Albtraumland. Daniela Zörner

Albtraumland - Daniela Zörner


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oder Geschmacksabstinenzler, Fairnesssaboteure oder Seelenkrepierer, die nun an seinen Lippen hingen und nach eigener Bedeutung lechzten. Oh ja, der Alte hatte ihre Eigenarten studiert wie die Maden an einem ranzigen Huhn. Welch ein Potenzial, welch ein Sumpf morbider Gelüste.

      Er verkündete mit großen Gesten seine erlangte Weisheit über den wahren Grund all ihres Übels: „Fremde strömen in unser Land. Sie werden hierher kommen und euch alles nehmen, Hopfen, Malz und Korn, all eure Bräuche!“ Da stellten sich die Leute mit Grausen vor, wie Schwarze und Verschleierte ihr geliebtes Schützenfest, ihre Stammkneipe, ihren China-Imbiss stürmen und die Zapfhähne zerstören würden. Sie erschauderten bei ihrem schalen Bier und redeten sich um den letzten Funken an Herz und Verstand. Einer erhob sich schwankend und brüllte: „Das Bier gehört uns!“

      Heimlich wurden Bier und Schnaps gehortet in Kellern oder Garagen. Die eingeflüsterte Saat des Alten ging auf.

      Der Tod aber staunte über solch genialen Irrsinn, so simpel gestrickt. „Sieh an, du weißt Lunten zu legen, alter Mann. Aber kannst du auch zündeln?“

      Als ob der Alte die teuflische Herausforderung vernommen hätte, gründete er eine Partei. Dort scharte er jene um sich, die wortgewandt Zorn wie Hohn im Übermaß versprühten, Fremdenhasser aus Prinzip. Jeder wollte der Lauteste sein, jeder noch eins draufsetzen.

      Nun wiederholte der Alte vor den herbei strömenden Massen gebetsmühlenartig seine Prophezeiung: „Die Fremden werden unser Nationalgetränk vernichten! Sie werden unsere stolzen Brauer in Arbeitslosigkeit und Ruin treiben!“ Und stets schloss er mit dem Satz: „Unser Bier gehört uns!“ Die Menge skandierte wie im Rausch: „Unser Bier! Unser Bier! Unser Bier!“

      Zuvor durch Neid und Missgunst entzweit, machten die Leute nun gemeinsame Sache. Sie marschierten und skandierten mit lautem Gebrüll durch die Straßen, dass das Land erbebte. Und sie fühlten sich mächtig. Der Alte rieb sich die Hände, sein Heer formierte sich.

      Die Fremden kamen wahrhaftig, wie der Alte es prophezeit hatte. Eine Handvoll hier, eine Handvoll dort. Doch den Leuten wurde weder angst noch bange. Nein, geschult durch den weisen Alten umstachelte Hass ihre mickrigen Herzen. Mit Geheul und Gebrüll entlud sich ihre Wut in abgemagerte Gesichter von gestrandeten Verstörten, Gequälten und Erschöpften. Die Fremden gewahrten in den Augen der wilden Meute die gleiche Mordlust, die sie aus ihrer geliebten Heimat hatte flüchten lassen. Und ihr Hoffnungsschimmer auf Frieden erlosch.

      Kein Mitleid wollte keimen im Angesicht von ein paar Elenden. Hatten sie, die Einheimischen, nicht selbst Elend genug? Lauwarmes Bier in der Sommerglut und leere Schnäppchenregale im Supermarkt? Mussten sie nicht in Schwerarbeit den Dreck vor der eigenen Tür zu der ihres Nachbarn schieben? War das nicht der Plage genug? Also marschierten sie unermüdlich hin, die Fremden zu begaffen und zu beschimpfen. Schnell erschallten Rufe aus der hasserfüllten Menge: „Die sollen verschwinden!“ Andere schrien: „Das Bier bleibt hier! Das ist unser Land!“ Ihre Kakophonie vereinigte sich schließlich. „Unsere Heimat! Unser Bier!“ Im Rausch des Hasses schritten sie fanatisch mit Benzin und Fackeln zur Tat.

      Aber der Alte erhob seine Hände in einer abwehrenden Geste der Unschuld. Sein köstliches Triumphgefühl verbergend bekundete er: „Von Gewalt habe ich niemals gesprochen.“

      Solch feige Worte missfielen dem Tod gewaltig. „Narr! Du willst mich um meine reiche Ernte betrügen?“

      Nachts kam er den Alten holen.

      Harmonia

      „Vater Biber, du hast da etwas auf deinem Kopf“, begrüßt ihn Frau Biber mit kritischem Blick, als er triefend aus ihrem kleinen Stausee in die Biberburg klettert. Der rosafarbene Plastikfetzen klebt wie eine lächerliche Haube auf des Bibers dunkelhaarigem Haupt. Mit seinen scharfen schwarzen Krallen langt er zu. „Dreck nochmal! Kein Bad, keine Arbeit vergeht mehr ohne diese widerwärtige Menschennahrung dazwischen. Sollen sie an ihren Speisen verrecken.“ Herr Biber redet sich in Rage, wie es nun beinahe täglich geschieht. „Ich wandere aus, mir langt es.“ Manches Mal träumt er davon, gelegentlich schwadroniert Herr Biber auch im Familienkreis darüber, ein fernes, wildes Land zu erobern. Frei von Menschen und deren gefährlichen, allgegenwärtigen Nahrungsresten. „Nicht schon wieder“, murmelt seine Frau in ihren dichten Pelz. Des Gatten erfundene Geschichten über sein glückseliges Land Harmonia verursachen ihr mittlerweile Albträume. Sie leckt weiter an dem tiefen Schnitt unter ihrer Pfote. Energisch verlangt Mutter Biber: „Vergrabe schleunigst die menschlichen Hinterlassenschaften am Ufersaum, bevor sich unsere Jungen ernsthaft verletzen. Ich habe mir auf dem Weg zum Frühstücksbaum bereits eine aufgeschlitzte Pfote geholt.“ „Ja, ja. Eins buddle ich weg, zwei liegen neu. Und das tagein, tagaus.“

      Missmutig schwimmt Vater Biber dem Ufer an der Waldwiese entgegen, wo Glasscherben, Kronkorken, Aluschalen, Kaugummis, Taschentücher, Plastikreste und Zigarettenkippen liegen. Im Wasser dümpeln Flaschen, Getränkedosen und noch mehr Plastik. Den halben Morgen hat Herr Biber damit verbracht, genau solch verstopfendes Zeug aus seinem Damm zu zerren, damit wieder mehr Wasser des Baches hindurch strömen kann.

      „Oh nein, solch ein Elend“, stöhnt Vater Biber, als er den toten Herrn Bisam zwischen all dem Schlamassel am Ufer entdeckt. „Oh, mein armer Freund.“ Herrn Bisam hängt die Zunge heraus, seine toten Augen voller Panik, um seinen malträtierten Hals rostiger Stacheldraht gewickelt. Überall Blut. „Oh – oh, unser Untergang naht.“ Da packt Vater Biber eine Wut, dass er sich wild herum wirft und wie besessen zu seiner Burg schwimmt.

      „Frau! Söhne!“, befiehlt Herr Biber seine Familie herbei. „Wir brechen auf. Jetzt!“ Verzweifelt, da sie glaubt, er habe tatsächlich den Verstand verloren, keucht Frau Biber: „Aber, wo willst du denn hin?“ „Den Bachlauf hinauf, nach Harmonia suchen“, verkündet Vater Biber mit einer Bestimmtheit, die keinen Widerspruch duldet. „Freund Bisam wurde ermordet.“

      „Köteralarm! Köteralarm!“ Vater Schwan spreizt erbost seine imposanten weißen Schwingen und zischt den Hund wütend an, der es gewagt hat, mit einem Satz in den Schwanensee zu springen. Mutter Schwan paddelt eilig mit ihrer Kükenschar davon. „Tag für Tag der gleiche Stress“, schimpft sie, „wir sollten auch auswandern.“ Während Herr Schwan erfolglos versucht, den Hund zu verscheuchen, nörgelt Frau Schwan lauthals weiter. „Nirgends sind wir mehr sicher. Keinen Schritt kann man mehr in Ruhe auf unserer saftigen Waldwiese machen. Sollen unsere Küken verhungern?“

      Zwei weitere Hunde platschen in den See. Herr Schwan gibt es dran und flüchtet zu seiner Familie bis in die Mitte des Sees.

      „So beruhige dich, Frau. Dein Gezische ist unerträglich“, nörgelt Vater Schwan. „Warum sollte ich? Alle Vernünftigen sind bereits fortgewandert aus dieser Hölle. Nach Harmonia!“, plustert sie sich auf. „Du übertreibst.“ „Ach ja? Wo sind denn Entens, Haubentauchers, Eichhörnchens, Hasens und wer noch alles abgeblieben?“ Schwerfällig watschelt Frau Schwan auf ihre winzige Insel im See, gefolgt von ihren sechs Küken. „Mama, mir ist schlecht.“ Mit sehnsüchtigem Blick schaut Frau Schwan zu ihrer geliebten Wiese hinüber, die gerade von Menschen zertrampelt, mit noch mehr Müll und Hundekot übersät wird. „Mama, mir ist so schlecht.“ Das Küken beginnt zu würgen, würgt und würgt, bis ein weißes Plastikknäuel vor den gelben Füßen von Mutter Schwan landet. „Küken! Wie oft habe ich euch schon gesagt, dass ihre keine Menschennahrung essen dürft?“ Das Küken würgt weiter. „Da hast du es. Unsere Kinder werden krank und ich kann nicht mal mehr die kräuterkundige Frau Hase um Rat fragen. Falls überhaupt noch Kräuter auf der geschundenen Wiese gedeihen.“ Das Küken röchelt, torkelt und fällt tot um. Da erschallen trompetenlaute Klagerufe über den See. „Tod! Tod und Verderben!“ Frau Schwan erhebt sich mit schweren Flügelschlägen. „Mein Küken ist tot!“ In größter Verzweiflung fliegt sie immer höher hinauf, beginnt den See zu umkreisen. „Menschenmörder! Menschenmörder!“ Begeistert zeigen die Menschen zu dem großen, trompetenden Vogel hinauf, dessen weißes Gefieder so prächtig im Sonnenlicht leuchtet.

      „Guten Morgen, Frau Nachbarin“,


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