Geliebtes Carapuhr. Billy Remie
in diesem Moment wusste er, wer ihn festhielt.
Bevor er sich jedoch besinnen konnte, wurde er bereits grob auf den Boden geschubst und mit einem recht unsanften Tritt auf den Rücken befördert.
Er blinzelte, die grobe Behandlung sorgte dafür, dass sich sein Blick ein wenig klärte.
Ein paar große Schatten standen um ihn herum, breite Schultern, lange Zöpfe und Bärte – keine gesichtslosen Geister unter Umhängen, nur ein paar stinkende Barbaren.
Er wurde an den Schultern gepackt und niedergedrückt, hart schlug ihm jemand ins Gesicht.
»Herr!«, rief die krächzende Stimme erschrocken. »Nicht doch, er ist zu schwach!«
Der Protest wurde ignoriert.
»Beiß mich nie wieder, Desith Airynn von Elkanasai, sonst zieh ich dir alle Zähne, dann frisst du zukünftig nur noch Grütze, kapiert?«
Als Desith die großen tiefbraunen Augen mit den violetten Sprenkeln darin erkannte, hätte er beinahe vor Erleichterung geschluchzt. »Vynsu?«, ächzte er mit schwacher Stimme. Da fiel ihm alles wieder ein, der Fluss, die Rettung, Derrick…
»Rick!«, rief er und klammerte sich mit knochigen Fingern in Vynsus Wams. »Ihr … ihr…«
Vynsus violette Sprenkel verloren an Intensität, als in sein grobes Gesicht ein mildtätiger Ausdruck trat. »Keine Sorge, der Großkönig wird ihn suchen und heim-«
»Nein!«, fuhr Desith auf, und bereute es sofort. Ihm stach ein so scharfer Schmerz in den Kopf, dass ihm schwindelig und übel wurde. Etwas Warmes rann ihm über die Schläfe und Wange, Vynsu riss die Augen auf und jemand hinter ihm verwünschte Desith.
»Er hat sich die Naht am Kopf aufgerissen, der Narr!«
Desith achtete nicht darauf, er versuchte, Vynsus Aufmerksamkeit durch ein Schütteln zu erlangen, und beschwor ihn furchtvoll: »Ihr dürft ihn nicht suchen! Ihr dürft niemals mehr nach ihm suchen! Niemals! Warn den Großkönig! Ihr dürft ihn nicht zurückbringen! Ihr…«
»Schsch!« Vynsu drückte ihn auf den feuchten Waldboden, die Sonne fiel über dessen Kopf durch das Blätterdach und blendete ihn. »Ruhig. Alles ist gut…«
»Nein … ihr … ihr dürft ihn nicht …« Schwäche suchte Desith heim, alles drehte sich. »Bitte… nicht…«
Ein Schatten trat neben Vynsu, ging in die Hocke. Desith riss noch erschrocken die Augen auf, aber da wurde ihm bereits feines Pulver ins Gesicht gepustet. Eher als ihm lieb war, sank er zurück in einen übermächtigen Schlaf, der wie ein Dämon seine Krallen in ihn schlug und ihn in die Tiefe zog. Es war, als würde er in einem Meer aus öligem, schwarzem Wasser ertrinken, doch immerhin hatte er dort weder Sorgen noch Schmerzen.
*~*~*
Sie stand auf dem Eis im weißen Nebel. Der schneidende Wind wehte die dichten Schwaden über den gefrorenen See, doch die Sicht blieb versperrt. Sie trug ein Nachthemd, das dünn genug war, um ihre rosigen Brustwarzen hervorschimmern zu lassen. Der Stoff war so weiß wie der Dampf, der sie einhüllte, nur ihr flammenrotes Haar leuchtete aus der Kälte hervor, ihre Iriden besaßen die gleiche Farbe wie das frostige Eis, auf dem sie mit nackten Füßen stand.
Sie winkte ihn zu sich.
Vynsu blinzelte. Der Schnee unter seinen Füßen knirschte, als er sich in Bewegung setzte. »Was willst du mir zeigen?«
Sie legte einen zierlichen Finger über ihre blauen Lippen, ihre Wimpern waren eingefroren. Die Antwort blieb sie ihm schuldig, aber sie winkte ihn drängend zu sich. Vorsichtig trat er näher, das Eis, auf dem er ging, war brechend dünn, er hörte es unter seinem Gewicht gefährlich knarren. Furchtvoll blickte er hinab, sein Atem bildete weiße Wolken vor seinem Gesicht. Auf dem Eis lag Blut, es färbte den Frost rosa. Unter Vynsus Stiefeln schwammen Gesichter von Leichen, gefallene Krieger mit offenen, gefrorenen Augen.
Er sah sich auf dem See um, Schwerter steckten im Schnee, gebrochene Schilde lagen daneben. Es war grabesstill. Eine Schlacht hatte hier gewütet, die Lachen dampften noch. Vynsu bemerkte die Waffe in seiner Hand und starrte sie verwundert an. Wo kam sie her? Seine Klinge und sein Arm waren Blut überströmt.
Kalte Hände umfassten sein Gesicht, er wollte zurückzucken, doch sie hielt ihn sanft fest, hob seinen Blick an, bis er ihrem begegnete. Ihre Augen waren leer, ihr Gesicht bleich, kein Leben schien durch ihre Adern zu fließen. Der Wind wehte ihr das rote Haar in die Stirn, es wirkte durch ihre weiße Haut noch röter.
»Was willst du mir zeigen?«, wiederholte er atemlos.
Sie ließ ihn los, trat einen Schritt zurück und zeigte mit einem ausgestreckten Arm in die Mitte des Sees. Vynsus Herz krampfte, er wollte sich nicht umdrehen, aber eine unbesiegbare Macht ergriff von ihm Besitz und drehte seinen Kopf zur Seite.
Dort sah er es, die beiden Krieger. Feinde, wie es schien. Das Bild war eingefroren, nicht mehr als ein lebloses Gemälde. Einer der beiden kniete in Blut, der andere lag sterbend in seinen Armen und starrte ungläubig zu ihm auf. Ein Schwert steckte in der schmalen Brust des Sterbenden, die Faust des Siegers lag noch darum. Vynsu konnte sein Gesicht nicht erkennen, es wurde von blonden Strähnen verhüllt. Doch den Sterbenden erkannte er hingegen mit einer erschreckenden Klarheit.
Es war Desith, aus dem das Leben entschwand.
»Vynsu?«
Ein Rütteln an seiner Schulter, weder sanft noch grob, ließ ihn die Augen aufschlagen. Jori stand über ihm, in der Nacht wurde sein hartes Gesicht angestrahlt vom knisternden Lagerfeuer, an dem Vynsu saß.
»Deine Brühe verkocht«, sagte Jori mit seiner ruhigen, wohltuenden Stimme. Er klopfte Vynsu noch einmal auf die Schulter, bevor er an ihm vorüberging und sich ebenfalls im Schein der Flammen niederließ. Er holte seinen Wasserschlauch hervor und trank davon.
Vynsu öffnete die verschränkten Arme und beugte sich nach vorne, Moos und Rinde von dem umgestürzten Baumstamm, der ihm als Stütze gedient hatte, klebten ihm am Rücken, und als der Dreck abfiel, landete er natürlich in seinem Hosenbund und rutschte in seine Ritze. Grunzend bewegte er das Gesäß hin und her, dann lehnte er sich über das kleine Feuer und starrte in den Kessel, der darüber dampfte. Funken sprühten in der Dunkelheit unter dem geschwärzten Topf hervor, glommen flüchtig wie Glühwürmchen auf, um dann in der schwarzen Nacht zu verglühen. Irgendwo maulte ein Jaguar im Dschungel.
Vynsu rührte ein wenig in der Brühe und wirbelte die Knochen auf. Ein starker, leckerer Duft wehte ihm in die Nase, der ihn umgehend in seine Kindheit entführte.
»Von wem hast du geträumt?« Joris Nachhaken war vorsichtig, wie der Vater, der den Sohn fragte, wovor er sich fürchtete.
Vynsu zuckte mit den Achseln, er wollte nicht seine Träume vor seinen Freunden breittreten. Wenn er ehrlich zu sich selbst war, wollte er sie einfach so schnell vergessen, wie sie ihn heimsuchten.
»Du hast gewimmert wie ein Lämmchen«, nun lag Belustigung in der Stimme seines Freundes, »hast du von einer Frau geträumt?«
Nicht von irgendeiner, dachte Vynsu bei sich, und wieder hatte er Desiths Tod gesehen. Immer wieder derselbe Traum, das machte ihn unruhig. Er blieb Jori die Antwort aber schuldig. Stattdessen spähte er angestrengt in seinen Kessel und ließ durch stetiges Rühren die Hitze entweichen.
»Wusste nicht, dass du kochen kannst«, wechselte Jori nach einem Moment das Thema. In seiner Miene lag ein wissender und gleichwohl amüsierter Ausdruck.
»Das Rezept meiner Mutter«, verteidigte sich Vynsu und rührte weiter. »Diese Schamanen wissen doch gar nicht, was sie tun.«
»Hm«, brummte Jori und stützte die Ellenbogen auf die Knie. »Ich denke, dein Schützling hätte längst das Zeitliche gesegnet, verstünde der Schamane sein Handwerk nicht. Aber wenn dich deine Sorge dazu bringt, uns Brühe zu kochen, werde