Rudolf Cronau: Drei Jahrhunderte deutsches Leben in Amerika - Teil 2. Rudolf Cronau
hörten sie von allerhand in den Ansiedlungen umlaufenden Verdächtigungen. Die Herrnhuter seien verkappte Papisten und französische Spione, welche das Land auskundschaften und mit Hilfe der Indianer bei der ersten passenden Gelegenheit den Franzosen in die Hände spielen wollten.
Diese absurden Behauptungen wurden mit solcher Bestimmtheit verbreitet, dass die Behörden der Kolonie sich beunruhigt fühlten. Sie luden die Missionare unzählige Male zum Verhör vor, schleppten sie von einem Richter zum andern, endlich sogar vor den Gouverneur. Der Umstand, dass die Herrnhuter, den Satzungen ihrer Gemeinschaft entsprechend, sich weigerten, den ihnen abgeforderten Treueid gegen das englische Königshaus zu schwören, wurde von ihren Widersachern in der schlimmsten Weise ausgebeutet. Sie erwirkten bei der gesetzgebenden Körperschaft der Kolonie eine Verordnung, wonach alle Personen, die aus irgendeinem Grunde sich weigerten, den Eid der Treue zu leisten, des Landes verwiesen werden sollten. Durch eine zweite Verordnung wurde den Herrnhutern als verdächtigen Personen verboten, ihr Bekehrungswerk fortzusetzen.
Müde dieser Belästigungen, – Welch engherziger Geist die Behörden erfüllte, ergibt sich aus folgender Rechtfertigung, welche der damalige Gouverneur der Kolonie New York als Antwort auf eine vom Grafen Zinzendorf bei der Regierung in London eingereichten Beschwerde im Mai 1746 einsandte. Dieselbe lautet: „Seit einiger Zeit wird die Kolonie von verdächtigen Subjekten und strolchenden Predigern heimgesucht, welche das Volk verführen und sich für besser als andere halten. Sie stehen sogar im Verdacht, päpstliche Emissäre zu sein und Aufstände unter Seiner Majestät getreuen Untertanen zu beabsichtigen. Sie wollen die Indianer und Neger bekehren; als ob man Menschen trauen könnte, die sich mit Schwarzen abgeben. Diese Mährischen Brüder haben sich vor allem in Pennsylvanien festgesetzt, wo das Übergewicht der Deutschen bereits so groß ist, dass sie bald die englische Bevölkerung verdrängen werden. Sie machen jetzt auch in unserem Staat Proselyten, sind dabei ehrgeizige, eitle Menschen, welche, statt bei dem erlernten Handwerk zu bleiben, den Pfarrer spielen und mit ihren unverständlichen Lehren die Massen bethören. Vor ihnen muss man sich ganz besonders hüten. In Schekomeko ließen sich einzelne Herrnhuter dauernd nieder, heirateten Indianerinnen und erregten dadurch den Argwohn sowie die Eifersucht der benachbarten Weißen. Wir fürchten umso mehr, dass sie die Indianer verführen möchten, als sie ohne Erlaubnis der Behörde ins Land kamen und dem König den Treueid nicht leisten wollen. Daraus geht hervor, dass sie Böses im Schilde führen, dass sie verkappte Papisten sind und dass ihnen recht geschehen ist auf Grund des königlichen Befehls, wonach kein Weißer unter dem Vorwand der Bekehrung der Indianer unter diesen wohnen darf.“ (Documentary History of the State of New York, 1022-1027.) – während welcher einer der Brüder sieben Wochen lang in Haft gehalten wurde, entschlossen sich die Herrnhuter endlich, mit den bekehrten Indianern nach Pennsylvanien überzusiedeln. In der Nähe von Bethlehem legten sie im Jahre 1746 das Indianerdorf Gnadenhütten an, wo die Rothäute unter der Leitung der Herrnhuter sich dem Ackerbau widmeten. Für religiöse Zwecke diente ein aus Baumrinde gezimmertes Kirchlein. Auch baute man zwei Schulen, in denen die indianische Jugend je nach ihrem Geschlecht von herrnhutischen Brüdern und Schwestern Unterricht empfing. Im Jahre 1749 zählte Gnadenhütten bereits 500 Bewohner.
Der Herrnhuter Missionar David Zeisberger predigt den Indianern im Quellgebiet des Ohio. Nach einem Gemälde von Christian Schüssele.
Ähnliche Misshelligkeiten wie die Brüder in Schekomeko erlebte der Missionar David Zeisberger unter den Delawaren und Irokesen. Er hatte bei denselben freundliche Aufnahme gefunden, wurde aber im Jahre 1756 von einem weißen Schnapshändler bei den Onandagas schrecklich misshandelt.
Im Jahre 1772 drang Zeisberger als einer der ersten Weißen in das heutige Ohio vor, und gründete am Tuscarawasfluss das große Indianerdorf Schönbrunn.
Von hohem Interesse sind die Verordnungen, welche dieser ersten christlichen Niederlassung in Ohio gegeben wurden. Sie lauten:
1 Wir erkennen und verehren keinen anderen Gott als ihn, der uns erschaffen und mit seinem kostbaren Blut erlöset hat.
2 Der Sonntag ist der Ruhe nach der Arbeit und dem Gottesdienst geweiht.
3. Wir wollen Vater und Mutter ehren und in Alter und Not unterstützen.
4 Ohne Erlaubnis unsrer Lehrer ist niemandem die Niederlassung unter uns gestattet.
5 Diebe, Mörder, Trunkenbolde, Ehebrecher und Wüstlinge werden nicht unter uns geduldet.
6 Wer an Tänzen, heidnischen Opfern und Festen teilnimmt, ist von unsrer Gemeinde ausgeschlossen.
7 Ebenso, wer bei der Jagd heidnische Zaubersprüche anwendet.
8 Alle Gaukelkünste, Lügen und Tücken Satans seien verbannt.
9 Unseren Lehrern wollen wir Gehorsam erzeigen, ebenso den Nationalhelfern (so wurden solche Indianer geheißen, die sich durch gesitteten Lebenswandel besonders auszeichneten), die ernannt sind, Ordnung in- und außerhalb der Stadt aufrecht zu halten.
10 Trägheit, Verleumdung und Gewalttätigkeiten seien aus unserer Mitte verbannt. – Wir wollen in Frieden und Eintracht wohnen.
11 Wer eines anderen Herde, Güter oder Effekten schädigt, soll Schadenersatz leisten.
12 Ein Mann soll nur ein Weib haben, es lieben und für es und ihre Kinder sorgen. Zugleichen soll ein Weib nur einen Mann haben und ihm gehorchen. Es soll für die Kinder Sorge tragen und reinlich sein in allen Dingen.
13 Rum oder geistige Getränke dürfen nicht nach unserer Stadt gebracht werden. Kommen Fremde oder Händler mit solchen an, so sollen die Helfer diese Dinge in Besitz nehmen, sorgfältig aufbewahren und sie ihnen erst bei der Abreise wieder zustellen.
14 Kein Einwohner soll bei Händlern Schulden machen oder Güter in Kommission nehmen für Händler ohne Zustimmung der Nationalhelfer.
15 Ohne Erlaubnis des Kirchenvorstandes oder der städtischen Verwalter darf niemand sich auf Reisen oder einen langen Jagdzug begeben.
16 Ohne Erlaubnis und den guten Rat ihrer Eltern dürfen junge Leute sich nicht verheiraten.
17 Wenn die städtischen Helfer oder Verwalter die Hilfe der Einwohner zu öffentlichen Bauten und Arbeiten, wie Versammlungsorte und Schulen, für Klären und Einzäunen von Land und dergleichen fordern, so sollen sie Gehorsam finden.
18 Alle für das Gesamtwohl notwendigen Beiträge sollen freudig geleistet werden.
Diesen Verordnungen wurden später noch die folgenden hinzugefügt:
19 Wer in den Krieg gehen, das heißt Menschenblut vergießen will, kann fürder nicht unter uns wohnen.
20 Wer von Kriegern Kriegsartikel kauft mit dem Vorwissen, dass dieselben gestohlen oder erplündert, muss uns verlassen. Denn es ist dieses nicht anders, als eine Ermutigung zu Mord und Diebstahl.
Diese Verordnungen, die alljährlich in öffentlicher Versammlung verlesen wurden, weckten in den Bewohnern jenes Gefühl der Solidarität, das später auch für die Ansiedlungen der Weißen in jenen Gegenden bezeichnend und für die kulturelle Entwicklung der Vereinigten Staaten von so außerordentlicher Bedeutung werden sollte.
Das tägliche Leben in den christlichen Indianerdörfern glich, wie nicht anders zu erwarten, dem der Herrnhuter in Bethlehem. Die im Ackerbau und in Handwerken unterrichteten Indianer erwiesen sich meist als sehr gelehrige Schüler. Auch für Musik und Künste zeigten sie sich empfänglich.
In Gemeinschaft mit Zeisberger wirkten die Missionare Johann Georg Jungmann, Johann Ettwein, Johann Heckewelder, Johannes Roth u. a. Sie gründeten später in dem fruchtbaren Tal des Muskingum die christlichen Indianerdörfer Gnadenhütten, Salem und Lichtenau. In diesen von Mohikanern und Delawaren bewohnten Stätten wurden die ersten weißen Kinder in Ohio geboren, in Gnadenhütten am 4. Juli 1773 dem Missionar Roth ein Sohn, am 16. April 1781 in Schönbrunn dem Missionar Heckewelder eine Tochter.
Später entstanden noch die Missionen Friedenshütten, Gnadental und Schamokin-Gnadenhütten.
Gnadenhütten