Der Ebrugh-Mythos. Harold Kebba

Der Ebrugh-Mythos - Harold Kebba


Скачать книгу
ich etwas fühlte? Etwas... das nicht ihre Gesichtszüge war? Nein, ich konnte nicht so unprofessionell sein. Langsam ließ ich meine Hand zu Miharus Gesicht wandern. Ich hielt kurz davor inne, riss mich aber dann zusammen und berührte es.

      Es war weich und vollkommen normal. Ein riesiger Stein fiel von meinem Herzen und ich schimpfte mich einen Trottel. Was hatte ich erwartet? Die Geschichten waren wohl einfach zu seltsam gewesen.

      „Nichts. Es ist normal. Du brauchst keine Angst haben.“

      Verzweiflung machte sich in Miharus Augen breit. Sie schien wieder zu Sinnen zu kommen.

      „Nein, nein, es ist diese Fratze, glauben Sie mir! Sind Sie blind?“, weinte sie nun.

      Sie tat mir wirklich leid, vor allem, weil ich nicht wusste, wie lange ich sie hierbehalten sollte.

      Ich wollte gerade gehen, als das Licht ausging.

      Ein verschreckter Ruck ging durch Miharus Körper und sie strauchelte nach vorne und riss mich in der Hast mit zu Boden. Sie landete mit dem Kopf auf meiner Brust und stöhnte schmerzerfüllt auf.

      Plötzlich zog ein unglaublicher Gestank in meine Nase. Er kam von Miharu. Ich konnte nichts sehen, aber irgendetwas in mir wollte das auch nicht. Ich schloss die Augen, wollte tief durchatmen. Ich merkte, dass das Licht wieder aufflammte, aber meine Augen hielt ich geschlossen.

      Dann hörte ich es.

      Nur wenige Zentimeter von meinem Ohr entfernt keuchte, gurgelte etwas, eine verzerrte Stimme.

      „Herr Doktor, Herr Doktor, ich glaube... ich glaube sie können es nun auch sehen...“

      Ich tastete voller Entsetzen nach Miharus Gesicht. Anstatt der glatten Haut fühlte ich eine schleimige, knorpelige Oberfläche.

      Ich verlor vor Angst fast den Verstand. Das konnte nicht geschehen! Dann machte ich die Augen auf. Was ich dort sah, werde ich nicht vergessen und nie wieder werde ich nach dieser Grässlichkeit eine ruhige Minute verbringen.

      Es war eine Fratze, die auf meiner Brust lag und das einst schöne Gesicht des Mädchens gewesen war. Die Augen waren riesig, rund und glubschig, kamen weit hervor und zuckten irre umher. Die Haare waren schwarz und zerzaust und standen filzig ab, die Haut war seltsam bläulich, die Nase aber vollkommen normal. Der Kiefer hingegen war weit nach hinten in den Schädel gewandert, sodass das Ding einen gewaltigen Überbiss hatte und der Mund war in sich verdreht und verzogen, fast wie ein durch Wellen verzerrtes Spiegelbild im Wasser.

      Die Augen fixierten mich grauenvoll und sie hielt mich mit eisernem Griff fest.

      Ich weiß nicht mehr genau, wie ich mich losgerissen habe und hinfort rannte, während mich diese Augäpfel verfolgten. Mir ist klar, dass mir vermutlich niemand glauben wird. Dass dies wie eine Halluzination meinerseits klingt, aber… es war real.

      Miharu verschwand in der folgenden Nacht aus ihrer bewachten, verschlossenen Zelle. Niemand wusste, wohin und niemand sah sie jemals wieder. Es erblickte auch niemand die Fratze, nein, ihr wahres Gesicht. Ich hörte nur, dass sie vor meinem Besuch um den schwarzen Handspiegel gebeten hatte, der wohl in ihrem Badezimmer zu Hause gefunden worden war. Wo das verfluchte Ding nun ist, weiß ich nicht. Sollte jemand ihn finden, so hoffe ich, dass er das hier liest und das grausame Objekt zerstört. Zum Glück habe ich den schwarzen Gegenstand nie selbst gesehen. Wer weiß, was mir dann im Spiegel entgegen schauen würde? Ich habe schon jetzt Angst, dass ich jene gotteslästerliche Fratze aus einer anderen Welt eines Tages in einer Reflexion sehe und sie mich holt...

      Und nie wieder habe ich ruhig schlafen können. In der Dunkelheit erinnere ich mich an diese ekelhafte Stimme. Manchmal bilde ich mir ein, sie neben mir zu hören, ein Gewicht in meinem Bett zu fühlen.

      „Herr Doktor, Herr Doktor, ich glaube... ich glaube sie können es nun auch sehen... ich glaube, sie können es nun auch sehen.“

       Dieses Gefühl

       Der folgende Eintrag wurde am 27.06.2015 von einem unbekannten Hacker auf der Webseite der Stadt Berlin gepostet und nach wenigen Minuten von den Betreibern der Seite wieder gelöscht. Ob ein Scherz dahinter steckt oder etwas Anderes, sollte dabei jeder selbst mit sich ausmachen, doch deckt er sich mit gewissen anderen Zeitungsberichten aus diesen Tagen.

      Mein Name tut nichts zur Sache und es ist vermutlich besser, wenn er nie im Zusammenhang mit den Ereignissen gebracht wird, die ich hier niederschreibe. Es ist wichtig, dass niemand, aber auch wirklich niemand je wieder in jene Räumlichkeiten der Tamseler Straße zieht, denn ich vermute, dass es dort angefangen hat. Sicher kann ich mir natürlich nicht sein, jedoch glaube ich, dass in jenem Haus etwas vorgefallen sein muss, das von den meisten Menschen als gefährlich eingestuft würde. Da ich meinen Namen nicht nennen kann, werden meine Worte vermutlich wenig Gehör finden, jedoch hoffe ich, dass die Abschrift der Sprachnachrichten, die ich hier anfügen werde, für sich selbst sprechen und jedem klarmachen werden, dass das Haus unter keinen Umständen neu bezogen werden darf!

      Die Medien berichteten letzte Woche nur am Rande von diesem Fall, allerdings ging er unter dem großen politischen Gepolter im Juni des Jahres 2015 unter, weshalb ihm vermutlich niemand Beachtung schenkte. Es folgen nun also die Abschriften der verstörenden Sprachnachrichten meines guten Freundes, dessen Name ja bekannt sein sollte. Hoffentlich wird diese Warnung gesehen und auch ernst genommen!

      Als ich heute das erste Mal in meine neue Wohnung eintrat, schien alles in bester Ordnung zu sein. Mein neues Zuhause liegt im ersten Stock eines alten Ziegelsteinhauses neben dem großen Stadtpark, den ich wegen meines stressigen Berufs wohl oft zu Erholungszwecken besuchen werde. Mein Arzt hat mir viel Ruhe und frische Luft verschrieben, weil ich als Marketingleiter einer namhaften Firma arbeite und sich langsam bei mir die ersten Anzeichen eines Burnouts anbahnen. Diese scheiß Kopfschmerzen!

      Ich habe mich also hurtig nach einer neuen Bleibe umgesehen und schnellstmöglich den Umzug in die Wege geleitet, damit meine Arbeit nicht weiter unter meinem zunehmenden Mangel an Konzentration leiden muss.

      Die Wohngegend, die den Park umrahmt, ist ja bekanntlich begehrt und so ist es fast ein Wunder, dass ich hier eine geräumige Wohnung mit vier Zimmern, einer voll ausgestatteten Küche und einem herrlichen Badezimmer mitsamt einer Wellnesswanne erwerben konnte. Die werde ich vermutlich in nächster Zeit oft benutzen… Der Umzug kostete mich keine zwei Tage und so habe ich mich schließlich nach einem Glas Wein und einem guten Essen aufgemacht, meine erste Nacht in meinem neuen Schlafzimmer zu nächtigen.

      Ich habe die letzten zehn Minuten damit verbracht, aus dem Fenster zu schauen und einen Überblick über die riesige Grünanlage zu bekommen, die nun ein Zufluchtsort der Ruhe für mich werden soll. Im Schein des abnehmenden Mondes schienen mir die gewaltigen Bäume aber seltsam fremd und bedrohlich zu wirken und auch der schwarze Teich wirkte tief und gierig. Ich habe es nicht lange ausgehalten und daher beschlossen, mich in mein neues Bett zu legen, um langsam meinen Schlaf zu finden. Morgen habe ich eine wichtige Präsentation und da steht einiges auf dem Spiel. Ach verdammt, eigentlich mache ich sowas ja nicht, so ein seltsames Sprachtagebuch führen. Aber… ich habe… so ein komisches Gefühl bekommen. Grade, als ich nach draußen sah, in die Büsche. Dieses Gefühl… als wenn da etwas zurückstarrt. Als wenn mich etwas beobachtet, als wenn mich etwas direkt aus der Dunkelheit… anblickt. Irgendwie ist das auch lächerlich, vermutlich nur das Burnout, aber trotzdem…

      Wieso rede ich eigentlich hier mit meinem Smartphone? Ich bin doch kein Kind mehr und so ein verschissener Schizo erst recht nicht…

      Aber… das Zimmer, es sieht so fremd aus. Lächerlich, nicht wahr? Aber ich meine nicht, dass ich es nicht kenne, natürlich kenne ich es nicht – ich bin ja heute erst eingezogen – aber es sieht im Mondlicht einfach abartig aus. Übertreibe ich? Ja, vermutlich. Ich übertreibe, oder? Keine Ahnung, Scheiße, das kann doch nicht sein! Ich bin ein rational denkender Mensch und das hier ist nur ein blödes Zimmer. Da ist nur ein Schrank, da ist nur ein Schreibtisch und der alte Schreibtischstuhl mit meinem Jackett drauf. Nichts Besonderes. Das Teil trage ich nun auch schon mehr als fünf Jahre, wird Zeit für ein Neues…

      Aber…


Скачать книгу