Messalina. Alfred Schirokauer
Gesichter floß, in die Augen biß, den Blick trübte und die Gewandung tränkend durchsickerte.
Und doch ward nirgendwo Klage vernehmbar. Denn die Plebs der Tiberstadt, nicht minder nach Leben und Lebensbuntheit gierig als die Reichen Roms, war gewöhnt, in Glut und Glast und in heiß dunstendem Gedränge sich einen Blick zu erkämpfen auf die Pracht und Herrlichkeit des Kaiserhauses und seines parasitischen Gefolges.
Übertönte ein Schrei das brausende Gemurmel, dann war es gewiß kein Schrei der Not und Angst. Wer in Not kam im Getümmel, brach lautlos zusammen und erstickte, ohne zu Boden zu sinken, eingekeilt zwischen Leibern anderer, die solch eines Vorfalles nicht weiter achteten. Übergellte ein Ruf aus Menschenmunde das zum Himmel steigende Gedröhn, so kam er aus eines Weibes oder aus eines Mädchens Kehle. Die Sittenlosigkeit und Geilheit der Oberen Roms ward von der Plebs getreulich nachgeahmt. Das Gedränge der Leiber schuf übergenug Gelegenheit zu dreisten Griffen, frechen Berührungen, schamlosem Tasten. Was hier aufschrie, war nur selten die Ehrbarkeit. Weit öfter war's die Wollust, die erregt ward, wo Mann und Mädchen, Jüngling und Weib eng in Berührung kamen, enger fast als im Ehebett, näher als bei verstohlenem Stelldichein.
So braute über den Köpfen der Menschen, die wie Trauben in einer Kelter ineinander gequetscht wurden, nicht nur der Glast des glühheißen Tages, nicht nur der Qualm schweißströmender Körper, nein, auch der Brodem erregten Blutes.
Rom war nicht nur die weltbeherrschende, es war zugleich auch die brünstige Löwin des Erdkreises.
Jetzt kam Leben in die Mauer der Kohorten. Irgendwo war das schmetternde Jauchzen eines metallenen Instruments erschollen.
Erzklirrend, speerdräuend und stumm befehlend teilte sich der Wall an einer Stelle, wo die Doppelreihe der Prätorianer plötzlich kehrtmachte. Die von Wettern aller Zonen gebräunten Gesichter der Soldaten starrten nun den Massen entgegen, hervor unter dem eisernen Helme. Harte Mienen, gnadenlos und ohne Erbarmen, zusammengebissene Zähne, fest aufeinandergepreßte Lippen. So mochten diese Legionäre dreinschauen, wenn sie durch die Höllenglut Afrikas oder im Eishauche der Alpengipfel wanderten, sich dahin kämpften durch die Sümpfe Galliens oder das Britanniens weiße Küstenmauer wild umheulende Meer überquerten, sturmumbrüllt, auf gebrechlichem Fahrzeuge.
Die Armmuskeln der Prätorianer schwellen zu steinharten Ballen. Weiß werden die Knöchel der den Speer umkrampfenden Fäuste. Die Waffenbarriere quergehaltener Lanzen wird zum unwiderstehlichen Grabscheit, das allem Gedränge zum Trotz eine breite Furche schaufelt in den aus lebendigen Schollen wogenden Menschenacker.
Das Spiel – ein Vorspiel zunächst – hebt an!
Schaulüstern hat die Menge nur noch Augen für das sich nahende Gepränge der Reichen, nur noch Sinn für die heranziehende Pracht der oberen Fünftausend Roms. Die Schmerzen des Getretenwerdens, die Folter unbeweglichen Stehens, die Qual sich steigernder Hitze, die Pein des Durstes – alles das ist plötzlich vergessen, nur die Schaulust lebt. Höchste Wonne der Gaffer, die sich berauscht an hundert Prächten: Pracht des Goldes und des Edelgesteins an den Sänften und der Gewandung – Pracht der Schönheit vornehmer Frauen und ihrer unter den neumodischen, durchsichtigen koischen Gewändern bloßgestellten Nacktheit.
Den Männern tritt der Speichel in die Mundwinkel. Sie werden unruhig und zittern.
»Sieh dort, Cordus, dort!« raunt ein Tagewerker seinem Nachbar zu, unruhig mit den Füßen trampelnd, soweit ihm das die Enge gestattet. »Sieh die da, die statt eines Gewandes ein Netz aus Goldgespinst anhat. Oh, all ihr Götter!«
Und er reißt die Augen auf und bleckt die Zähne im Eifer des Schauens und in der Gier, die ihn beim Anblick der entblößten Schönen wie ein eiliges Fieber durchrinnt.
Cordus lacht nur – das heisere Lachen heimlicher Erregung. »Beim Jupiter, Asthus,« flüstert er mit zitternden Lippen, »was ist meine alte Bettel gegen dieses Göttergeschenk!«
Dabei sucht der Listige sich noch fester anzuschmiegen an das Mädchen vor ihm, dessen schwellende Formen er seit dem langen Warten in dem Gedränge schon dicht an seinem Körper spürt. Als ob er Halt zu gewinnen trachte, umspannt er mit den verarbeiteten Händen lüstern die Hüften der kleinen Drallen.
Sie merkt nichts, denn sie muß schauen. Und es gibt immer wieder Neues zu sehen: berückende Gewänder der Damen ... ach, wer sich auch so reich kleiden könnte! Und dort der Jüngling, dessen Toga noch der rote Saum ziert. Rot wie das Blut, das der Kleinen sehnsüchtiges Herz pochen läßt. Traf nicht des Knaben Blick absichtlich den ihren? Sie seufzt – – und gafft weiter, spürt nicht die schmutzigen Hände des Nachbarn Cordus, die schon kühn nach der Brust des Mädchens tasten.
Immer neuer Prunk reicher Ankömmlinge füllt den durch die Kohorten freigehaltenen Platz, auf dem sich der Adel Roms versammelt, die Ritter einfinden. Ruhebetten, pomphaft bemalt und mit Leisten aus purem Golde geschmückt oder mit Silberbeschlag plattiert, schwanken daher, getragen von acht herkulischen Sklaven. Schöne Frauen lagern auf den kostbaren Purpurdecken dieser Sänften, hochmütig auf die Menge herabblickend, aber doch voll Freude über die ihnen gespendete naive Bewunderung.
Eine thronartige Sella, ein Tragstuhl, ragt hoch empor über die Köpfe von sechs riesigen Liburnern. Es sind kräftige Männer aus Illyrien, die man mit Vorliebe als Sänftenträger bedienstet, als Boten bevorzugt.
Ein junges Mädchen hat den bequemen Sitz der Sella inne. Über der schneeigen, geräumigen Stirn teilt sich das ebenholzschwarze Haar zum Scheitel, dessen sanftes Gewell mählich in krauses Gelock übergeht. Dieses Gelock verdeckt die Schläfen und die Ohren. Die Haartracht betont den Blick – den Blick der großen, tiefdunkeln Augen, die von kräftigen Brauen überwölbt, von seidigen, zierlich gebogenen Wimpern beschattet sind. Und dieser Blick offenbart eine feurige, leidenschaftliche Seele, die noch im Schlummer der Unschuld dämmert. Denn nur in kindlich staunender Neugier haften die schönen Augen auf der starrenden Menge und trinken die tausend Herrlichkeiten der Adelsversammlung in sich hinein.
Das Volk verstummt, als man dieses junge Geschöpf herzuträgt. In schweigender Huldigung stieren die Gesichter zu dieser jugendfrischen Schönheit empor. Selbst die unbeweglichen Prätorianer richten ihre Aufmerksamkeit mehr auf das anmutige Geschöpf als auf ihre Pflicht, zumal die eben noch drängende, stoßende Menge durch den lieblichen Anblick der Keuschheit zur Ruhe gebannt ist.
Da scholl in die Stille eines Mannes kräftige Stimme: »Sehet die Tochter des Valerius Messala Barbatus und seiner Gemahlin Lepida!«
»Ist es nicht vielmehr die Göttin der Schönheit selbst?« rief in aufflammender Begeisterung ein junger Mensch.
»Mit nichten,« lachte der Mann. »Doch mag der Venus Schönheit die Stunde regiert haben, in der dieses Mädchen gezeugt ward.«
»Nenne uns ihren Namen, du Kundiger,« tönte es aus einiger junger Leute Mund. »Rasch den Namen! Wir wollen ihr huldigen!«
»Unterlaßt es lieber,« flüsterte vorsichtig ein gewitzter Dritter. »Man könnte dem Cäsar von dieser Huldigung berichten. Und dann – ihr wißt: sein Neid kann ebenso den Tod dieses Kindes bestimmen wie euern eigenen.«
»Dann sterben wir für einen schönen Augenblick unsers Lebens und für diese junge Göttin der Schönheit,« klang es übermütig zurück.
»So huldiget der Valeria Messalina!«
Der Name flog von Mund zu Mund.
»Heil, Valeria Messalina! Roms Jünglinge grüßen dich!«
Die Rufe pflanzten sich fort, schwollen durch die Menge und jauchzten gegen den glutenden Septemberhimmel auch dort, wo niemand wußte, wem die Huldigung galt und was sie bedeute.
Es schrie dasselbe Volk, das wenige Jahre später dieses junge Geschöpf dort auf der reich prangenden Sella die verbuhlteste Dirne Roms schelten sollte.
Valeria Messalinas üppig blühender Mund über dem sinnlich rund vorspringenden Kinn öffnete sich zu einem kindlich dankbaren Lächeln. Sie senkte die seidigen Wimpern über den Blick innerlichen Entzückens, beugte den Kopf