Gar greuliche Thaten. Erik Schreiber

Gar greuliche Thaten - Erik Schreiber


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Individuum namens Dixon schien als Vertreter einer Detektei anwesend, und Pater Brown setzte sich bescheiden auf einen freien Stuhl neben ihm.

      Alle Zeitungen der Welt waren voll von der Katastrophe, die diesen Finanzkoloß, diesen großen Organisator der weltbeherrschenden Großindustrie betroffen hatte. Aber von den Wenigen, die ihm im Augenblick des Todes am nächsten gewesen waren, konnte man nicht viel erfahren. Onkel, Neffe und Anwalt erklärten, dass sie längst außerhalb der Mauer standen, als Alarm geschlagen wurde. Die Wächter an den beiden Schranken gaben etwas verwirrte, aber doch im Ganzen zufriedenstellende Antworten. Nur eine einzige Komplikation mußte besonders überlegt werden. Ungefähr zur Zeit seines Todes hatte sich ein Fremder auf geheimnisvolle Weise am Eingang zu schaffen gemacht und Herrn Merton sprechen wollen. Die Dienstboten konnten ihn nur mit Mühe verstehen, denn er sprach sehr unklar. Aber gerade das fiel später als belastend auf, denn er hatte gesagt, dass ein Bösewicht durch ein einziges Wort aus dem Himmel vernichtet werden könne.

      Peter Wain beugte sich vor. Die Augen in dem magern Gesicht glänzten. Er sagte: „Ich möchte darauf wetten – das war Norman Drage.“

      „Und wer in aller Welt ist Norman Drage?“ fragte sein Onkel.

      „Ja, das möchte ich gerne wissen“, erwiderte der junge Mann. „Ich habe ihn fast direkt gefragt, aber er versteht es wunderbar, jede gerade Frage zu verdrehen. Es ist, als hiebe man nach einem Fechter. Er versuchte, mich mit einem Hinweis auf das Luftschiff der Zukunft zu verwirren. Im Grunde habe ich ihm nie getraut.“

      „Aber was für ein Mensch ist er denn?“ fragte Crake.

      „Ein Mystagog“, sagte Pater Brown mit der Schlagfertigkeit eines Kindes. „Davon gibt es viele; zum Beispiel all die Leute, die in den Pariser Cafés und Kabaretts herumsitzen und Ihnen einreden wollen, dass sie den Schleier der Isis gelüftet haben. Auch in diesem Falle würden sie sicher eine mystische Erklärung zur Hand haben.“

      Der glatte dunkle Kopf des Anwalts neigte sich höflich gegen den Sprecher, aber sein Ton klang etwas feindlich.

      „Ich bin überrascht“, sagte er, „dass Sie ein Vorurteil gegen mystische Erklärungen haben.“

      „Ganz im Gegenteil“, sagte Pater Brown und blinzelte ihn freundlich an. „Und gerade deshalb kann ich manchmal über sie urteilen. Mich könnte jeder falsche Jurist herumkriegen; Sie aber nicht, weil Sie selbst ein Jurist sind. Wenn sich irgendein Narr als Indianer verkleidet, kann er mir einreden, dass er Old Shatterhand selber ist; aber Herr Crake hier würde ihn sofort durchschauen. Ein Schwindler könnte mir vormachen, dass er mit Aeroplanen ausgezeichnet Bescheid weiß, aber Wain würde ihm nicht darauf hereinfallen. Und genau so steht es mit dem andern, nicht wahr? Gerade weil ich etwas von Mystik verstehe, will ich mit Mystagogen nichts zu tun haben. Wahre Mystiker verbergen keine Geheimnisse, sondern enthüllen sie. Die Mystagogen dagegen verstecken etwas hinter Dunkelheit und Geheimnissen, und wenn man es findet, ist es ein Gemeinplatz. Was aber Drage betrifft, so will ich zugeben, dass er noch einen anderen Grund hatte, und zwar einen viel praktischeren Grund, uns Märchen über Feuer aus den Wolken und Blitze aus heiterem Himmel zu erzählen.“

      „Nämlich?“ fragte Wain. „Der Grund scheint mir sehr wichtig, wie er auch lauten mag.“

      „Ja“, erwiderte der Priester langsam, „er wollte, dass wir die Mordtaten für Wunder halten, weil er – ja, weil er selbst wußte, dass es keine Wunder sind.“

      „Aha“, sagte Wain mit einem Zischen, „darauf war ich gefaßt. Geradeheraus gesagt, er ist der Verbrecher.“

      „Geradeheraus gesagt, er ist der Verbrecher, der das Verbrechen nicht beging“, sagte Pater Brown ruhig.

      „Nennen Sie das geradeheraus?“ fragte Blake höflich.

      „Jetzt werden Sie gleich behaupten, dass ich selber ein Mystagoge bin“, erwiderte Pater Brown etwas eingeschüchtert, aber mit strahlendem Lächeln. „Doch das war nur ein Zufall. Drage hat das Verbrechen – ich meine dieses Verbrechen – nicht begangen. Er hat nur eins auf dem Gewissen – Erpressung; deswegen trieb er sich hier herum. Aber er wollte keinesfalls, dass die ganze Welt sein Geheimnis erfahre, oder dass der Tod der ganzen Sache ein Ziel setze. Später können wir uns über ihn unterhalten. Jetzt im Augenblick möchte ich nur, dass er uns nicht im Wege ist.“

      „Im Wege?“ fragte der andere.

      „Im Wege zur Wahrheit“, erwiderte der Priester und sah ihn ruhigen Blickes an.

      „Wollen Sie damit sagen“, brachte der andere mühsam hervor, „dass Sie die Wahrheit wissen?“

      „Ich glaube ja“, erwiderte Pater Brown bescheiden.

      Eine plötzliche Stille herrschte. Dann rief Crake plötzlich und unvermittelt mit rauher Stimme:

      „Herrgott, wo ist der Sekretär? Wilton? Er sollte hier sein!“

      „Ich stehe mit Herrn Wilton in Verbindung“, sagte Pater Brown ernst, „ja, ich habe ihn sogar gebeten, mich in ein paar Minuten hier anzurufen. Wir haben sozusagen die Sache zusammen aufgeklärt.“

      „Wenn Sie zusammen arbeiten, ist ja alles in Ordnung“, brummte Crake. „Er war immer wie ein Bluthund hinter den Spuren dieses unsichtbaren Spitzbuben her, also hat es sicher nichts geschadet, wenn Sie zu zweit gejagt haben. Aber wenn Sie wirklich die Wahrheit wissen, wo zum Teufel haben Sie sie her?“

      „Von Ihnen“, erwiderte der Priester ruhig und sah dem wütenden Veteranen gleichmütig ins Auge. „Ich meine, dass eine Bemerkung in Ihrer Erzählung von dem Indianer, der ein Messer warf und einen Mann auf einem Fort tötete, mich zuerst auf die richtige Spur gebracht hat.“

      „Das haben Sie schon ein paarmal gesagt,“ bemerkte Wain mit verwunderter Miene, „aber ich weiß nicht, was Sie für Schlüsse daraus ziehen, außer den, dass vielleicht ein Mörder einen Pfeil schleuderte und einen Mann oben auf einem Haus traf, das Ähnlichkeit mit einem Fort hat. Aber der Pfeil wurde doch nicht geschleudert, sondern abgeschossen, und hätte doch auch noch weiter getragen. Obwohl er jedenfalls von weit genug herkam. Jedenfalls sehe ich nicht ein, wieso uns das weiterbringt.“

      „Ich fürchte, Sie haben die Pointe der Geschichte nicht verstanden“, sagte Pater Brown. „Nicht darauf kommt es an, dass ein Gegenstand weit trägt oder ein andrer weiter, sondern, dass ein Werkzeug auf zwei Arten angewendet wird. Die Soldaten auf Crakes Fort dachten, ein Messer sei nur im Nahkampf zu gebrauchen; sie vergaßen, dass es ein Geschoß sein kann wie ein Wurfspeer. Andere Leute, die ich kenne, dachten, eine andere Waffe sei ein Geschoß; sie vergaßen, dass man sie schließlich im Nahkampf gebrauchen kann wie einen Speer. Kurz und gut, die Moral der Geschichte ist die: kann man einen Dolch in einen Pfeil verwandeln, so auch einen Pfeil in einen Dolch.“

      Aller Augen waren auf ihn gerichtet, er aber fuhr in demselben leichten und unbeirrten Ton fort:

      „Selbstverständlich zerbrachen wir uns den Kopf darüber, wer den Pfeil durch das Fenster abschoß, ob er von weit her kam, und so fort. Aber die Wahrheit ist, dass niemand den Pfeil abgeschossen hat. Er kam überhaupt nicht durchs Fenster.“

      „Wie ist er aber dann sonst hereingekommen?“ fragte der brünette Anwalt mit finsterem Gesicht.

      „Jedenfalls hat ihn jemand mitgebracht“, erwiderte der Priester. „Schwer zu tragen oder zu verbergen war er ja kaum. Jemand hatte ihn in der Hand, während er dort in Mertons eigenem Zimmer mit Merton am Fenster stand. Jemand stach ihn dem alten Merton wie einen Dolch in die Kehle und hatte dann die höchst intelligente Idee, das Ganze in einem solchen Winkel und einer solchen Lage anzuordnen, dass wir blitzschnell annehmen mußten, der Pfeil sei wie ein Vogel durchs Fenster geflogen.“

      „Jemand“, sagte der alte Crake mit einer Stimme, die so schwer war wie ein Stein. Das Telephon läutete mit grellem und fürchterlich hartnäckigem Nachdruck. Es stand im nächsten Zimmer, und bevor jemand sich rührte, war Pater Brown schon dran.

      „Zum Teufel, was soll das“, schrie Peter Wain, der ganz zerrüttet und verwirrt schien. „Er sagte, er erwarte den Anruf des Sekretärs Wilton“,


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