Vorm Mast. Wolfgang Bendick

Vorm Mast - Wolfgang Bendick


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doppelten Palstek wurde uns alles eingebläut. Vorwärts, rückwärts, hinterm Rücken, fast noch bei Kopfstand... Manchmal knipste er das Licht aus: „Doppelter Trossenstek“. Als es wieder hell war, machte er die Runde, spöttelte über unsere Gebilde, regte sich auf, wenn nichts geklappt hat. Gelobt wurde nie, nach seiner Devise: „Kein Tadel ist schon höchstes Lob!“

      Wir lernten rechtsgeschlagenes von linksgeschlagenem Tauwerk zu unterscheiden, wussten bald, was ein Kardeel ist, ein Kabelgarn, eine Seele. Lernten den Unterschied im Schlag von Lotleine und Logleine, lernten wie herum Tauwerk aufzuschließen ist. Schlugen die englische Bucht, um Kinken zu verhindern und dass einem Drahttauwerk ins Gesicht springt. Wir wussten bald, wie man zwei Tampen miteinander verflicht (spleißen), „üüüber ein Kardeel, uuunter ein Kardeel, kann sehn? Wiederhole!“, lispelte Papendieck.

      Wir arbeiteten mit Pricker und Marlspieker, spleißten Augen und Stroppen. Bald konnten wir Wurfleinen aufschießen, klar zum Laufen oder zum Verstauen. Wir flochten Wurfleinenknoten, Affenfäuste und schlugen Henkersknoten. Hüsing stecken („kann sehn Hüüsing?“) und Bootsmannsnaht waren uns bald geläufig und mit dem Segelhandschuh hantierten wir so gut wie unsere Mütter mit dem Fingerhut. Reff-Bändsel annähen, Taklinge setzen, nähen, flechten. Man lehrte uns, dass der Langspleiß auf den Schiffen nicht gern gesehen ist, gerade bei kurzem Gut (Bruchgefahr).

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      Die ‚Schiffsleitung‘

      Wir lernten Taljen (Flaschenzüge) scheren und diese wieder zu enttüddeln, wenn sie durchgefallen waren. Wir lernten den Unterschied von laufendem und stehendem Gut („nur in eurer Hose ist es ein und dasselbe“). Papendieck zeigte uns, wie man eine Stelling (Planke für Arbeiten außenbords) ansteckt oder einen Bootsmannstuhl (kleinere Ausführung für Arbeiten im Mast). Lotsenleiter, Jakobsleiter, alles wurde uns gründlichst erklärt. Langeweile war ein Fremdwort hier im Takelkeller. Wenn irgendein Fachausdruck im Normalgebrauch eine obszöne Bedeutung hatte, dann wurde das so oft wiederholt, bis wir's intus hatten. „So behaltet ihr das wenigstens im Gedächtnis.“ Eines dieser Worte war „runterholen“.

      Eines Morgens, beim Waschen, wurde überall getuschelt, dass Mayer nachts beim Wixen erwischt worden war. Ein Zimmerkollege hatte ihm mitten in der Nacht die Bettdecke weggezogen und ein anderer hatte schnell das Licht angemacht. So zum Spaß. Jetzt war der arme Mayer in aller Munde und wurde um halb 8 Uhr beim Rapport aufgerufen. Auf die Frage, was vorgefallen war, gestand er fast flüsternd, dass er sich einen runtergeholt habe. 1 Woche Kartoffeln schälen. Und nie wieder, sonst Rausschmiss! Der arme Mayer! Ich glaube, viele litten mit ihm. „Wer macht das nicht?“, hatte ich herausschreien wollen. Hätte ich sollen! Es war eine große Ungerechtigkeit! Die Jüngsten von uns waren 14 und irgendwie muss man den Druck doch rauslassen. Soll es einem denn den Sack zerreißen? Eher sollten die, welche die Decke weggezogen haben, bestraft werden! Aber wir schwiegen! Aus Angst vor Repressalien, und um nicht selber das nächste Opfer zu sein. Als Mayer zum Frühstück in den Speisesaal ging, rief die Grewer durch die Essensausgabe: „Da kommt er ja, Mayer, der alte Wixer.“ Als er Küchendienst hatte, fasste sie ihm an die Eier. „Lass mal sehen, ob du wieder einen Steifen hast, du Wixer!“ Diesen Namen behielt er bis zum Kursende.

      Es ging das Gerücht um, dass auf dem Dachboden aus den Koffern Geld geklaut worden sei. Wir bekamen alle die Leviten gelesen, dass das von Anfang an verboten gewesen sei, und auch in seinem Schrank dürfe man keines aufbewahren. Die 2 Ex-Bundeswehrler und ein paar kräftige Burschen bildeten eine „Befragungskommission“, Gerd, der Heizer, war auch dabei. In seinem Kokskeller tagte dieses Gremium. Die Verdächtigen wurden (ich bin sicher, mit Zustimmung der Schulleitung) beiseite genommen und unter etwas kräftiger Weise dazu gebracht, die Wahrheit, nichts als die Wahrheit, zu sagen. Einmal landete ich durch Zufall in einer dieser Befragungen. Ich wollte eigentlich Gerd besuchen und öffnete die Kellertür. Da sah ich sie alle und dachte, was ist denn da los? Es war da auch einer der Verdächtigen. Sie hatten ihn im Schwitzkasten, einen Arm auf den Rücken gedreht. An diesem Abend hatten sie wohl vergessen, die Tür abzuschließen. Jetzt konnte ich mir auch so manches blaue Auge erklären, hatte es doch keine Schlägereien gegeben. Drei flogen von der Schule. Die „Befragungskommission“ war mehr eine geheime Sache. Niemand sprach darüber, weder die Schulleitung, noch wir. Jeder wollte Ärger vermeiden.

      Eines Morgens, beim Antreten, hisste der Posten feierlich wie immer die Flagge. Während die deutsche Flagge langsam emporstieg, wurden die zwei anderen, die von der Seemannschule und von Hamburg ‚aufgetucht vorgeheißt‘, und in dem Augenblick, wenn die deutsche an der Spitze der Gaffel angekommen war, durch einen kurzen Ruck an der Leine geöffnet. Doch plötzlich wurden die einen starr vor Schreck, andere lachten, denn an der Stelle der Flagge der Seemannsschule flatterte ein Putzlumpen aus der Küche! Es dauerte etwas länger, bis die Schulleitung das entdeckte. Ein schriller Pfiff vom Kapitän, seine Worte überschlugen sich. „Runterholen!“ Wir dachten an Meyer und mussten innerlich lachen. Betraf das uns oder den Lumpen? Anweisungen wurden in alle Richtungen gebellt und übertrieben langsam, so schien uns, kam das Tuch wieder zurück zur Erde. Wutentbrannt, den Kopf knallrot, entfernte sich der Kapitän mit seinem Hund am Schlepptau. Die Lösung des Problems überließ er seinen Offizieren: Rausschmiss der beiden ‚Übeltäter‘! Mit anderen Worten: Ende der seemännischen Laufbahn, bevor sie richtig angefangen hatte.

      Als wir die Schule begonnen hatten, waren wir alle gemessen und gewogen worden. Diese Prozedur wiederholte sich jeden Monat. Es gab da eine Regelung, die besagte, dass Jan Maat (der Seemann) mindestens 1,50 Meter groß sein muss und 50 Kilo schwer. Sonst bestünde Gefahr, dass der Wind ihn fortpuste. Einer von unserer Wache wog nur 46 Kilo. Zum Glück war er aber 1,50 Meter groß, sonst hätten wir ihn in die Länge ziehen müssen. So kümmerte sich nur die Grewerin, unsere Köchin um ihn. Nicht, dass sie ihn mit ins Bett nahm oder die Brust gab, nein, sie verpasste ihm täglich eine doppelte Portion Muschelsuppe. Seine Muscheln nahmen zwar nicht zu, dafür aber sein Bauch. Das sahen wir beim Duschen. Sein Bauch wölbte sich zusehends über seinem kleinen Pimmel und begann Ringe zu bilden.“ Morfi Pipifax“ wurde er von offizieller Seite ab dem ersten Tag benannt und von uns auch. Dieser Name hat ihn bestimmt noch lange begleitet.

      Manchmal zog Peters, der AO (Ausbildungsoffizier) der Backbordwache, sein Schifferklavier heraus. Das und die Kneipen waren sein Element. Das geschah oft abends. Bei diesen kameradschaftlichen Ausbrüchen lernten wir 'ne Menge Shantys. Tagelang gingen sie mir nachher durch den Kopf, wie Ohrwürmer. Oft summte oder sang ich sie vor mich hin, wenn ich Posten Tor oder Hafen ging. Ich kannte alle Texte auswendig. In mir erstanden Bilder von Klippern und Seegang, überkommenden Wellen und Maloche.

      Es gab in Bremervörde den Gesangsverein „Harmonie“. Der lud unseren schnell von Peters gegründeten Schulchor zur Feier seines 100-jährigen Bestehens ein, ins Hotel „Schützenhof“. Peters gab sich größte Mühe, unsere Stimmbänder salonfähig zu machen. Den Rest machte unsere Begeisterung. Wir lernten „Rolling Home“, „Wo die Nordseewellen“, „Drunken Sailor“, „Die Hoffnung“ und so viele andere Songs. Mir war, als vermittelte er mir mehr Wissen über die Segelschifffahrt, als aller Unterricht zusammen. Klar, dass wir an diesem Abend nicht um 10 Uhr in der Schule waren. Fast alle Schüler haben an diesem Gesangsabend teilgenommen, auch wenn viele, wie ich, kaum singen konnten. Nach Mitternacht ging es zurück an Bord. Nur Peters hielt die Stellung und zeigte diesen Landratten, was ein Seemann aushält!

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      Shanty-Abend mit Peters

      Manchmal saßen wir abends im Takelkeller, ein paar Kumpels, um etwas weg vom Lärm zu sein. Ich hatte meine Mundharmonika dabei und versuchte, die bei Peters gelernten Shantys zu spielen, um uns die Zeit zu verschönern. Janke spielte auf seiner Gitarre. Es ging auf Weihnachten zu, es begann zu schneien. Auf Posten Tor durfte man Ölzeug überziehen, aber nicht die Hände in die Taschen! Diese zog ich in die Ärmel zurück, wie eine Schildkröte ihre Flossen in ihren Panzer. Zu dieser Gelegenheit durften


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