Der Politiker. Geri Schnell

Der Politiker - Geri Schnell


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Seiten profitieren. Die einen können ihre Rechnung in der Kneipe entweder mit einem Käse aus Holland begleichen oder mit Wein aus Frankreich. Aus der Schweiz sind die Zigarren momentan am einträglichsten.

      Damit die Matrosen in der goldenen Gans nicht alleine rumsitzen müssen, organisierte Franz Leute von der Strasse. Die sind froh, wenn sie an der Wärme sind. Da sie sich kein Bier leisten können, stellt der Wirt ihnen ein, zwei Finger hoch gefülltes, Bierglas hin. Ab und zu, lässt er in ein leeres Glas etwas nachfüllen. So ist in der goldenen Gans immer viel Betrieb.

      Nachdem es sich herumgesprochen hat, ist es manchmal zu laut. Einmal geraten sich Sozis und Nazis in die Haare und es gibt eine Schlägerei. Darauf hin hängte der Wirt eine Tafel vor das Lokal. Politische und religiöse Symbole sind in der goldenen Gans unerwünscht. Ab diesem Zeitpunkt sieht man weder Hakenkreuze noch rote Halstücher im Lokal.

      Franz macht sich die Arbeit nicht leicht, jeden Abend führt er sein Kassenbuch nach. Es ist wichtig, denn die Preise schwanken. Er muss darauf achten, dass von keinem Produkt zu viel auf den Schwarzmarkt in Worms gelangt.

      Eine steile Karriere, welche Franz da hinlegt. Vom korrekten Beamten, zu einer Drehscheibe auf dem Schwarzmarkt. Nach zwei Monaten steht er nicht mehr selber am Pier, dazu hat er Männer angestellt, welche für ein paar Zigaretten seine Aufträge ausführen. Er hat sie gut im Griff, jeder ist froh, wenn er seine Aufgabe hat, die ihm erlaubt, dass er abends nicht hungrig ins Bett muss.

      Natürlichen hat sich herumgesprochen, dass in der goldenen Gans viele Matrosen einkehren. Um den Matrosen ein gutes Programm zu bieten, schickt Franz Männer aus, welche in den Strassen nach jungen Mädchen Ausschau halten. Die meisten sehen erbärmlich aus. Frau Wirtin nimmt sich den Mädels an. Zuerst müssen sie ins Badezimmer. Einige erhalten nach Wochen endlich wieder einmal ein Bad. Nach dem sie gründlich gewaschen sind, versucht die Wirtin, sie etwas herzurichten. Sie kämmt ihre meist wilde Frisur und bändigt diese in Zöpfen. Wenn die Kleidung gar schäbig aussieht, holt sie aus ihrem Kleiderschrank einen Rock oder eine Bluse und leiht sie den Mädels.

      So herausgeputzt schickt man die inzwischen recht ansehnlichen Mädchen in die Kneipe. Der von der Strasse geholte Handharmonikaspieler sorgt für Stimmung. Es wird geschunkelt, als ob jeden Tag Fasching wäre. Das gefällt den Leuten. Die Matrosen haben meistens links und rechts bei einem Mädchen eingehängt und wiegen hin und her. Natürlichen wurde der Körperkontakt von beiden Seiten begrüsst. Die Mädchen bekommen zur Belohnung meistens ein Bier und manchmal eine Suppe spendiert. Die Spende wird üblicherweise mit einem Kuss verdankt.

      Der Franz kann sich nicht beklagen. Der Wirt lässt ihn am guten Geschäft mit verdienen. Dass aus dem exakten Beamten, so quasi ein Zuhälter geworden ist, stört eigentlich nur Rosa. Sie ist jedoch froh, dass ihr Haushaltsgeld wieder etwas reichlicher ausfällt. Nachdem Franz arbeitslos wurde, musste sie sich sehr einschränken, das ist für sie ungewohnt. Sie die in Kassel Verwandte hat, welche mit dem Kaiser verwandt waren. Wenn die wüssten, sie könnte sich bei ihnen nicht mehr blicken lassen, aber das ist zurzeit eh kein Thema, es sind keine weiteren Familientreffen geplant.

      Wilhelm geht immer noch ans Gymnasium. Dort hat es grosse Änderungen gegeben. Viele Schüler haben aufgegeben. Was sollen sie mit dem Abitur anfangen. Arbeit werden sie auch mit einem Diplom keine finden. Es gibt unter den Arbeitslosen zu viele Akademiker. Zurzeit sind eher Leute mit starken Muskeln gefragt. Kerle die anpacken können. Die Klasse ist um die Hälfte geschrumpft und wird nur noch von einem Lehrer unterrichtet.

      In den Strassen von Worms finden wöchentlich Demonstrationen statt. Sowohl rechts wie links mobilisieren ihre Leute. In der Schule gibt es zwei Lager. Von der Herkunft her gehört Willi eigentlich zu den rechten, doch die jüdische Urgrossmutter verhindert einen Beitritt zur Hitlerjugend.

      So ist er gezwungen, sich mit den immer seltener werdenden Söhnen der linken zusammenzutun. Er tritt dem SV Wormatia Worms bei. Fussball hat ihn schon immer begeistert. Die Mitglieder sind meistens links orientiert, doch es dominiert der Fussball, Politik bleibt draussen. Nach anfänglichen Problemen, wird er immer besser und steigt vom Ersatzspieler zur Stammelf auf, allerdings nur in der zweiten Mannschaft.

      In der Schule hat er immer noch viele Freunde. Auch solche die jetzt in der Hitlerjugend sind. Die erzählten von ihren Zeltlagern und Schiessübungen welche sie jedes Wochenende organisieren. Da können die Fussballer nicht mithalten. Eigentlich würde Willi auch gerne ins Zeltlager und bei Schiessübungen teilnehmen, aber sein Bericht über den Besuch bei seiner jüdischen Urgrossmutter, haben die anderen Schüler noch nicht vergessen. Wie konnte er nur so dumm sein, mit einer jüdischen Urgrossmutter anzugeben. Heute wäre das undenkbar, doch damals war das noch normal.

      Zumindest Gabi schätzt es, dass er nicht in der Hitlerjugend ist. Ihre Familie steht politisch, auf Grund ihrer Herkunft, links. Sie besucht jedes Fussballspiel in dem Willi mitspielt, sogar wenn sie auswärts antreten, fährt sie mit dem Rad hin und unterstützt ihn mit lauten Zurufen.

      In der goldenen Gans bereitet man sich auf eine spezielle Nacht vor. Max Schmeling boxt diese Nacht in New York. Der Wirt hat ein Radio organisiert, dass der Kampf direkt verfolgt werden kann. Eigentlich müsste er die Kneipe nachts schliessen, aber man hat vorgesorgt. Um Mitternacht sieht es so aus, als ob alle nach Hause gingen, doch die Leute kommen durch den Kellereingang wieder zurück in die Kneipe. Natürlichen heisst es ab diesem Zeitpunkt ruhig sein. Alles versammelt sich in der hinteren Stube, die für Versammlungen vorgesehen ist. Von dort dringt kein Laut nach draussen.

      Der Kampf gegen den als unschlagbar geltenden Sharkey beginnt. Gespannt lauschen die Leute der Stimme des Reporters. Schmeling beginnt gut, doch es ist nicht zu verkennen, dass Sharkey sehr stark ist. Auch wenn der deutsche Reporter jede Aktion von Schmeling über Gebühren lobt, so ist nicht zu verheimlichen, dass er viel einstecken muss. Auf jeden Fall mehr als es dem Reporter lieb ist.

      Immerhin, die ersten drei Runden hat er überstanden, das schafften bis jetzt nur die wenigsten. Dann wird die Stimme des Reporters laut.

      «Max krümmt sich vor Schmerzen, es sieht schlechte aus, aber das war ein Tiefschlag, der ihn ausser Gefecht gesetzt hat».

      Danach ist der Reporter verstummt, die Halle scheint zu toben.

      «Der Kampf ist zu Ende», findet der Reporter seine Stimme wieder, «wird Max der Titel gestohlen?»

      Die Spannung ist auch in der Kneipe zu spüren, ist das das Ende des Traums?

      «Max ist Weltmeister!», - die Stimme des Reporters überschlägt sich beinahe. «Sharkey wird disqualifizier. Max ist Weltmeister, - Weltmeister, Weltmeister!»

      In der Kneipe bricht Jubel aus. Max ist einfach der Grösste.

      Mit dem Gefühl, wir Deutschen sind Weltmeister, verlassen die letzten Gäste die Kneipe erst, als es draussen schon hell war. Auch Franz hat ein bisschen zu viel getrunken, doch Rosa schläft schon fest, als er zu ihr ins Bett steigt.

      Ende Juni ist es dann soweit, die Franzosen ziehen ab. Endlich ist Worms wieder deutsch. Endlich kann man die Ernst Ludwig Brücke überqueren, ohne dass man mit einer Kontrolle durch die Franzosen rechnen muss.

      Die Freude in der Bevölkerung ist gross, nur öffentlich zeigen wollte man es nicht. Die Hauptsache ist, dass sie endlich gehen. Mit gemischten Gefühlen schaut Maria den letzten LKWs nach. Die Nacht von Mannheim spukt immer noch ab und zu in ihrem Kopf herum, zum Glück hat nie jemand davon erfahren.

      Der Abzug der Franzosen verursacht in Worms eine optimistische Stimmung. Nur, der Lebensstandard steigt deshalb nicht wirklich an, die Armut ist nur besser zu ertragen.

      Der Winter 1931 ist etwas wärmer, als die letzten Jahre. Trotzdem leiden die Einwohner von Worms unter der Wirtschaftskrise. Immer mehr Arbeitslose bedeutet auch für die Geschäfte wenig Umsatz und stark sinkende Erträge. Auch die goldene Gans musste Einbussen verkraften, doch lange nicht so viel, wie andere Kneipen. Das Konzept stimmte und Matrosen haben immer Geld. Aber die schlechte Wirtschaftslage führt dazu, dass weniger Schiffe in Worms anlegen. Auch Familie Wolf muss zurückstecken, doch im Vergleich mit vielen anderen Wormser sind sie gut dran.


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