Vier Todesfälle und ein Tankstellenraub & Der tote Kapitän im Wald. Eberhard Weidner

Vier Todesfälle und ein Tankstellenraub & Der tote Kapitän im Wald - Eberhard Weidner


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zweifelndem Gesichtsausdruck.

      »Ich ging davon aus, dass ich keinen benötige«, antwortete Schäringer. »Ich kann natürlich einen richterlichen Beschluss besorgen, wenn Sie so viel Wert darauf legen, Herr Schneider, allerdings kostet mich das wertvolle Zeit. Und wie Sie vielleicht aus dem Fernsehen wissen, sind nach einem Todesfall, gleichgültig ob Mord oder Suizid, die ersten Stunden für den Erfolg der polizeilichen Ermittlungen die entscheidendsten. Kann ich also bitte die Aufzeichnungen haben, um auf diesem Weg unter Umständen rasch die Identität der unbekannten Toten herauszufinden?«

      Schneider seufzte. »Na gut. Sie bekommen die Aufnahmen. Sie werden in digitaler Form gespeichert. Ich lasse sie von unserem Computerfachmann auf eine Daten-DVD überspielen. Aber zuvor hätte ich doch noch eine Frage.«

      »Nur zu.«

      »Wie wollen Sie bei den unzähligen Fahrzeugbewegungen und dem ständigen Kommen und Gehen auf unserem großen Parkplatz den einen Wagen finden, der möglicherweise Ihrer Selbstmörderin gehört? Das kommt mir vor wie die Suche nach der Nadel im Heuhaufen.«

      »Der Vergleich kam mir auch schon in den Sinn. Aber keine Sorge, Herr Schneider, ich hab schon eine Idee. Allerdings habe auch ich noch eine letzte Frage an Sie. Wissen Sie zufällig, wie hoch die durchschnittliche Verweildauer Ihrer Gäste an der Raststätte ist?«

      »Das kann ich Ihnen sogar ziemlich genau sagen. Unsere Gäste bleiben durchschnittlich 20 Minuten, bevor sie sich wieder ins Auto setzen und zurück auf die Autobahn fahren.«

      »Vielen Dank für Ihre Hilfe«, sagte Schäringer und nickte mit nachdenklicher Miene.

      5.

      Fürstenfeldbruck, Gerichtsmedizin

      11. April 2013, 12:32 Uhr

      Nachdem Schäringer seinen Wagen auf dem Parkplatz des Gebäudes abgestellt hatte, in dessen Kellern die Gerichtsmedizin untergebracht war, sah er auf die Uhr und schüttelte den Kopf. Schon Viertel nach elf. Und dabei hatte er heute noch so viel vor. Die Zeit lief ihm förmlich davon.

      Er hatte schon den Taxifahrer, der ihn von der Raststätte zu seinem Wagen gebracht hatte, zur Eile angetrieben, indem er ihm seinen Dienstausweis gezeigt und gesagt hatte, er solle Gas geben. Der gute Mann hatte aber, anders als im Fernsehen, weder seinen Führerschein noch seine Taxikonzession aufs Spiel setzen wollen, und sich an alle Geschwindigkeitsbeschränkungen und Verkehrsregeln gehalten. Schäringer konnte ihm sein gesetzestreues Verhalten allerdings schlecht verübeln und hatte ihm nach der Fahrt zu seinem Auto dennoch ein angemessenes Trinkgeld gegeben.

      Er stieg aus und eilte zum Eingang des Gebäudes. Wahrscheinlich würde er hier ohnehin nicht so lange brauchen, da die Leichen von letzter Nacht vermutlich noch gar nicht alle obduziert worden waren. Aber vielleicht konnte er dennoch schon ein paar erste Eindrücke und Erkenntnisse mitnehmen, die ihm bei seinen weiteren Ermittlungen halfen. Und dazu war es immer besser, wenn man persönlich vorbeikam. Am Telefon waren die Gerichtsmediziner, die er kannte, in der Regel kurz angebunden und abweisend, weil sie ständig zu viel um die Ohren hatten und nicht bereit waren, dauernd jedem Auskunft zu erteilen. Wenn er sie allerdings in den unterirdischen Fluren ihres Reiches persönlich aufsuchte und nicht lockerließ, kamen sie nicht umhin, ihm irgendetwas Verwertbares mitzuteilen, um ihn endlich wieder loszuwerden.

      Er fuhr mit dem Aufzug in den Keller und marschierte durch den kühlen Flur, in dem es süßlich roch, in Richtung der Sektionsräume. Er sah sich suchend um. Die Tür zum ersten Sektionsraum stand offen. Einer der Sektionsassistenten spülte mit einem Wasserschlauch den Sektionstisch ab. Der Geruch, der aus dem Raum in den Flur wehte, ließ es Schäringer angeraten erscheinen, kurzzeitig die Luft anzuhalten. Die Tür zum nächsten Sektionsraum war geschlossen, und eine Stimme war dahinter zu hören. Doch im gleichen Moment, als Schäringer sie passierte, öffnete sie sich, und Dr. Dieter Mangold, einer der Gerichtsmediziner, die der Kriminalbeamte gut kannte, kam heraus.

      »Ah, Doktor Mangold. Wie gut, dass ich Sie treffe«, sagte Schäringer, änderte die Richtung und ging auf den Mediziner zu, bevor dieser wieder im Sektionsraum verschwinden konnte. Er verzichtete allerdings darauf, dem anderen seine Hand entgegenzustrecken, da ihm das Händeschütteln an diesem Ort aus naheliegenden Gründen nicht angeraten erschien. Wer wusste schon, in welcher Körperöffnung die Hand des Leichenschnipplers gerade eben noch gesteckt hatte und ob er sich danach auch wirklich ganz gründlich die Hände gewaschen hatte.

      »Ach, Sie sind das, Schäringer«, sagte Mangold und verzichtete seinerseits darauf, angesichts des überfallartigen Besuchs des Polizisten genervt die Augen zu verdrehen. Er war nur wenige Zentimeter kleiner als Schäringer, aber fast doppelt so breit. Es war allgemein bekannt, dass er ein Toupet trug, um die kahle, kreisrunde Stelle auf seinem Schädel zu kaschieren. Unwahr war allerdings das Gerücht, dass er es einer Leiche entnommen hatte, deren Haarfarbe zufällig genau seiner eigenen, ein sehr dunkles Schwarzbraun, entsprochen hatte. »Ermitteln Sie in den Mordfällen in Oberhofberg von letzter Nacht?«

      »Ja. Wurden die Leichen etwa schon obduziert? Und können Sie mir in dem Fall schon jetzt etwas darüber sagen? Dann muss ich nämlich nicht warten, bis ich den offiziellen Obduktionsbericht auf meinem Schreibtisch liegen habe.«

      »Sie haben Glück, Schäringer. Vor zwei Stunden hatte ich den erschossenen Tankstellenangestellten und gerade eben den ertrunkenen Autodieb unterm Messer. Und sobald mein Assistent die Einzelteile der Selbstmörderin zusammengepuzzelt hat, nehme ich mir die auch noch vor. Für das andere Mordopfer ist allerdings Kollege Stürmer zuständig. Wenn Sie zu diesem Fall Fragen haben, müssen Sie sich schon an ihn wenden. Ich mach jetzt erst einmal Mittagspause. Begleiten Sie mich doch einfach ein Stück.«

      Die beiden Männer setzten sich in Bewegung und gingen in Richtung Aufzug.

      »Was können Sie mir über Fabian Becker erzählen? Das ist der Kassierer, der erschossen wurde.«

      »Ein glasklarer Fall. Der arme Tropf wurde von einem einzigen Projektil aus einem Abstand von weniger als einem Meter in die Regio frontalis …« Der Pathologe deutete mit dem Zeigefinger auf die Mitte seiner Stirn. »… getroffen und war auf der Stelle mausetot. Vermutlich wurde er sogar beim Essen erschossen, denn es befanden sich noch unverdaute Reste seiner letzten Mahlzeit – Weißbrot, belegt mit grober Salami – in seinem Magen. Ansonsten hat die Untersuchung keine Auffälligkeiten ergeben. Tut mir leid, dass ich Ihnen diesmal bei Ihren Ermittlungen nicht weiterhelfen kann. Aber vielleicht kann Ihnen die Ballistik etwas über die Kugel erzählen.«

      »Und was hat die Untersuchung des ertrunkenen Autodiebs ergeben? Gab es da irgendwelche Auffälligkeiten?«

      Sie hatten den Fahrstuhl erreicht. Mangold drückte den Rufknopf, dann warteten sie darauf, dass die Kabine kam und die Türen sich öffneten. Der Gerichtsmediziner runzelte die Stirn, als er den Kriminalbeamten ansah.

      »Wieso interessieren Sie sich für den Autodieb? Das ist doch gar nicht Ihr Fall, oder?«

      »Ich will nur sichergehen, dass es keine Verbindung zu unseren beiden Mordfällen gibt. Immerhin besteht bereits ein sehr enger zeitlicher und räumlicher Zusammenhang zwischen all diesen Vorfällen. Sogar der vermeintliche Selbstmord könnte dazu passen.«

      Mangold schürzte die Lippen und nickte. »Klingt einleuchtend. Nun, zum dämlichen Autodieb, wie unsere Sektionsassistenten ihn getauft haben, kann ich Ihnen vorab schon mal Folgendes erzählen: Der Mann ist zweifellos ertrunken, war nicht angeschnallt und hatte eine frische Platzwunde auf der …« Er hob die Hand und deutete auf seine Stirn.

      »… Regio frontalis«, ergänzte Schäringer.

      »Korrekt! Vermutlich prallte er mit dem Kopf gegen das Lenkrad, als der Wagen ins Wasser fuhr und dabei abrupt abgebremst wurde. Er verlor das Bewusstsein und konnte sich deshalb nicht mehr aus dem versinkenden Auto befreien.«

      »Keine Anzeichen von Fremdeinwirkung?«

      »Doch«, sagte Dr. Mangold im selben Augenblick, als sich die Fahrstuhltüren vor ihnen öffneten. Sie gingen in die Kabine, und der Mediziner drückte die Taste fürs Erdgeschoss.


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