antwortete dieser und deutete eine hastige Verneigung an. Die Tür schwang zu und Aris war allein mit den beiden Neuen, die sich gegenseitig so unbeholfen anschauten, als befänden sie sich in einem gefährlichen Labyrinth, dessen Ausgang es zu finden galt, wenn sie allerdings den falschen Weg einschlugen, konnte sie dieser womöglich ins Verderben führen.

      Aris fand seinen Vergleich äußerst passend.

      „Was steht ihr hier so dämlich herum?“, unterbrach Aris die andauernde Passivität der beiden. „Los, packt eure Sachen aus und beeilt euch ein bisschen. In einer halben Stunde ist Nachtruhe.“

      Er wies auf eine Wand. „Dort im Wandschrank könnt ihr eure Sachen verstauen!“ Dann setzte er sich auf sein Bett, das, im Gegensatz zu den Pritschen der beiden, breiter und bequemer war. Der größere begann sofort seinen Reisebeutel zu entleeren, während der Kleine noch zögerte. Er war wirklich noch sehr jung, befand Aris, als er in dessen pfirsichglatten Gesicht vergeblich nach Spuren von Bartwuchs suchte. Er versuchte, sich an seinen Namen zu erinnern, doch er fiel ihm nicht ein.

      „He du... hab deinen Namen vergessen. Mach ein bisschen schneller, gleich müssen wir die Lichter löschen!“, heischte er den Jungen an, der nervös an den Schnüren seines Bündels hantierte.

      „...Kel..., mein Name ist Kel!“, antworte er kaum hörbar. Seine helle Stimme bestätigte Aris´ Verdacht. Der Bursche konnte nicht älter als dreizehn sein.

      „Also, Kel. Was ist nun?“

      Sofort griff Kel in den Beutel und förderte seine Habe zu Tage. Der andere, Jarden, an dessen Namen erinnerte er sich, hatte schon alles in den Schrank geräumt. Für hoch angesehene Sprosse aus Aracon hatten sie erstaunlich belanglose Dinge im Gepäck, dachte Aris gelangweilt, als sein Blick plötzlich auf allerlei Grünzeug stieß, das die beiden aus ihren Taschen räumten.

      „Wolfsnessel? Euer Ernst?“, brachte Aris erstaunt hervor und bedachte die beiden mit einem spöttischen Lachen. Er musterte sie von Kopf bis Fuß. „Scheint ja hervorragend zu wirken“, gluckste er und konnte dabei dem Drang nicht widerstehen, seinen Worten eine großzügige Portion Ironie beizumischen.

      „Stählerne Muskeln wachsen nicht von einem Tee“, sagte er in belehrendem Ton und nahm einen der rauen Krautstängel zwischen Daumen und Zeigefinger, wobei er prompt ein Brennen an den Fingerspitzen spürte, was er sich jedoch nicht anmerken ließ.

      „Dafür braucht es hartes Training und vernünftige Techniken!“ Er legte das Kraut zurück auf die Pritsche und stieß einen theatralischen Seufzer aus. „Ich sehe schon, das wird harte Arbeit – für beide Seiten!“

      Kapitel 5

      D ie Schlaflosigkeit hatte Aris fest im Griff. Unruhig wälzte er sich in seinem Bett, stieß die Bettdecke mit wilden Fußtritten von sich, nur um sie Sekunden später wieder bis unter sein Kinn zu ziehen.

      Beim besten Willen würde er keine weitere Nacht mit einem schnarchenden und einem wimmernden Mitbewohner überstehen. Kurz hatte er überlegt, Jard die Nasenlöcher zu verstopfen, während er Kel am liebsten direkt vor die Tür gesetzt hätte. Anscheinend hatte der Junge Albträume, die ihn im Schlaf immer wieder aufheulen ließen. Irgendwie war der Junge seltsam. Er hatte kaum ein Wort gesagt, nachdem er seine Sachen verstaut hatte. Und während Aris und Jard sich entkleideten und ihre Nachtgewänder überzogen, hatte Kel sich nur seiner fein gewebten Weste entledigt und sich in Hemd und Hosen, mit der Begründung, es sei ihm hier zu kalt, unter seiner Decke verkrochen. Kein Wunder, dass er fror, dachte Aris, der Junge war dürr wie eine Bohnenstange. Aber gut, hinter den kühlen Tempelmauern wurde es trotz der milden Nächte nie wirklich warm in den Zimmern. Heizöfen, Kamine oder Kohlebecken suchte man in der ganzen Tempelanlage vergeblich.

      Kel drehte sich auf die Seite, sodass Aris sein Gesicht sehen konnte, das in dem fahlen, herein scheinenden Mondlicht aussah, als hätte man es in Milch getaucht.

      „Milchgesicht!“, murmelte er schläfrig. „Mal sehen, ob du morgen immer noch ein Lehrling im Tempel des Westens sein möchtest.“

      ***

      Noch bevor die Sonne aufging, verließ Jard das Zimmer, um der täglichen Morgenmeditation beizuwohnen. Keinesfalls wollte er zu spät am Ahnenhügel sein, die Strafe, die sein aufgeblasener Sempo ihm dafür auferlegen würde, konnten Jard und Kel sich lebhaft vorstellen. Am Abend zuvor hatte Aris Jard den Weg zum besagten Hügel erklärt und Kel beordert, sich auf selbigem vor Sonnenuntergang einzufinden, da sie – als sein zugeteilter Koho – nun jeden Abend mit ihm dort meditieren würde. Außerdem solle sie zur Meditation sowie zu den Trainingeinheiten in zweckentsprechender Kleidung erscheinen, weshalb er sie anwies, sich noch vor dem Frühstück vom Meister der Kleiderkammer im Westflügel ausstatten zu lassen. Kel saß in der Kleidung vom Vortag auf ihrer Schlafliege und wippte nervös mit dem Fuß. Sie musste sich dringend erleichtern. Sie stellte fest, dass es keine Nachttöpfe im Zimmer gab, was bedeuten musste, dass es irgendwo eine Abortanlage oder zumindest eine Grube zur Verrichtung der Notdurft gab. Des Weiteren musste sie einen Ort finden, wo sie ungestört die Kleidung wechseln konnte. Keinesfalls konnte sie sich im Zimmer vor Aris´ Augen umziehen. Da sie noch ihr Hemd und die dunklen Hosen trug, zog sie einfach ihre Weste darüber und war fürs Erste vollständig gekleidet. Abwartend blieb sie auf dem Bett sitzen. Ihr Sempo würde ihr sicher gleich weitere Anweisungen für den Tag geben. Doch stattdessen entkleidete er sich seelenruhig direkt vor ihren Augen. Kel war wie erstarrt. Schon gestern, als sie ohne Ankündigung das Zimmer betreten hatten, war sie wie vom Donner gerührt gewesen, bei seinem Anblick. Genau wie gestern stieg ihr nun wieder eine entsetzliche Hitze ins Gesicht. Nie zuvor hatte sie so einen athletischen Körper gesehen, der auf unfassbar verführerische Weise schimmerte. Kel hatte urplötzlich das Verlangen mit ihren Fingern über diese glatte, von der Sonne gebräunte Haut zu fahren.

       Was war in sie gefahren?

      Hin und wieder hatte sie auch Jard ohne Hemd gesehen, allerdings hatte dessen Anblick weder Hitze noch diesen eigenartigen Drang, ihn berühren zu wollen, ausgelöst.

      Kel wollte den Blick abwenden, doch irgendetwas schien sie zu lähmen und so starrte sie mit hochrotem Kopf unentwegt auf die stählerne Brust ihres Sempo, bis diese endlich von einem schwarzen Hemd bedeckt wurde. Darüber zog er eine schwarz-rot abgesetzte ärmel- und knopflose Jacke, aus feinem Baumwollstoff, die bis zur Mitte seiner Oberschenkel reichte. Zusammengehalten wurde die traditionelle Kampfkleidung mit einer Schärpe, Aris´ Schärpe war rot, was bedeutete, dass er dem Meistergrad schon äußerst nahe war. Über seine knielangen Unterhosen, die er zu Kels Erleichterung nicht ausgezogen hatte, zog er eine schwarzbraune Hose.

      Kel schluckte, endlich konnte sie sich wieder bewegen. Hastig wirbelte sie herum und starrte aus dem Fenster, geradewegs in den Sonnenaufgang.

      Innerlich flehte sie, dass Aris ihr eigenartiges Verhalten nicht aufgefallen war.

      „He, ich hab doch gesagt, du sollst deine Kleidung aus dem Lager holen. Sobald du damit zurück bist, wirst du als Erstes lernen, die Sachen auf traditionelle Weise zu falten. Wenn du das geschafft hast, darfst du


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