Die Soliamit-Krise. Peter R. Krüger
ihre Glieder gefahren. Doch dieses Etwas hatte weder Gliedmaßen noch einen Kopf oder sonst irgendetwas, das eine beständige Form erkennen ließ. Es stülpte sich in seiner Fortbewegung scheinbar von innen nach außen und nutzte seine gesamte Form, um sich einfach vorwärtszuschieben und alles um sich herum einzunehmen. Es war nicht ersichtlich, ob sich dieses Monstrum vervielfachte oder konstant in seiner Masse blieb.
Doch mit Erschrecken stellte Gella fest, dass der Beschuss durch ihren Handlaser keinerlei Wirkung zeigte, außer dass die orangenen Vertiefungen scheinbar kurz aufleuchteten, so als würde dieses schreckliche Wesen die Energie einfach absorbieren.
Sie drückte ein weiteres Mal ab, als sich die beängstigende Gestalt auf Bilmen und Walt zuschob, doch auch dieses Mal zeigte der Laserstrahl keine Wirkung.
„Einschmelzen!“, brüllte Walt.
Sie erhöhte die Leistung des HM-6.
Das Monster leuchtete auf und schob sich ruckartig vor. Und plötzlich hatte es Bilmen Okan erreicht und verschlang den Professor, indem es sich ohne zu zögern um ihn herum stülpte. Sein Schrei erstickte und sowohl Walt als auch Gella erstarrten vor Schrecken und Entsetzen.
4
Kristallklare Nacht
Die Phönix schwebte beinahe lautlos über die Oberfläche des Planetoiden. Einzig der sirrende Antrieb war zu vernehmen, doch war das Geräusch keineswegs störend. Da der Planetoid selbst eine natürliche Geräuschkulisse erzeugte, welches dem Ton des Antriebs in gewisser Weise ähnlich war, verbanden sich beide Klänge auf nahezu harmonische Weise miteinander.
Liane Chryss und James Smith folgten ihrer Order, die ihnen ihr Commander aufgetragen hatte, ohne die jüngsten Geschehnisse an Bord der JAGELLOVSK zu ahnen. Die Kommunikation war seit etwa einer Stunde unterbrochen, doch bislang deutete nichts darauf hin, dass die anderen Besatzungsmitglieder in irgendwelchen Schwierigkeiten stecken könnten.
So waren die beiden vollauf damit beschäftigt, den Planetoiden zu erkunden und seine Position über die Astrodatenbank zu bestimmen.
„Der Ausschlag bei dieser Anzeige hier ist merkwürdig“, unterbrach James die Ruhe, die seit einiger Zeit in der Phönix herrschte. Beide Besatzungsmitglieder konzentrierten sich auf ihre Aufgabe und hatten deshalb eine Weile kein Wort mehr miteinander gewechselt.
Als Liane mit einem kurzen Schreckensruf die Luft einzog, sah er sie erstaunt an, bis sie sogleich erklärte: „James, du hast mich erschreckt. Ich war so tief in der Triangulation versunken.“ Jetzt kicherte sie verlegen. „Tut mir leid. Ich weiß ja, dass wir hier gemeinsam im Beiboot sitzen, aber ich ...“
„Mach dir keine Gedanken darüber“, unterbrach er sie und musste ebenfalls lächeln. „Das ist ganz normal. Aber guck dir mal diese Anzeige an! Da stimmt doch irgendetwas nicht.“ Mit einem Finger deutete er auf das holografische Display.
Liane beugte sich zu ihm herüber und runzelte kurz darauf ihre Stirn.
„Du hast Recht. Das ist nicht normal. Behalte das im Auge, ja? Ich muss nur eben die Positionsbestimmung beenden.“
Er fixierte die Anzeige, während er versuchte, mehr von ihr darüber zu erfahren. „Liane, ich bin Arzt und kein Planetologe. Was hat das zu bedeuten?“
Doch sie ließ sich nicht beirren. „Das untersuchen wir gleich. Lass mich das hier mal eben beenden.“
„Mal eben“, murmelte er unzufrieden vor sich hin, beließ es dann aber dabei. Er entschloss sich, die Phönix in eine Position zu bringen, aus der sie die Ungleichmäßigkeiten der Analysesensoren gut überprüfen und nötigenfalls beobachten konnten. Doch nur einen Moment später normalisierte sich die Anzeige, als wäre nichts passiert.
„Es ist weg“, maulte er. Er war sich sicher, dass sie irgendeine Erkenntnis aus der Anzeige erhalten hätten, wenn nicht er, sondern Liane oder besser noch Professor Bilmen Okan an der Anzeige gesessen hätte.
Doch Liane schien das nicht zu kümmern. Offenbar war ihre Neugier nicht angefacht worden, denn sie tat seine Äußerung nur mit einem lapidaren „Schade“ ab, während sie sich weiterhin auf die Positionsbestimmung konzentrierte.
James überlegte, ob es besser gewesen wäre, wenn Bilmen mit in der Phönix gesessen hätte und kam schnell zu der Überzeugung, dass sich der Professor auf die seltsamen Daten gestürzt hätte. Doch andererseits gab es derzeit keinen besseren Platz für ihn selbst. Als Mediziner hätte er weder beim Mineralabbau helfen können, noch wäre er bei den Arbeiten an Bord der JAGELLOVSK hilfreich gewesen. Innerlich musste er Walt zustimmen, dass es am besten war, Liane bei dieser Außenmission zu begleiten. Doch Hilfsarbeiten auszuführen und darauf zu warten, dass sich jemand anderes um etwas kümmerte, woran er gerade arbeitete, das war etwas, mit dem er nicht gut umgehen konnte.
Seine Konzentration ließ nach. Er starrte Löcher in die Luft und sah nacheinander aus den runden Fenstern der Phönix. Liane war derart in ihre Arbeit vertieft, dass sie vermutlich nicht einmal merken würde, wenn er plötzlich sanft entschliefe.
Das wäre wirklich Ironie des Schicksals, dachte er, wenn der Bordarzt unbemerkt vor Langeweile stirbt.
Zu seiner eigenen Überraschung ertappte er sich daraufhin, dass er sich vorstellte, wie eine technische Fehlfunktion Liane verletzte und sich dadurch herausstellte, dass es der weiseste Entschluss des Commanders war, den Bordarzt mit in diese Phönix zu setzen. Kein anderer hätte dann so gut helfen können wie er.
„Ein Königreich für ein Pferd“, seufzte er gelangweilt.
„Was meinst du?“ Die Art, wie sie nebensächlich fragte, ließ ihn vermuten, dass sie seine Worte gar nicht richtig gehört hatte, sondern nur, dass er ein Geräusch gemacht hatte.
Während er erneut aus einem der Fenster sah, um die kristallklare Dunkelheit zu betrachten, antwortete er gelangweilt: „Ach, nichts.“
Das Ganze konnte noch stundenlang so weitergehen. James hatte sich den Dienst beim Sternenlicht Sicherheitsdienst anders vorgestellt. Während sich die meisten SSD-Mitarbeiter vermutlich aufregende Abenteuer, gefährliche Aufklärungsmissionen oder spannende Geheim- operationen erwarteten, war es sein Ziel, der Mannschaft eines Kreuzers der ORION-Klasse die bestmögliche medizinische Hilfe zu gewährleisten. Dafür war er ausgebildet worden und genau das war es, was er wollte. Natürlich gehörte zur Ausbildung auch grundlegendes Wissen über verschiedene andere Bereiche dazu. Technik, Raumfahrt, Kommunikation, Diplomatie, Schusswaffengebrauch und auch die Grundlagen der Bedienung aller Bordsysteme. Schließlich musste sich die Besatzung in einem Notfall allein helfen können, auch wenn einer der Spezialisten aus irgendeinem Grund nicht zur Verfügung stand.
Aber selbst, wenn ihm manche der Unterweisungsthemen während seiner Ausbildung weniger interessiert hatten, so stellte er sich die Situationen, in denen er dieses Wissen hätte gebrauchen können, doch wesentlich aufregender vor.
Sich in einer Phönix vor einem Display zu langweilen, auf dem nichts geschah, war so ziemlich das Letzte, was er sich als Aufgabe hätte vorstellen können.
Er stieß einen Seufzer aus und wollte gerade dazu ansetzen, etwas zu Liane zu sagen, als ein erneuter Ausschlag anzeigte, dass sich das Phänomen von eben wiederholte.
Flugs kontrollierte er die Lage der Phönix und versicherte sich dadurch, dass sie noch immer dieselbe Position innehatten.
„Da ist es wieder!“ Mit einem Mal waren alle trüben Gedanken wie weggewischt.
Doch Liane war weniger begeistert. „Ach, James. So beende ich nie die Berechnungen. Warum kannst du nicht einfach ...“. Doch was auch immer sie hatte sagen wollen, blieb ihr im Halse stecken, als sie ebenfalls auf das Display sah.
Mit einer fast schon kindlichen Neugier folgte James einer plötzlichen Eingebung und programmierte die Analysesensoren auf einen ganz speziellen Algorithmus um. Unterdessen stand Liane auf und sah aus einem der runden Fenster hinaus. Er wusste nicht, was sie draußen wahrnehmen konnte, war sich aber sicher, dass ihre Beobachtung mit seiner Vermutung übereinstimmen würde.
„Wie