Wo ist Faro?. Karl-Heinz Biermann
er weiter, aber nach Aussage des Managers allein unterwegs. Wieso war der ohne Begleitung gewesen? Solche Promis hatten doch immer ihren Anhang, besonders ihre Bodyguards um sich herum.
Der Musiker habe sich per Handy vor dem Kreuzfahrtterminal bei seinem Manager gemeldet, las Kommissar Brandt weiter, und laut Standortverfolgung wurde das Mobiltelefon später noch einmal benutzt – wieder mit der Anwahl der Rufnummer des Managers. Allerdings brach der Anrufversuch ab, noch bevor eine Verbindung zustande kam; er fand fünf Kilometer vom Kreuzfahrtterminal entfernt statt – das seien bisher die Ermittlungen der Polizei gewesen. Es kann doch nicht sein, dass ein Prominenter, ja ein Weltstar, einfach so verschwindet. Zumindest der Taxifahrer, der ihn gefahren hatte, musste doch aufzuspüren sein, kritisierte der Schreiber abschließend in seinem Artikel.
Schmierfink, brummelte der Kommissar und legte das Blatt beiseite. Aber zu denken gab es ihm nicht das erste Mal. Es beschäftigte seitdem auch die Öffentlichkeit außerordentlich, als dies durchgesickert war, nämlich dass es offenbar diesen Taxifahrer gar nicht gab, selbst nach einem Aufruf hatte er sich nicht gemeldet. So obskur, wie es Kommissar Brandt empfand, wähnten viele darin eine Verschwörungstheorie. Warum verschwindet ein Mann, dazu ein Prominenter, einfach mir nichts dir nichts von der Erdoberfläche? Wie auch immer, in ein paar Tagen war der Fall erledigt, warum sollte er sich jetzt noch den Kopf darüber zerbrechen.
Er grübelte trotzdem weiter: Fünf Kilometer vom Kreuzfahrtterminal entfernt, in nördlicher Richtung in der Nähe der Schleuse Holtenau, wie die Standortaufzeichnungen ergeben hatten – der Kommissar startete ein Landkartenprogramm auf seinem Computer und zoomte die Gegend um die Schleuse am Übergang des Nord-Ostsee-Kanals in die Förde heran. Aus der Vogelperspektive verschaffte er sich einen Überblick, obwohl er diese Gegend zur Genüge kannte, und er wusste, dass es möglich war, vor Ort ohne Weiteres bis an die Wasserkante zu gelangen.
Dennoch führte er sich die Lage bequem von seiner Position auf seinem Schreibtischstuhl vor Augen, nur dieses eine Mal wollte er es tun. Danach sollte es ihn sowieso nichts mehr angehen.
Noch einmal sinnierte er darüber, dass es nicht abwegig erschien, wenn dieser Faro betrunken ins Wasser gestürzt war, wie bereits spekuliert wurde. Es hatte an dem besagten Abend seines Verschwindens Frost gegeben, der gerade in Nähe von Wasser zu Glatteisbildung führte. Faro konnte ausgerutscht sein.
War das der Fall gewesen, dann war es bei dem Verkehr auf dem engen Kanal praktisch unmöglich, seine Leiche aufzufinden. Daher hatten die ermittelnden Kollegen nach vergeblicher Suche mithilfe der Wasserschutzpolizei demnächst auch vor, ihre Arbeit einzustellen, brachte der Kommissar bei der grausamen Vorstellung rotierender Schiffsschrauben seine Überlegungen zu Ende.
Jedenfalls war nach ihren bisherigen Erkenntnissen der letzte Aufenthaltsort vor dem Verschwinden des Rockmusikers ausgemacht – oder zumindest der seines Handys. Diese Exoten trieben sich wer weiß wo und mit wem herum, es schien dem Kommissar unbe-rechenbar. Was da passiert war, und warum der angetrunkene Faro – bereits seiner Absicht entsprechend vor dem Kreuzfahrtterminal erschienen – es sich dann anders überlegt hatte?
Er zuckte mit den Schultern und beendete das Computerprogramm und widmete sich wieder seiner Arbeit mit den Prozessakten.
Nach einer Weile blickte er auf, drehte seinen Kopf etwas zur Seite, irgendwie bedrängte ihn da noch ein Gedanke. Doch er sperrte sich dagegen. Sollten sich doch die Kollegen darum kümmern.
Wieder befasste er sich mit seinen Akten, bis er sie beiseite schob. Irgendetwas störte ihn bei der ganzen Angelegenheit. Warum musste sein Chef ihn auch mit dem Fall des Vermissten behelligen, ausgerechnet wenige Tage, bevor man die Akte schließen würde. Er schüttelte seinen Kopf. Er schüttelte ihn aber auch, weil ihn die Sache mit dem Taxi nicht in Ruhe ließ.
Schließlich rief er nun doch die Akte im Computer auf und las, dass alle Taxiunternehmen in Kiel befragt worden waren, ob deren Fahrer oder Fahrerinnen diesen Faro zum Kreuzfahrtterminal chauffiert hatten. Selbstverständlich hätten die Taxifahrer sich an diesen berühmten Prominenten erinnert, und sie hätten geplaudert, umso mehr, dachte der Kommissar, weil der Rockstar betrunken gewesen war.
Nein, und das war es, was ihn unbefriedigt ließ: Es muss ein Taxifahrer gewesen sein, der auf eigene Rechnung fuhr, „schwarz“ sozusagen, und natürlich würde der unbekannt bleiben wollen und nichts preisgeben. Was für eine Arbeit, so eine Person aufzuspüren, das war einfach nicht zu bewerkstelligen. Er zog alle Einwände zurück, die er jemals in diesem Fall seinen ermittelnden Kollegen in Gedanken vorgeworfen hatte. Nein, das war schier unmöglich. So etwas klärte nur Kommissar Zufall auf, dachte er, nach Jahren – da würde der Fall längst vergessen sein.
Mit einem abschätzenden Blick auf die Akten auf seinem Schreibtisch entschloss er sich, außer Haus zu gehen. Den Grund dafür sah er in der nicht unbedingt dringlichen Maßnahme, Faros Manager selbst ein paar Fragen zu stellen, seine Aussagen standen zur Genüge im Computer – und in den Zeitungen. Er wollte einfach nur raus aus seinem Büro. Der Kommissar notierte sich dessen Telefonnummer und Adresse, nahm seinen Mantel vom Haken und machte sich auf den Weg nach draußen.
2
Im Verhalten des Managers spürte Kommissar Brandt durchaus eine unwirsche Ablehnung, die er aber eher einer gewissen Anspannung zuordnete, die – einer bleiernen Schwere gleich – schon die ganz Zeit die
Ermittlungen im Fall des verschwundenen Rockstars begleitete. „Ich verstehe, dass Ihnen meine Fragen auf den Wecker gehen.“ Er nickte wie zum Verständnis. „Es befriedigt uns von der Kripo nicht, und Ihnen gefällt es sicher auch nicht, aber die Nachforschungen nach Ihrem …“, der Kommissar suchte nach dem passenden Ausdruck, „… Schützling? Kann man Schützling sagen? Jedenfalls werden die Nachforschungen nach ihm wohl demnächst eingestellt.“
Der Manager schaute desinteressiert und zuckte mit den Schultern.
„Dieser versuchte Anruf bei Ihnen – können Sie sich vorstellen, warum er von Holtenau ausging? Ihr Faro hätte doch eigentlich schon an Bord sein müssen,
oder?“
Wieder zog der Manager seine Schultern hoch. „Ich hab das alles bereits gesagt – ich weiß es nicht.“ Seine letzten Worte dehnte er betont.
„Betreuen Sie noch andere … Schützlinge?“, war die nächste Frage des Kommissars.
Der Manager schüttelte seinen Kopf. „Nein, nur ihn“, sagte er.
„Warum ist Faro allein zu diesem Kreuzfahrt-terminal gefahren? Ich meine, solchen Promis gesteht man doch Personenschutz zu, wenn sie sich in die
Öffentlichkeit begeben.“
„Es gibt Situationen, da braucht er solche Begleitung nicht.“
„Ach so, ich begreife.“ Die Süffisanz des Kommissars wurde von gekünsteltem Schmunzeln begleitet. „Er hatte eine andere Begleitung. Können Sie mir
Näheres über diese Damen sagen?“
„Unfug“, empörte sich der Manager. „Ich persönlich habe ihn in das Taxi gesetzt! Da waren keine Damen, wie Sie das andeuten.“
„Also war er tatsächlich allein unterwegs.“
„Ja, ich sage nochmals ja. Für diese kurze Fahrt zum Schiff brauchte er wirklich keinen Schutz.“
„Hatten Sie nicht die Befürchtung, dort vor dem Schiff könnten ihn Massen von seinen Fans erwarten? Ich weiß doch, wie so etwas vor sich geht“, konstatierte der Kommissar. „Es soll schon vorgekommen sein, dass man so einem Rockstar die Kleider vom Leib gerissen hat.“
„Alles Legenden“, wiegelte der Manager ab. „Faro ist zwar bei den Fans unglaublich beliebt, aber sie konnten von seinem Eintreffen vor dem Schiff nichts wissen, weil wir die Konzertreise nicht publik gemacht haben, sie sollte eher privater Natur sein.“
„So wie das Konzert, das er noch kurz vorher in
einem Club in der Altstadt gegeben hat. Können Sie mir sagen, wer dort alles dabei