Ricarda Huch: Deutsche Geschichte 2 Zeitalter der Glauben-Spaltung - Band 2 - bei Jürgen Ruszkowski. Ricarda Huch
Mehrfach wurde in Leser-Reaktionen der Wunsch laut, es mögen noch mehr solcher Bände erscheinen. Deshalb folgten dem ersten Band der „Seemannsschicksale“ weitere.
Je weiter ich diesen Band neu redigierte, umso mehr faszinierte mich dessen Autorin Ricarda Huch. Sie verließ 1947 das sowjetisch besetzte Ost-Berlin, sehr betroffen durch ständige Kontrolle, Vorschriften und Gewalt der Regierenden und ging nach Frankfurt am Main.
Hamburg, 2021 Jürgen Ruszkowski
Ruhestands-Arbeitsplatz
Hier entstehen die Bücher und Webseiten des Herausgebers
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Die Autorin Ricarda Huch
Die Autorin Ricarda Huch
https://www.projekt-gutenberg.org/autoren/namen/huchric.html
Ricarda Octavia Huch wurde am 18. Juli 1864 in Braunschweig geboren und starb am 17. November 1947 in Schönberg im Taunus. Sie war eine deutsche Schriftstellerin, Dichterin, Philosophin und Historikerin, die als eine der ersten Frauen im deutschsprachigen Raum im Fach Geschichte promoviert wurde. Sie schrieb Romane und historische Werke, die durch einen konservativen und gleichzeitig unkonventionellen Stil geprägt sind.
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Deutsche Geschichte – Band II. – Zeitalter der Glaubensspaltung
Deutsche Geschichte – Band II. – Zeitalter der Glaubensspaltung
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Zeitalter der Glaubensspaltung
https://www.projekt-gutenberg.org/huchric/dtgesch2/dtgesch2.html
Zuerst 1937 im Atlantis-Verlag Berlin erschienen
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Einleitung – Der Zusammenbruch der mittelalterlichen Weltanschauung
Einleitung – Der Zusammenbruch der mittelalterlichen
Weltanschauung
Germania fuit et nunquam erit quod fuit, hat Luther gesagt: Germanien ist gewesen und wird nie wieder sein, was es gewesen ist. Er erlebte den Zusammenbruch des mittelalterlichen Reiches, sah und fühlte, dass seine Ideale für immer der Vergangenheit anheimfielen. Es war der Untergang einer Epoche, reich an Kampf und Irrsal, aber auch überreich an schöpferischer und aufnehmender Kraft, an mannigfachem Wachstum, die eines jugendlich in die Geschichte eintretenden, freiheitliebenden Volkes Mitgift waren. Umfasst und geeint war diese Vielfalt durch den Äther einer gemeinsamen Weltanschauung, der das diesseits Erwachsene an die Ewigkeit zu binden schien.
Die Dämmerung der romanischen und der Farbenzauber der gotischen Kirchen umfluteten das steinerne Mysterium des Christentums: die Fleischwerdung des Gottmenschen, sein Erlösungswerk und seinen Tod am Kreuz. Das tragische Geschick der Menschheit zwischen Himmel und Erde, ihre Versuchungen, ihre Kämpfe und schmerzlichen Überwindungen, diese unergründlich wunderbare symbolische Geschichte war in allverständlichen Gestaltungen von den Pfeilern und Gewölben abzulesen. Die zahllos im ganzen Abendland aufgebauten Kirchen waren sichtbare Punkte eines unsichtbaren Gerüsts, das die Welt zu einem sinnvollen Gebilde machte, sie durchdrang und trug, einer Weltanschauung, die die Welt war. Denn in ihr war die Weisheit aller Zeiten eingeschmolzen, sei es auch nur, dass sie sie als Gegensatz durchglühte. Sie war ein Werk vieler Jahrhunderte, und ihr Untergang, wenn sie untergehen konnte, schien Weltuntergang zu bedeuten.
Zu Gott zu gelangen war nach mittelalterlicher Anschauung die Aufgabe des Menschen; sie konnte nur erreicht werden innerhalb der Kirche, die von Gott gegründet, göttlich und ewig war. Es war ihr verliehen, dereinst die ganze Menschheit in sich aufzunehmen; sie war gleichsam die Erscheinung des Unvergänglichen in der vergänglichen Welt. Die Mitglieder der Kirche teilten sich in die Laien und den Priesterstand, der teils durch Lehre, teils durch Beispiel die Laien ihrem jenseitigen Ziel zuführte. Wiederum war der Priesterstand geteilt in die Weltgeistlichkeit und die Klostergeistlichkeit, die nicht nur wie jene durch Keuschheit, sondern auch durch Armut und Gehorsam der Heiligkeit sich näherte, die in Gott vollendet wurde. Wer zu Gott gelangen wollte, musste die Welt überwinden. Indem die Mönche und Nonnen von der Welt abgesondert ganz der Anbetung Gottes, dem Dienst des Nächsten und der Dämpfung der Sinnlichkeit lebten, führten sie den Laien das Bild der Engel vor Augen und genossen deshalb besondere Verehrung. An der Spitze der Priesterschaft stand der Bischof von Rom, der Papst. Zusammen mit Vertretern des Priesterstandes gab er der überirdischen Wahrheit diejenige Form, die sie den Laien fassbar machte und grenzte sie ab gegen den Irrtum.
„Wer ist unter uns, der bei der ewigen Glut wohne?“ lässt Jesaias den Sünder sagen. Aber alle Menschen sind Sünder. Die Seher und Weisen aller Zeiten haben gewusst, dass der Mensch Gott in seiner Majestät nicht ertragen kann. Die göttliche Wahrheit dringt nur in gebrochenen Strahlen zur Erde, bietet sich den Menschen dar in Symbolen, Spiegeln gleichsam, die so viel vom göttlichen Wesen auffangen, wie den Menschen erträglich und verständlich ist. Niemals waren die Spiegel der Gottheit so nahe gekommen, so von Gott durchglüht und Gott angeglichen wie in der christlichen Symbolik. Sie zu lehren, auszulegen, in der Tiefe ihrer Bedeutung zu erforschen und zu begründen war die Aufgabe der Priester. Nur durch ihre Vermittlung konnte der Laie in Beziehung zu Gott treten. Sie waren Schutzengel, die den ins Weltliche verflochtenen Menschen den Flug zu Gott lehrten und zugleich wie eine schützende Wolke das furchtbare Geheimnis der göttlichen Majestät umgaben, deren unverhülltes Antlitz das irdische Geschöpf verzehren würde.
Die christliche Weltanschauung konnte das Abendland beherrschen, weil sie erwachsen war auf den Trümmern einer hohen Kultur und über der noch nicht hoch entwickelten Kultur junger Völker, die sie willig in sich aufnahm. Die Herrschaftsstellung, die sie dem Klerus zuwies, wuchs ihm zu, weil die Völker sie bei ihm suchten. Die Führer der Christen verkündigten das hohe Ideal, das die Verwilderten und Erschöpften, die Gelehrigen und Empfänglichen mit Begeisterung ergriffen. Eine neue Welt ging aus dieser Weltanschauung wie aus einem gleichen Samen und gemeinsamer Erde hervor. Alle Äußerungen des menschlichen Geistes wurzelten in ihr und waren von ihr durchdrungen. Ihr dienten die Künste und Wissenschaften, die Denker und Dichter, von ihr erfüllt war das staatliche und wirtschaftliche und häusliche Leben. Wenn auch Krieg, Verbrechen und Irrsal, woran es unter Menschen nie fehlt, das mittelalterliche Abendland wild durchtobten, es war umleuchtet von der Glorie eines einheitlichen erhabenen Glaubens. Die Gebilde der Kunst, die Gesänge in der Kirche, die ernsten und heiteren Spiele des Volkes, alles wies aus der unruhvollen Erde auf die Herrlichkeit Gottes, die dem gläubigen Glied der Kirche zuteilwerden sollte. Es wölbte sich über der Erde ein fester Goldgrundhimmel, den die Kirche errichtet hatte. Über ihn hinaus sollte der menschliche Gedanke sich nicht wagen; unter ihm war Frieden. Zweifler und Verzweifelnde beruhigte die Kirche, in ihrem Schoss gab es Antwort für die Gottsucher und Heilung für die an den Rätseln des Daseins Erkrankten. Außerhalb der Kirche waren das Chaos und die Hölle; aber es gab kein Chaos und keine Verdammnis, denen die Kirche den Unseligen nicht hätte entreißen können, der sich ihr gläubig anvertraute.
Was konnte diese Weltanschauung erschüttern? Das Grandiose selbst, das darin lag, war eine Gefahr; denn es erforderte eine ständige Anspannung menschlicher Kraft. Lange Zeit hindurch wurde das natürliche Sinken der religiösen Inbrunst ausgeglichen durch das Auftreten begeisterter Führer, die die Kirche mit neuer Glaubensglut erfüllten. Seit dem 14. Jahrhundert blieben diese Aufschwünge aus; es begann eine Umwälzung im Sinne von Verweltlichung, die fortwährend zunahm. Die Bestimmung des Menschen zum Jenseitigen wich einer skrupellosen Vertiefung in das Irdische. Immer waren die Menschen sinnlich und genusssüchtig gewesen, und