1984. George Orwell

1984 - George Orwell


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nur daran lag, dass er Katherine besser kannte als die meisten anderen Leute – dass sie den dümmsten, vulgärsten und leersten Verstand hatte, dem er jemals begegnet war. Sie hatte keinen einzigen Gedanken im Kopf, der nicht ein slogan war, und es gab keinen Schwachsinn, absolut keinen, den sie nicht fähig war zu schlucken, wenn die Partei ihn von sich gegeben hatte. Und so hatte Winston seine Ehefrau heimlich bald nur noch „die menschliche Tonspur“ genannt.

      Dennoch hätte er es ertragen können, mit ihr zu leben, wenn es da nicht noch diese eine Sache gegeben hätte: Sex.

      Sobald er Katherine berührte, schien sie vor ihm zurückzuweichen und sich zu versteifen. Sie zu umarmen, war beinahe so, wie sich einer Holzpuppe körperlich nähern zu wollen. Und besonders seltsam erschien es Winston, dass er selbst dann, wenn Katherine ihn an sich zog, das Gefühl hatte, dass sie ihn gleichzeitig mit all ihrer Kraft wegstieße. Die Starrheit ihrer Muskeln vermittelte diesen Eindruck. Sie lag mit geschlossenen Augen da und leistete weder Widerstand, noch zeigte sie Initiative, sondern es war nichts weiter als UNTERWERFUNG. Es war außerordentlich peinlich, und nach einer Weile war es schrecklich. Aber selbst unter diesen Umständen hätte Winston es ertragen können, weiterhin mit Katherine zu leben, wenn sie einfach beide dazu bereit gewesen wären, dann eben auf Sex gänzlich zu verzichten. Doch seltsamerweise war es Katharine, die dies ablehnte. Sie müssten, so sagte sie, ein Kind produzieren, wenn sie könnten. Also fand, mit schöner Regelmäßigkeit, einmal in der Woche, die grausliche Vorstellung weiterhin statt, wann immer es nicht unmöglich war. Sie erinnerte ihn sogar morgens daran, was an diesem Abend getan werden musste und nicht vergessen werden durfte. Sie hatte zwei Bezeichnungen dafür: Der eine lautete „ein Baby machen“, der andere „unsere Pflicht für die Partei erfüllen“ (ja, diesen Ausdruck hatte sie tatsächlich benutzt). Ziemlich bald bekam Winston jedes Mal Angstzustände, wenn der verabredete Tag näher rückte. Aber zum Glück entstand bei alldem kein Kind, und so willigte Katharine am Ende darin ein, den Versuch aufzugeben, eins zu zeugen, und bald darauf trennten sie sich.

      Winston seufzte unhörbar. Er nahm den Stift wieder in die Hand und schrieb:

      Die Frau warf sich auf das Bett und auf einmal, ohne jede Art von Ankündigung und auf eine unglaublich grobe, kaum vorstellbar schreckliche Art zog sie ihr Kleid hoch. Ich...

      Er sah sich dort im schwachen Lampenlicht stehen, mit dem Geruch von Ungeziefer und billigem Parfum in der Nase und in seinem Herzen ein Gefühl der Niederlage und von Abneigung, die sich schon zu diesem Zeitpunkt mit dem Gedanken an Katharines weißen Körper vermischte, der für immer erstarrt war durch die hypnotisierende Kraft der Partei. Und Winston fragte sich: Weshalb musste es immer so sein? Weshalb konnte er nicht eine Frau für sich allein haben anstatt dieser schmutzigen Rammeleien in Abständen von mehreren Jahren? Aber eine echte Liebesbeziehung war eine fast undenkbare Sache: Die Frauen der Partei waren alle gleich, und Keuschheit war in ihnen ebenso tief verwurzelt wie Parteitreue. Durch sorgfältige frühe Konditionierung, durch Spiele und kaltes Wasser, durch den Müll, der ihnen in der Schule und bei den Spies und in der Youth League eingetrichtert wurde; durch Vorträge, Paraden, Lieder, Parolen und Militärmusik war das natürliche Gefühl aus ihnen vertrieben worden. Winston wusste, dass es schon aus Gründen der Wahrscheinlichkeit einfach Ausnahmen geben musste, aber sein Herz war nicht mehr in der Lage, das zu glauben. Sie waren alle so uneinnehmbar, wie die Partei beabsichtigte, dass sie es sein sollten. Und was er wollte, sogar noch mehr, als geliebt zu werden, war es, diese Mauer der Tugend niederzureißen, und wenn es nur ein einziges Mal in seinem ganzen Leben sein sollte. Der sexuelle Akt, erfolgreich ausgeführt, war eine Rebellion. Begehren war thoughtcrime. Selbst Katharine aufgeweckt zu haben, wenn er es hätte schaffen können, wäre wie eine verbotene, strafbare Verführung gewesen, obwohl sie doch seine Frau gewesen war.

      Aber das Ende der Geschichte musste nun noch niedergeschrieben werden. Also fuhr Winston fort:

      Ich drehte das Licht hoch. Als ich sie ansah...

      Nach der vorher herrschenden Dunkelheit war ihm das schwache Licht der Paraffinlampe sehr hell erschienen. Zum ersten Mal konnte er die Frau richtig sehen. Er war weiter auf sie zugegangen und dann stehengeblieben, voller Geilheit und Angst. Ihm wurde schmerzlich das Risiko bewusst, das er eingegangen war, als er hierhergekommen war. Es war durchaus möglich, dass die patrols ihn erwischen würden. Sie könnten sogar gerade jetzt vor der Tür auf ihn warten. Sogar dann, wenn er wegginge, ohne das zu tun, weshalb er hierhergekommen war...

      Es musste aufgeschrieben werden; es musste nun gestanden werden: Im Schein der Lampe hatte er gesehen, dass die Frau ALT gewesen war. Die Farbe auf ihrem Gesicht war so dick aufgetragen, dass es aussah, als könnte es wie eine Pappmaske zerspringen. Ihr Haar war voller weißer Strähnen, aber das wahrhaft schreckliche Detail war, dass sich ihr Mund ein wenig geöffnet hatte und nichts außer einer höhlenartigen Schwärze enthielt: Sie hatte überhaupt keine Zähne mehr.

      Winston schrieb gehetzt weiter, in krakeliger Handschrift:

      Als ich sie ansah, erkannte ich, dass sie eine sehr alte Frau war, mindestens fünfzig. Aber ich machte weiter und tat es trotzdem.

      Er drückte seine Finger wieder gegen seine Augenlider. Endlich hatte er es aufgeschrieben, aber es machte keinen Unterschied: Die Therapie hatte nicht funktioniert. Der Drang, sinnlos schmutzige Worte hinauszubrüllen, war so stark wie eh und je.

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