Gezeitenstrom. Karl-Heinz Biermann

Gezeitenstrom - Karl-Heinz Biermann


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hier auf der Insel“, sagte die Pensionswirtin spitz.

      „Dann wissen Sie auch ihren Namen, wo sie wohnt.“

      Die Pensionswirtin hob ihre Schultern an. „Eine Frau Nielsen, soviel ich weiß.“ Sie ließ ihre Schultern wieder fallen.

      „Und … wo wohnt sie?“, fragte der Kommissar gelangweilt klingend noch einmal nach der Adresse der Toten.

      „Sie kommt, soviel man hier weiß, aus Hamburg. Sie ist immer nur für ein paar Tage auf der Insel, dann fährt sie wieder aufs Festland zurück.“

      „Der Bürgermeister – ist der verheiratet?“

      „Selbstverständlich.“

      „Weiß seine Frau von seinem Verhältnis?“

      „Das müssen Sie Lina Olsen schon selber fragen“, reagierte die Pensionswirtin schroff.

      „Lina Olsen? Ist das seine Frau? Ich nehme an, dass seine Geliebte nicht in seinem Haus wohnte, wenn Sie hierherkam?“

      Die Pensionswirtin wischte mit einem Tuch über die Anrichte in der einen Ecke des Raumes.

      „Sagen Sie nicht, sie wohnte hier in Ihrer Pension“, brachte sich Kriminalmeister Wagner dazwischen.

      Kommissar Brandt schüttelte unwirsch mit dem Kopf. „Wo wohnt der Bürgermeister?“, fragte er die Frau.

      „Uthlandstraße in Ostersiel, bisschen weiter als die Polizeiwache, finden Sie leicht.“

      Der Kommissar leerte seine Tasse Kaffee. „Na, dann nehmen wir uns mal den Bürgermeister vor.“

      Kriminalmeister Wagner kam augenblicklich von seinem Stuhl hoch, wischte sich im Stehen seinen Mund ab und warf die Serviette auf den Tisch.

      „Sind Sie denn auch genügend satt geworden?“, spöttelte sein Vorgesetzter. Der Kommissar ging hinaus zum Dienstauto, die schnellen Schritte des jungen Kollegen hörte er hinter sch. „Lassen Sie die Angaben der Wirtin über die Tote von den Hamburger Kollegen be­stätigen.“ Wie gewohnt setzte er sich ans Steuer, Wagner nahm auf dem Beifahrersitz Platz. „Übrigens, die von der Spurensicherung stellten DNA von der Toten auch in dem Haus neben dem Leuchtturm fest.“

      „Und die genaue Tatzeit?“, wollte der Kriminalmeister wissen. „Ich denke, die haben wir doch sicher auch in den Unterlagen der Spurensicherung.“

      „Tatzeit? Die Frau ist schwer gestürzt, wieso sprechen Sie dann von einer Tat?“

      „Vielleicht ist sie doch vom Leuchtturm gefallen, vielleicht hat jemand nachgeholfen.“

      Kommissar Brandt schüttelte nur stumm seinen Kopf.

      „Haben wir nun eine Tatzeit?“, beharrte Wagner.

      „Vorgestern, abends“, brummte der Kommissar.

      „Und wann genau?“

      „Schauen Sie sich die Unterlagen an, da, in der Mappe.“ Er wies nach hinten auf die Rücksitze.

      Um die Mittagszeit waren die Beamten der Kieler Kripo wieder vor den Leuchtturm im Süden Pellworms gefahren, jeder schritt mit suchenden Blicken in eine andere Richtung. Kriminalmeister Wagner ging bis an den Deich und dann hinauf. Der Kommissar be­obachtete ihn, als er dort oben nach allen Seiten spähte. Alle gleich, diese gegelten Typen mit ihren Drei-Tage-Bärten, dachte er, weniger Erfahrung als die

      Alten, aber verbreiteten nichts als chaotischen Aktionismus. Auch der da passte perfekt in die heutige

      Gesellschaft. Er sah, wie sein junger Kollege den Deich wieder herab kam und setzte seinen eigenen Weg um den Turm herum fort. Vor dem kleinen Leuchtturm-wärterhaus, dessen Tür am Vortag von der Spuren-sicherung versiegelt worden war, stießen sie wieder aufeinander.

      Kommissar Brandt schaute zu den heftig im Wind flatternden Absperrbändern, die großflächig den Fundort der toten Frau sichern sollten. „Alle hier auf der Insel wissen von dem Verhältnis des Bürgermeisters mit seiner jungen Geliebten“, lamentierte er. „Nur nicht seine Ehefrau? Und sie weiß nicht, wo sich ihr Mann aufhält, wo er zu finden ist? Andererseits weiß sie jetzt von der Liebschaft ihres Mannes, so wie Sie die Frau damit konfrontiert haben.“

      „Wenn sie es nicht bereits wusste“, wehrte sich der junge Wagner.

      Der Kommissar schüttelte mit dem Kopf. „Ohne jegliches Feingefühl“, fuhr er fort. „Eigentlich gut für ihn, dass er nicht anwesend war, sonst wäre sie ihm sofort an die Gurgel gegangen. Lernt man so etwas heutzu-tage auf der Akademie?“

      „Sie haben ihr ja aufgetragen, dass er sich auf der Polizeiwache melden soll, sobald er wieder zu Hause auftaucht“, ging der Kriminalmeister darüber hinweg.

      Zu Hause. Der Kommissar führte sich vor Augen, dass nur noch wenige Tage bis zu seinem Abschied von der Kripo verblieben. Zu Hause. Ihm fiel auf, dass es mit der Zeit schwerer geworden war, über seinen bevorstehenden Abschied nachzudenken. „Sie lügt! Sie weiß es“, sprach er aus.

      „Was weiß sie?“

      „Na, wo ihr Mann hin ist. Auf dieser kleinen Insel wissen alle über alles Bescheid. Sie lügt!“

      „Und woher nehmen Sie das?“

      Der Kommissar stocherte mit seiner Fußspitze im Rasen vor dem Turm, als suchte er etwas. Er neigte sich leicht, schaute interessiert, als hätte er etwas gefunden, richtete sich dann wieder auf und ging ein paar Schritte weiter. „Das sagt mir mein Gefühl“, rief er seinem jungen Kollegen zu, der zurückgeblieben war. „Ich kann doch auch mal eins haben, oder?“

      3

      „Wussten Sie davon, dass der Bürgermeister eine Geliebte hat, oder besser gesagt, hatte.“

      Der Inselpolizist schaute hinter seinem Schreibtisch auf. Kommissar Brandt und Kriminalmeister Wagner waren soeben in seine Dienststube gekommen. Er zuckte mit den Schultern. „Das ist kein Geheimnis, Herr Kommissar.“

      „Und warum hatten Sie uns nicht gleich gesagt, dass die Tote seine Geliebte war, wenn Sie es denn wie alle anderen auch wussten, wie ich annehmen muss“, ging Kriminalmeister Wagner dazwischen.

      „Ich hab sie erst gestern Abend anhand der Fotos, die mir die Spurensicherung daließ, als Frau Nielsen identifiziert.“ Der Inselpolizist schaute Beistand suchend nach dem Kommissar. „Ich hatte Ihnen die

      Fotos ja gleich übergeben.“

      „Und nicht gesagt, wer diese Frau war. Aber schon gut“, sagte dieser abwinkend. „Wo war Frau Nielsen untergekommen, wenn sie sich hier auf der Insel aufhielt?“

      „Mal hier, mal da, sie bevorzugte keine bestimmte Ferienwohnung oder Pension. Sie war auch schon mal in der, in der Sie beide gerade sind“, sagte der Insel-polizist.

      „Da lag ich heute Morgen mit meiner Vermutung

      ja gar nicht so verkehrt“, griente der junge Kriminalmeister.

      „Auf jeden Fall sollten wir jetzt endlich den Bürgermeister finden, er wird uns einige Fragen beantworten müssen“, befand Kommissar Brandt mit einem abfälligen Blick, mit dem er seinen Amtskollegen streifte.

      „Und vielleicht auch Lina Olsen, seine Frau“, warf der Inselpolizist ein.

      „Von ihr kommen wir gerade, wieso?“ Der Kommissar schaute irritiert.

      „Weil auch sie einen Geliebten hat“, antwortete der einheimische Polizist süffisant.

      „Wie bitte?“ Auch der junge Kriminalmeister sah ihn fragend an.

      „Da tun sich aber Abgründe auf hier auf der Insel. Vielleicht wissen Sie, wo der Bürgermeister zu finden ist? Seine Frau konnte es uns nicht sagen. Hat der Bürgermeister neben seinem Amt noch einen Beruf? Geht er irgendeiner Arbeit nach?“, wollte Kommissar Brandt wissen.

      „Nein, er macht das hauptamtlich. Er


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