Kunstgeschichtliche Darstellung des Domes zu Worms. Erik Schreiber

Kunstgeschichtliche Darstellung des Domes zu Worms - Erik Schreiber


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Und nicht einmal die Namen dieser Männer hat die Chronik der Stadt aufbewahrt, und nur auf den Streifzügen in der Kunstgeschichte begegnen wir ihnen im fernen Lande. So finden wir im Dome zu Würzburg den vielbewunderten Taufstein aus dem Jahre 1279 vom Meister Eckard aus Worms; in Köln (gestorben 1529) den Maler Anton aus Worms; in Straßburg den Jodocus Dotzinger (S. Essias par Grandidier S. 62 u. 422) aus Worms, während der Jahre 1449 bis 1486 Dombaumeister am Münster und Großmeister der deutschen Maurer. Von allen diesen Männern hat ihre Vaterstadt kein Andenken aufzuweisen und sollten deren vorhanden gewesen sein, so sind sie durch die Hand der Franzosen dem allgemeinen Schicksale erlegen, das auch den Dom fast aller seiner Kunstwerke beraubt hat.

      Doch ist es uns in demselben, wie durch ein Wunder, noch eine Reihe der trefflichsten Schöpfungen aus dem Gebiete der mittelalterlichen Bildhauerkunst und Malerei erhalten, welche wir nunmehr betrachten wollen.

      Wie bereits erwähnt, ließ Bischof Johannes von Dalberg im Jahre 1488 einen neuen Kreuzgang nebst Oratorium am Dome erbauen. Fünf große Werke der Bildhauerkunst, wahrhafte Gemälde in Stein, schmückten denselben, und wir bezeichnen es als ein wahres Glück, daß diese unschätzbaren Sculpturen so wenig versehrt aus dem Brande im Jahre 1813 hervorgegangen sind. Nachdem sie von da bis zum Jahre 1833 dem Wetter und allen Zufällen preißgegeben waren, ließ der vorige Pfarrer des Domes, Ludwig Boll, dieselbe in die Taufkapelle bringen und daselbst aufstellen.

      Treten wir nunmehr in diese Kapelle ein, um einige Zeit bei diesen Sculpturen zu verweilen. Je fleißiger wir diese Gebilde der christlichen Kunst studiren, um so weniger können wir begreifen, daß dieselben nicht längst zu einem allgemeinen Ruhme gelangt sind, ja daß derselben in der Kunstgeschichte bis jetzt nur oberflächlich Erwähnung geschehen ist. Denn, selbst Nürnberg nicht ausgenommen, wüßten wir keine Bildwerke zu nennen, die ein so herrliches Licht über Wesen und Geist der christlichen Bildhauerei gegenüber der griechischen verbreiteten, als eben diese Sculpturen. Schreitet auch das Verständniß und die Anerkennung der christlichen Kunst principien durch die großen Verdienste gegenwärtiger Kunstgelehrter immer mehr voran, so ist das allgemeine Bewußtsein dennoch weit davon entfernt, den hohen Werth und die einzige Wahrhaftigkeit dieser Auffassung vollkommen zu begreifen und zu würdigen. In Folge unserer einseitig klassischen Bildung ist das Unerhörte geleistet worden, daß unser eigener Geist uns fremd geworden ist, daß wir uns in den Gebilden des Griechenthums heimischer fühlen, als in denen, welche der christlich-deutsche Geist geboren hat. Ja, es geschah das Unbegreifliche, daß die Bahnen, welche Bischer, Stoß, Kraft und die anderen Darsteller des christlich-deutschen Principes im Mittelalter mit eigener Geisteskraft gebrochen hatten, daß diese Bahnen, auf denen die Plastik allein zu ihrem Höhepunkte und zu ihrer Erfüllung gelangen konnte, nach kaum hundert Jahren, durch die von Italien hereinbrechende sogenannte Wiedergeburt der Künste, elendiglich verschüttet und vergraben worden sind.

      Fassen wir nun nach dieser kleinen Abschweifung unsere speciellen Kunstgebilde näher ins Auge, so müssen wir vor Allem auf den glänzenden Marmor Verzicht leisten. Den hatten unsere Künstler nicht. An den Wänden der Kapelle sehen wir fünf Tableaux aus gelben Sandsteine aufgestellt, welche sämmtlich zwischen den Jahren 1484 – 1488 gearbeitet wurden und die durchschnittlich eine Breite und Höhe von 14 – 18 Fuß haben. Sie stellen die Hauptperioden aus der Lebensgeschichte Marias und Jesu dar: 1) den Stammbaum Mariä, 2) den englischen Gruß, 3) die Geburt Jesu, 4) die Grablegung, 5) die Auferstehung.

      Würden wir die Art der Darstellung als Haut-Relief bezeichnen, so würde die Vorstellung von diesen Gebilden wahrscheinlich eine falsche werden. Die Hauptgestalten im Vordergrunde, zumeist in natürlicher Größe, heben sich vollständig von dem Steine ab und bilden Statuen, während sich ein im Relief-Styl gehaltener, vollständig perspektivischer Hintergrund ausbreitet, der ganz der malerischen Auffassung entspricht. Ja wir finden zum Theil eine so richtige Perspektive, wie wir sie oft in gleichzeitigen Gemälden nicht erreicht finden. Auf diese Art erklärt sich auch die gleiche Höhe mit der Breite unserer Bildwerke, welche erstere jedoch pyramidalisch, von reichen Arabesken umrahmt, sich zuschließt.

      Wir können es uns nicht versagen, bei der einzelnen Betrachtung unserer Tableaux mit der Grablegung Christi zu beginnen, einer Schöpfung von ergreifendem Ausdrucke, voller Leben und voll unendlicher Wahrheit. Als Hauptfigur sehen wir Christus im Grabe, zu Häupten und zu Füßen den Joseph von Arimathäa und den Nikodemus. Um den Steinsarg gruppiren sich der Lieblingsjünger des Heilands, die heilige Mutter, die andere Maria und Magdalena.

      Fassen wir die Gestalt des Erlösers näher ins Auge, so ruht der vom Tode hingestreckte Körper auf einem faltenreichen unter ihm ausgebreiteten Tuche. Sind die erstarrten Züge auch von schweren Leiden durchfurcht, schwebt um die Lippen auch unendlicher Schmerz, so ruht über dem Ganzen doch der Ausdruck der Verklärung und des Bewußtseins einer göttlich vollbrachten That. Der Körper ist etwas mager gehalten, jedoch ohne Uebertreibung und zeugt uns von der Unmittelbarkeit des Fühlens jener Künstler, welche nicht erst nöthig hatten, ein Formell-Schönes zu erfinden, um zur Hingebung an ihre Darstellung zu begeistern.

      Das Haupt des Heilandes ruht in den Händen Josephs von Arimathäa. In seinen Zügen drückt sich der ruhige Schmerz des Mannes aus und die ganze Gestalt zeigt uns das Bild eines braven deutschen Biedermannes. Das Gesicht ist von einem mässigen Bart umgeben und das lockige Haar mit einem Turban bedeckt. – Die Füße des Erlösers liegen in den Händen des Nikodemus, ein ächter deutscher Künstlerkopf, jugendlich und bartlos, die Stirne von schön gearbeiteten Locken bis auf die Schultern umwallt, im Gesichte den bewältigendsten Ausdruck eines tiefen, thränenlosen Schmerzes.

      Am Sarge steht der h. Johannes. Obwohl von eigenem Leide überwältigt, sucht er die Mutter des Heilands tröstend vom Leichname entfernt zu halten. Ihr zur Seite stehet die mit ihr klagende Freundin und neben dieser, in jugendlich reizender Mädchengestalt, Maria Magdalena, die Hänge ineinander gefaltet und die eigenen Thränen bei ihrem Anblicke herausfordernd. Ueberhaupt sind die Gestalten und die Züge der Frauen meisterhaft und die reiche Gewandung derselben ist unübertrefflich schön geordnet.

      An den beiden Enden des Felsengrabes erblicken wir zwei Pharisäer mit böswillig staunenden, fast an das Humoristische grenzenden Gesichtern.

      Im Hintergrund erhebt sich in Relief das leere Kreuz des Heilandes, links und rechts die beiden Schächer, mit Stricken an das Kreuz gebunden. Meisterhaft und mit besonderem Fleiße ist die Anatomie des rechten Schächers ausgeführt und bewundernswert der ihn in den Händen zuckende Tod.

      Das ganze Bild ist umrahmt von lieblichen Engelsgestalten unter Baldachinen von Staunen erregender Feinheit und Schönheit der Arbeit. Durch gothisches Maßwerk verschlingen sich arabeskenartig in reicher Mannigfaltigkeit Aeste und Zweige, in der Keckheit der Ausführung fast an das Unmögliche grenzend.

      Ueberblicken wir auch ein Mal kurz das ganze Gemälde, von dem wir uns nur schwer trennen, so bietet uns das Ganze ein Bild des Schmerzes dar, und wie unvergleichlich ist dieser in all seinen Arten und Stufen dargestellt. Der Todesschmerz des Heilandes, der Schmerz des Mannes und des Jünglings, der Schmerz der Mutter, der Freundin, des Mädchens und selbst die Schmerzen der beiden Schächer am Kreuze: gewiß eine Aufgabe, deren Lösung, wie hier, nur einer ächten Künstlerseele gelingen konnte. – Das ganze Bildwerk hat eine Breite von 15 und eine Höhe von 18 Fuß.

      Treten wir nunmehr vor den Stammbaum Mariä, so ist der erste Eindruck der des Staunens ob der reichen und kunstvollen Darstellung. Jesse, der Stammvater des Hauses David, ruht wie träumend auf den Boden ausgestreckt, den Kopf auf die Hand gestützt. Aus seiner Seite tritt ein kräftiger Stamm hervor, der sich alsbald zu Aesten und Zweigen entfaltet. Der ganze Baum bildet eine große Arabeske, 15 Fuß breit und fast ebenso hoch. Die Aeste schwingen und biegen sich so schön und wohltuend, entwickeln einen solchen Reichthum der phantastievollen Formenwirkung, daß die Idee des Ganzen selbst als Zeichnung heute noch einen Schwarzmann zum Ruhme gereichen würde. Da ist Alles so zart, so schmiegsam, so harmonisch gedacht und dabei sind die einzelnen Windungen mit der unsäglichen Geduld vom Steine abgehoben und herausgearbeitet, daß unser Auge mit wahrem Wohlbewagen diesem schönen Spiele der Phantasie nachfolgt.

      Die einzelnen Zweige entfalten sich zu reichen, prachtvollen Blüthenkelchen, von denen jeder in halber Lebensgröße das Brustbild eines Ahnen des David’schen Königsgeschlechtes


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