Vico - Il Conte. Lucia Bolsani

Vico - Il Conte - Lucia Bolsani


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mir den Weg, ich schlüpfe vorbei, und dann kann ich endlich sehen, worauf ich zugelaufen bin.

      Vor mir steht ein großer, runder Tisch, stilvoll eingedeckt mit einer schweren, bodenlangen weißen Tischdecke, einem Kerzenleuchter und langstieligen Weingläsern. Ein Mann sitzt dort, vor sich einen Teller mit vor Öl triefenden Riesengarnelen. Ohne das reichlich vorhandene Silberbesteck zu beachten, grabscht der Mann sich eine mit den Fingern und schiebt sie sich in den Mund.

       ER.

      Ich schlucke.

      »Nicht so schüchtern, troietta«, spottet ER mit vollem Mund. »Ist der Hurensohn endlich aufgetaucht, ja? Was hast du denn Schönes für mich?«

      Doch meine Kehle ist wie zugeschnürt. Ich habe IHN zuvor schon gefürchtet, doch in dieser seltsamen Umgebung ist es noch schlimmer.

      »Komm schon, steh da nicht so ungemütlich herum. Timo, nimm ihr den Mantel ab.«

      Der grausige Mann reißt mir den Mantel förmlich von den Schultern, kaum dass ich die Knöpfe geöffnet habe. Ohne das dicke Kleidungsstück fühle ich mich noch schutzloser. Ich verschränke die Arme vor der Brust.

      »Nun?«, fragt ER.

      Ich öffne den Mund, doch es kommt einfach kein Ton heraus. Grobe Hände packen meine Schultern, schütteln mich kräftig.

      »Aber, aber, Timo! Du erschreckst sie ja«, sagt ER sanft, um mich dann anzufahren: »Rede endlich, stronza

      Stammelnd versuche ich zu erklären, was geschehen ist. ER verengt seine Augen zu kleinen Schlitzen. Sieht immer wütender aus.

      »Bestimmt wird er das nächste Mal …«, quäke ich mit versagender Stimme.

      »E basta!«, unterbricht ER mich harsch. »Vergiss es. Du hattest deine Chance. Ich warte nicht noch mal tagelang, bis D’Vergy geruht, den Salon erneut aufzusuchen. Dieser Schwächling wird so oder so bald nach meiner Pfeife tanzen.«

      D’Vergy? Ist das der Name des Fremden? »Aber … er hat mich geküsst …«

      »Oh, wie romantisch!«, höhnt ER. »Hast du dein kleines, dummes Herz an D’Vergy verloren, ja? Jetzt pass mal gut auf: Dieser codardo hat dich nicht etwa geküsst, weil er dich so süß findet. Sondern weil er ein Weichei ist, ein Schlappschwanz, der nicht mal genug Eier in der Hose hat, um dir zu sagen, dass du dich verpissen sollst.«

      Schlimmer als jede Ohrfeige fühlen sich die Worte an. Doch dann sehe ich den Fremden wieder vor mir, wie er sich zu mir herunterbeugt, wie er mich mit seinen dunklen Augen intensiv ansieht. Da begreife ich etwas: ER irrt sich! D’Vergy ist nicht schwach, sondern so stark und souverän, dass er sich nichts vergibt, wenn er jemanden wie mich küsst. Aber das muss ER nicht wissen. Dass ich nichts sage, ist mein Dankeschön an den Fremden.

      Ich spüre so etwas wie einen kleinen Triumph, doch den treiben mir die nächsten Worte, die ER sagt, gleich wieder aus.

      »Tja, was mache ich denn jetzt mit dir, troietta? Da habe ich dich deinem Meister abgekauft, und du nützt mir gar nichts …«

      Was? Mein Meister nimmt mich nicht zurück?

      ER lacht verächtlich.

      »Wusstest du gar nicht, eh? Timo, kannst du was mit ihr anfangen? Ich schenke sie dir.«

      Der Mann hinter mir grunzt nur. Steht plötzlich so nah bei mir, dass ich seinen warmen, übel riechenden Atem spüren kann. Ich bin wie erstarrt, wehre mich auch dann nicht, als er mich mit einem dicht behaarten Arm an seinen massigen Körper presst, während er eine Hand in meine Leggings zwängt, unsanft meinen Hintern knetet. Dicke, schwitzige Finger auf meiner Haut. Igitt. Mein ganzer Körper verkrampft sich, ich bin unfähig, auch nur ein Wort gegen diese grobe Aktion zu sagen. Bin vollkommen erstarrt vor Schock und Angst.

      »Langsam, langsam, Timo«, lacht ER. »Gib mir die Halskette mit der Kamera, die war teuer.«

      Heftig schnaufend und schmatzend fummelt Timo an dem Verschluss herum, während ich immer noch wie versteinert ausharre und alles mit mir machen lasse. Mein Kopf weigert sich, zu realisieren, was hier geschieht. Gleich geschehen wird. Ich müsste hier weg. Ganz schnell hier weg. Doch ich stehe da wie eine Salzsäule. Schaffe es nicht mal, den kleinen Zeh zu bewegen.

      Erneut lacht ER dreckig, als Timo es endlich geschafft hat, mir die Kette abzunehmen. Kurz erhasche ich einen Blick auf die klobige Gestalt Timos und das schrecklich entstellte Gesicht, als der IHM respektvoll die Kette reicht, dann ist der bullige Mann schon wieder hinter mir. Drängt mich an den Tisch.

      »Nein … bitte …«, schaffe ich es, zu flüstern, doch da drückt Timo mich schon mit dem Oberkörper brutal auf den Tisch.

      »… bitte …«, flehe ich.

      Als ob es irgendwen interessieren würde, was ich möchte.

      Grunzend macht Timo sich hinter mir an irgendwas zu schaffen. Er hält mich nicht einmal fest, doch immer noch bin ich wie gelähmt, kann unmöglich fliehen. ER grinst auf mich herunter.

      Bestimmt ist es sowieso besser, wenn ich einfach stillhalte, versuche ich mir einzureden. Mir würde es ja doch nicht gelingen, ihnen zu entkommen. Und wenn Timo mir hinterherlaufen muss, wird alles nur noch viel schlimmer. Ich lasse es geschehen, dann wird es schnell vorbei sein. Am liebsten würde ich die Augen schließen und die Realität ausblenden, aber es geht nicht, solange ER mich mit diesem bohrenden Blick ansieht.

      Du schaffst das, versuche ich mir einzureden, während mir die ersten Tränen unaufhaltsam über die Wangen rinnen. Nur ein bisschen durchhalten, dann kann ich abhauen, aus dieser Stadt verschwinden. Ja, genau, ich verschwinde einfach und vergesse, was hier und heute passiert. Ich finde einen neuen Meister, so einen wie D’Vergy, einen guten Mann. Bestimmt wird es nicht sehr lange dauern.

      Die Musik schwillt an, wird lauter, zu dem Klavier gesellen sich Blasinstrumente.

      ER nimmt sich derweil eine weitere Garnele. Beißt genüsslich hinein. Etwas Öl läuft ihm über das Kinn, hinterlässt eine glänzende Spur auf seiner schlecht rasierten Haut, während er schmatzend und mit leicht geöffnetem Mund zu kauen beginnt. Timos Hände scheinen überall zu sein, befingern mich, betatschen mich, widerlich und klebrig. Ich will das nicht. Aber was kann ich schon tun?

      »Na los, fang an!«, feuert ER Timo schmatzend an, nimmt mit seinen fettigen Fingern ein Weinglas zur Hand und trinkt einen großen Schluck. Jetzt packt Timo mein Haar, reißt mir den Kopf nach hinten. Seltsame gurgelnde Laute kommen aus meinem Mund, ich bin gezwungen, IHM direkt ins Gesicht zu sehen. ER stellt lässig sein Glas beiseite und verzieht höhnisch den Mund, während Timo meinen Kopf urplötzlich wieder freigibt.

      Meine Stirn knallt auf das blütenweiße, gestärkte Tischtuch. Lavendel, denke ich. Es riecht nach Lavendel. Wie kann es an einem Ort voller Qual und Demütigung so sauber riechen? Das ist unnatürlich, abstoßend, der Geruch ebenso wie die Tatsache, dass ich ihn überhaupt wahrnehme.

      Ich ringe nach Luft, spüre, wie mir schwindelig wird, mein Blickfeld schrumpft und gnädige Schwärze umfängt mich.

      Als ich wieder zu mir komme, liege ich bäuchlings auf dem Tisch. Die Musik spielt immer noch, fröhliche Klänge, die überhaupt nicht zu den Schmerzen passen, die meinen Körper nun unkontrolliert zittern lassen.

      Ich bin nicht in der Lage, mich zu bewegen, wünsche mir nichts mehr, als dass die Erde mich verschlingt, während ER mich mit dem gleichen, hämischen Blick mustert wie zuvor.

      »Geil, eh?“, fragt er mich spöttisch, dann wendet er sich an den Mann, der immer noch hinter mir sein muss. Was zum Teufel ist in den letzten Minuten passiert? Was hat Timo mit mir gemacht? Ich will es eigentlich gar nicht wissen, doch SEINE nächsten Worte lassen leider keine Fragen offen:

      »Timo, Timo, wann wirst du endlich daran denken, ein Kondom zu benutzen«, tadelt ER seinen Mitarbeiter. »Was für eine Sauerei! Hier,


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