Rücksturz nach Tyros. Johannes Anders

Rücksturz nach Tyros - Johannes Anders


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Morgen!“, begrüßte sie die Anwesenden. „Wir alle haben eine schwere Zeit durchgemacht. Wir alle haben schmerzliche Opfer zu beklagen. Ich erinnere an die Besatzungen der Mag-1, der Mag-3 und der Mag-6.“ Sie verlas den Namen jedes einzelnen Besatzungsmitglieds, das sie verloren hatten. Dann gab es eine Schweigeminute, und sie fügte hinzu: „Wir werden euch niemals vergessen.“ Als nächstes begann sie, die Schäden an der Mag-2 und am Mutterschiff aufzulisten, die immer noch nicht behoben waren. Insbesondere konnte ein Teil der Wandler nicht repariert werden, weil die dafür benötigten Speicherkristalle nicht in ausreichender Anzahl vorrätig waren. Die MAGELLAN schlich deswegen mit halber Kraft durchs All. „Ja, es stimmt“, fuhr sie fort, „wir sind schwer angeschlagen, und viele von Ihnen erwarten deshalb, dass ich den Rücksturz nach Tyros befehle.“

      Sie machte eine rhetorische Pause und sah sich um. Die Anwesenden hingen erwartungsvoll an ihren Lippen. Tatsächlich wünschte sich auch Zaya nichts sehnlicher, als dass diese unglückliche Mission abgebrochen wurde. Leider ließ die Formulierung der Alten anderes befürchten. Tatsächlich fuhr sie fort: „Aber Sie alle wissen, dass ein Rücksturz nach Tyros nicht vorgesehen ist. Unsere Mission ist auf Jahre angelegt. Nach längerem Abwägen habe ich deshalb in Abstimmung mit der Schiffsführung dagegen entschieden. Ich erwarte, dass alle Besatzungen und Expeditionsmitglieder sich hinter diese Entscheidung stellen. Zur Motivation möchte ich Sie daran erinnern, woher wir kommen: Nach dem Zusammenbruch des Sternenreichs der Erde breiteten sich Kleinkriege und Gesetzlosigkeit aus, und die Handelswege wurden unterbrochen. Unsere geliebte Heimat Tyros lag am Boden. Hunger und Entbehrung herrschten, und der Wiederaufbau gestaltete sich schwierig und langwierig. Seit einigen Jahren gibt es neue Hoffnung durch die Gründung der Sternenlichtvereinigung, deren Planetenregierungen eingesehen haben, dass es zusammen besser geht. Aber noch immer werden wir bedroht von Freibeutern, Söldnern und konkurrierenden Staatengebilden. Tyros liegt am Rande des früheren Sternenreichs, und während viele Kräfte durch das Chaos in den alten Gebieten gebunden sind, gehören wir zu den wenigen Privilegierten, die entsandt wurden, um neue Welten zu entdecken, die noch nie ein Mensch zuvor gesehen hat. Tyros braucht neue Freunde und neue Ressourcen. Unsere Reise war lang und teuer. Wir dürfen die Menschen daheim nicht enttäuschen. Wir dürfen nicht so schnell aufgeben.“

      Sie machte erneut eine Pause.

      Schnell aufgeben, dachte Zaya. Nachdem hier alles in Trümmern lag, konnte von schnell ja wohl keine Rede sein. Niemand wagte es aber, der Schiffsführung zu widersprechen. Irgendwie war es ja nicht ganz verkehrt, was sie erzählte.

      Die Admiralin fuhr fort: „Natürlich lauern auch im Unbekannten große Gefahren. Wir haben die Gerüchte über das unerklärliche Sternenglühen gehört, das angeblich ganze Sonnensysteme zerstört hat. Und auch die Begegnung mit neuen Völkern kann sich als tückisch erweisen, wie wir gerade erst selbst erfahren mussten. Lassen Sie uns trotzdem unsere Mission fortführen und neue Welten und Zivilisationen erkunden!“

      Ein gelblicher Planet erschien als Hologramm neben ihr.

      „Dieser Planet mit der Katalognummer HR-1231 wird von seinen Bewohnern Skram genannt. Er ist von Wüsten bedeckt, nur etwa zehn Prozent der Oberfläche machen Seen aus. An den Ufern dieser Seen haben wir Städte gefunden, das Landesinnere und auch die Pole sind unbesiedelt. Die auf dem Planeten herrschende Zivilisation betreibt in begrenztem Maße Raumfahrt, über ihr eigenes Sonnensystem sind sie noch nicht hinausgekommen. Da nur noch einer unserer Erkundungskreuzer einsatzfähig ist, bitte ich die Crew der Mag-5 um 11:30 zur Einweisung. Macht euch frisch, Leute, trinkt noch einen Kaffee und erscheint pünktlich, aufgeräumt und vollzählig in meinem Büro.“

      Zaya biss sich auf die Lippen. Die alte Fregatte wusste genau, wo die Problemzonen ihrer Crew lagen. Um die Vollzähligkeit herzustellen, musste sie Storm hinterherlaufen, statt einen Kaffee trinken zu können.

      Gut, für ihren Magen war es sicher besser so.

      *

      Storm lag in ihrer Kabine und starb. Etwas in ihrer Seitenprothese war defekt, sodass ihre rechten Extremitäten nicht angesteuert wurden. Sie hingen schlaff über die Bettkante hinunter. Storm horchte in sich hinein und beobachtete mit einer morbiden Faszination die weitere Kaskade des Ausfalls. Der rechte Teil ihrer Lunge geriet ins Stocken und versagte langsam den Dienst. Der verbliebene biologische Lungenflügel arbeitete schwer, da er von der nun unbeweglichen Prothese behindert wurde. Jeder Atemzug kostete große Kraft. Der Sauerstoffgehalt in Storms Blut sank, und sie begann, lethargisch zu werden. Es fühlte sich an wie ein unbeschwertes Schweben. Wäre es nicht schön, so zu sterben? Wäre es nicht schön, die Erinnerungen auf diese Weise zu begraben und der Einsamkeit für immer zu entfliehen?

      Ein lautes Klopfen und Schlagen an der Kabinentür riss sie aus dem sanften Abgleiten in die Dämmerung, auf die nur der Tod folgen konnte.

      „Storm, was ist los mit dir?“, schrie eine Stimme. „Warum hast du dein beschissenes Armsprechgerät ausgeschaltet? - Storm, verdammt noch mal, antworte!“

      Es war Zayas Stimme. Und sie war wie immer einfach nur … lästig.

      Storm reagierte nicht. Warum konnte diese viel zu junge Kommandantin eines Beiboots sie nicht in Ruhe sterben lassen …?

      „Storm, verdammt, mach sofort die Tür auf, sonst schneide ich ein Loch rein!“

      Lästig war das Wort, dass perfekt auf sie passte. Lästig wie ein Schnupfen. Oder wie eine Zecke. Wer hatte dieser unfähigen Schülerin nur das Kommando über die Mag-5 übertragen? Nein, wer es war, wusste man ja. Aber warum nur?

      Storm hörte das Geräusch einer Handstrahlenwaffe. Die blöde Ziege würde die Tür aufschneiden, bevor Storm mit dem Sterben fertig war.

      Was wollte Zaya von ihr? - Ach ja, sie sollte die Tür aufmachen. Der Mikroprozessor, der Storms rechte Gehirnhälfte ersetzte, zeigte erste Ausfälle, wodurch sie begann, Sachen zu vergessen. Womöglich stand diese Anfängerkommandantin bald an ihrem Bett, und sie konnte sich nicht einmal mehr an ihren Namen erinnern. Nein, so eine Blöße wollte Storm sich nicht geben.

      „Schon gut, ich komme ja!“, presste sie undeutlich durch ihren halb gelähmten Mund hervor. „Moment, verdammt!“

      Die Waffe an der Tür verstummte.

      Mit viel Mühe schloss Storm ihre Prothese an das Diagnosegerät an. Das Gerät arbeitete eine Weile und fuhr dann die Prothese ordnungsgemäß herunter, um sie neu zu starten. Storm verlor einen Teil ihres Kurzzeitgedächtnisses und vergaß einen Teil ihrer Gedanken. Lebenswichtige Organe arbeiteten nicht mehr. Es fühlte sich scheußlich an.

      „Was ist nun?“, drängelte die Kommandantin vor der Tür.

      „Gib Ruhe, ich komme ja!“, schimpfte Storm respektlos. Ihre rechte Körperseite fuhr wieder hoch, und ein Backup ihres Kurzzeitgedächtnisses wurde eingespielt. Storm überwand eine leichte Verwirrung, als die alten Gedanken auf ihre neuen trafen. Dann schien alles wieder einwandfrei zu funktionieren. Bis zum nächsten Mal, dachte sie. Mit Bedauern erhob sie sich und öffnete. Zaya hielt in ihrer Bewegung inne und ließ die Hand fallen, mit der sie wohl gerade erneut auf die Tür schlagen wollte. Mit ihren 1,73 m war Zaya nicht klein, aber doch deutlich kleiner als Storm. Zayas brauner Zopf lag geflochten über ihrer rechten Schulter und sie schaute mit ihren braunen Augen verärgert zu ihr auf. Storm war amüsiert.

      „Komm jetzt mit!“, zischte die Kommandantin. „Die Alte will uns sehen. Vollzählig!“

      Sie fragt gar nicht, was mit mir los war, überlegte Storm. Wahrscheinlich hat sie es aufgegeben, sich mit mir auseinanderzusetzen. Dabei hatte Zaya ihr das Leben gerettet. Storm war kurz davor gewesen zu vergessen, dass sie gerade einen kybernetischen Kollaps erlitt. Danach hätte es kein Zurück mehr gegeben. Dann hätte sie das Diagnosegerät nicht angeschlossen und wäre friedlich eingeschlummert. Für immer. Also war Zaya schuld, dass sie diesen Mist weiter mitmachen musste, den sie Leben nannten. Storm würde Zaya das spüren lassen. Sie würde ihr jede verdammte Minute zur Hölle machen, die sie mit ihr verbringen musste. Und sollte sie doch ihren Termin mit der Admiralin alleine wahrnehmen. Storm überlegte, wie sie sich aus dem Staub machen konnte, aber Zaya wich nicht von ihrer Seite, bis


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