Alfred Lichtwark: Eine Sommerfahrt auf der Yacht "HAMBURG". Alfred Lichtwark
den Knien, die an der Leeseite unter der Nase. Wer das von außen sah, dem drehte sich die Welt um. Bis zum letzten Tage haben wir nicht von dem Eindruck loskommen können, dass die Flaschen schräge standen und nicht die Wände. Das kam von dem allein wirkenden Oberlicht, denn die Ochsenaugen der Seitenwand waren unter Wasser. Große Fenster an den Seitenwänden — wären sie möglich — würden durch den Ausblick auf die Außenwelt den Eindruck berichtigt haben. Vom Speisezimmer — mit dem Spiegel über dem Kamin — geht es in die Küche und in den Teil des Schiffes, der den Matrosen zur Behausung dient. Nach der anderen Seite liegen an einem langen mit Mahagoni getäfelten Korridor die Kabinen, die besser Schlafzimmer hießen und mit allem Luxus ausgestattet sind. Einige haben das Bad im Fußboden, wo es bei Tage verdeckt liegt, andere im Nebenraum. Aber bei aller Freundlichkeit doch nirgend ein auffallender Luxus.
Die Yacht, die dem Hamburger Verein „Seefahrt“ gehört, ist 1898 in Glasgow für eine englische Familie erbaut. Die Kosten konnte ich nicht mit Sicherheit erfahren. Es hieß, sie hätten etwa 800.000 Mark betragen. Die Pläne stammen von dem Konstrukteur Charles Lindsay. Erbaut wurde das Schiff auf der Werft von D. und W. Henderson & Co. in Partick (nach den Vorschriften für höchste Klasse 20 Jahre A I mit Stern des englischen Lloyd). Es ist für atlantische Fahrt berechnet. Bei der Übernahme durch den Verein Seefahrt wurde die Klasse bei einer erneuten Prüfung durch die Agenten des Lloyd bestätigt. Ihren ersten Namen „RAINBOW“ vertauschte sie mit dem Namen „HAMBURG“. Eine genaue Beschreibung mit den nötigen Abbildungen und Plänen findet sich im Jahresbericht für 1903 des Norddeutschen Regatta-Vereins.
* * *
Kiel
Kiel
http://www.lexikus.de/bibliothek/Eine-Sommerfahrt-auf-der-Yacht-Hamburg/Kiel
Nach dem Gewitter war der Wind ganz abgeflaut. Das Schiff lag mit schlappen Segeln an der Boje. Nur wenn ein Dampfer vorüber fuhr, gluckten die Wellen gegen die Planken. Der schwerfallende Gewitterregen hatte jede Bewegung der glatten Fläche ausgelöscht, der Wasserspiegel der Förde sah aus, als wäre sie frisch gewaschen. In der mit Feuchtigkeit übersättigten Luft standen die Ufer ohne Modellierung als großer dunkler Schattenriss, in dem die Häuser körperlos wie helle Flecke hafteten.
Wie ich vom Heck aus das Ufer von der Nikolaikirche auf dem Stadthügel von Kiel bis zum Waldvorgebirge von Düsternbrook überblickte, schoss mir die lange Strecke zu einem redenden Bilde der Geschichte des Bodens zusammen. Ich weiß nicht, ob es noch eine andere Stadt gibt, deren Entwicklung sich so deutlich in ihrer Silhouette ausdrückt. Ganz hinten auf dem höchsten Punkt des alten Stadthügels strebt der kräftige Turm von St. Nikolai auf. Dort wurde auf dem vorbestimmten Hügel im Wasser ganz am Ende der Förde, wo es am sichersten war, von Schauenburger Grafen Kiel (zwischen 1233 und 1242) gegründet als eine Konkurrenz zu Lübeck. Dort hat sich sein Bürgertum im Anschluss an die Hanse kräftiger entfaltet, als bei solchen Konkurrenzstädten, die als Typus zur Zeit der großen deutschen Städtegründungen nicht selten vorkommen, die Regel ist, so dass es sich schließlich einer gewissen Unabhängigkeit gegenüber der Fürstengewalt erfreute. Aus jener fernen Zeit ragt der trotzige Turm der Stadtkirche empor, dem die Restauration den Charakter nicht hat nehmen können. Sonst blieb aus der ersten Zeit der Entwicklung nicht viel übrig außer den Resten eines Klosters und dem ziemlich unveränderten Straßennetz, das ursprünglich in acht Straßenzügen kreuzförmig von dem im Mittelpunkt gelegenen Markt ausging. — Ein seltener Stadtgrundriss.
Kiel um 1588
Auf den Turm von St. Nikolaus, dem Schutzpatron der Schiffer, folgt in der Prozession am Ufer eine andere Silhouette, die ihrer Form nach aus der Ferne schwer deutbar wäre, ein ungegliederter hochstrebender Kasten unter mächtigem Ziegeldach, alles zusammendrückend, was die Stadt enthält, mächtiger und massiger als selbst die Kirche, wenn sie auch mit der äußersten Turmspitze höher aufragt.
Es ist das Schloss, auf dem Platz der alten Stadtburg errichtet zur Zeit der zweiten Blüte der Fürstenmacht, die seit Ende des sechzehnten Jahrhunderts alles unterjochend an die Stelle des erschlafften Bürgertums getreten war.
Kiel Schloss um 1900
Unser Hamburger Baumeister Sonnin, der Erbauer der Michaeliskirche, hat dem alten Schloss seine heutige Gestalt gegeben. Auf ihn wird auch der weitaus schönste Privatbau Kiels, das Schweffelsche Haus zurückgeführt. Als im achtzehnten Jahrhundert das Land sicher geworden, wurde auch dem Kieler Schloss ein großer Park angefügt, der am Strand der Förde entlang weit ins Land führte. Zwei mächtige Alleen schlössen ein Blumenparterre ein, das in der Ferne am Abhange der Hügelreihe in eine Terrassenanlage überging. Wie überall wurde im neunzehnten Jahrhundert, als die absolute Fürstenmacht ausgeklungen war, dieser Park der neuen Macht des Bürgertums ausgeliefert, und der Schlossgarten zog sich auf ein enges, wohlumfriedetes Gelände am Schloss zurück. Die alten hohen Baumgänge fassen nun die öffentlichen Schmuckanlagen ein, und sie sind nicht mehr auf das Schloss orientiert, sondern auf das Repräsentationsgebäude einer anderen Macht, der Universität, die, im 17. Jahrhundert vom Fürstentum gegründet, nach vielen Schicksalen, zeitweilig fast völlig untergegangen — 1765 konnte sie ihr hundertjähriges Bestehen nicht feiern, weil sie keine Räume und keine Studenten mehr hatte — im neunzehnten Jahrhundert Stadt und Land beherrscht hat. Die Gelehrtenwelt der Universität ist seit dem Mittelalter ganz republikanisch organisiert. Sie drückt sich im Städtebild nicht wie Kirche und Fürst durch eine einzige große Form aus, das würde ihrem Wesen nicht entsprechen, es ist in ihr nichts einzelnes, das ragen könnte. Breitgelagert ruht ihr Hauptpalast auf der untern Terrasse des alten Schlossparks. Zu ihm führen die Alleen, als Teppich zu seinen Füßen breitet sich dazwischen das in Rasenplätze verwandelte Blumenparterre des Schlosses aus, das ehemals von der entgegengesetzten Richtung ausging. Hohe Mauern, Bäume und Büsche des kleinen Schlossgartens unterdrücken jede Spur des ehemaligen Zusammenhanges.
Kiel 1855
Hinter dem Hauptgebäude der Universität, in dem die wichtigsten Funktionen des Gesamtorganismus ausgeübt werden, erhebt sich eine Akropolis von Laboratorien aller Art, von Krankenhäusern und anderen Instituten, die zur Universität gehören, eine Stadt in oder neben der Stadt.
Auf die Universität ist dann seit der Gründung des Reichs im Bilde der Stadt eine andere Großmacht gefolgt, die ihr Wesen gründlicher als alle anderen erweitert und umgestaltet hat, die Marine. Wo das Reich der Universität aufhört, beginnt das der Seegewalt. Und während vom Wasser aus nur eben die Dächer der Universitätsgebäude sichtbar sind, lagert sich die massige Marineakademie breit am Ufer. Ein trauriges Stück erzakademischen Unvermögens, ganz aus Anlehnungen zusammengefügt, ein typisches Erzeugnis der Ohnmacht und des Unverstandes unserer abstrakten Architektur, die nirgends zu Hause ist, als an den Zeichentischen der Akademien und Baubüros.
An die Entwicklung der Marine schließt sich die vom Kaiser angeregte und geförderte Gründung und Ausbildung des Wassersports großen Stils, der in Kiel seine Heimat gefunden hat. Auch diese Phase drückt sich im Stadtbilde aus. Als Seitenstück zur Marineakademie erhebt sich das von Krupp erbaute Hotel der Seebadeanstalt mit dem kleineren Gebäude des kaiserlichen Yachtklubs neben sich. Das Hotel rührt nun schon nicht mehr von den Akademikern alten Stiles her, die aus italienischen Phrasen einen stümperhaften Aufsatz zusammenleimen, sondern von einem Akademiker neuen Stils, der schon mit englischen Gemeinplätzen arbeitet. Was an diesem Platz zwischen Seestrand und bewaldetem Hügelzug seine Aufgabe war, hat er nicht eine Minute überlegt. Sein Werk ist wie das seines Vorgängers im Büro am Zeichenbrett entstanden. An der Stelle, wo es steht, hätte dies Gebäude nur durch Masse und Einheit sich behaupten können gegen die Einheit des grünen Waldhintergrundes und die Einheit des Wasserspiegels