Joseph Conrad: Das Ende vom Lied – Weihe – Hart of Darkness:. Joseph Conrad

Joseph Conrad: Das Ende vom Lied – Weihe – Hart of Darkness: - Joseph Conrad


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wäre...

       Er war frisch rasiert, mit rotem Gesicht zu Kapitän Whalley gekommen, die magere Brust herausgereckt, und hatte seine kleine Geschichte mit offener, männlicher Selbstsicherheit erzählt. Dann und wann zitterten seine Augenlider leicht, oder seine Hand fuhr verstohlen zu dem Ende des grellroten Schnurrbartes hinauf. Seine Brauen waren gerade, buschig und nussbraun, und die Geradheit seines offenen Blickes schien die Grenze der Unverschämtheit zu streifen. Kapitän Whalley hatte ihn auf Probe genommen, dann, da der andere Mann, von den Ärzten nach Hause geschickt worden war, die nächste Reise über und dann wiederum die nächste behalten. Nun hatte er feste Anstellung erreicht und gab sich seinen Pflichten mit unterstrichenem Diensteifer hin. Sobald man ihn ansprach, begann er aufmerksam zu lächeln, wobei seine ganze Haltung eine große Ergebenheit ausdrückte. In dem raschen Zwinkern aber, das fortwährend anhielt, lag etwas wie Hohn, als wäre ihm allein ein besonders guter Witz auf Kosten der gesamten Menschheit, allen anderen unergründlich, bekannt.

      Mit diesem Lächeln sah er auch Massy entgegen, der Stufe um Stufe herunterkam; sobald der Erste Ingenieur das Deck erreicht hatte, fuhr er herum und stand ihm Auge in Auge gegenüber. Von gleicher Größe, sonst aber gänzlich unähnlich, sahen sie einander ins Gesicht, als wäre etwas zwischen ihnen – etwas anderes als der breite Sonnenstreifen, der durch eine Spalte im Sonnensegel quer über die Deckplanken fiel und die Füße der beiden Männer trennte wie ein Strom; etwas Tiefgründiges, Abgefeimtes, Unberechenbares, wie ein ausgesprochenes Einverständnis, ein geheimes Misstrauen oder eine gewisse Angst.

      Schließlich zwinkerte Sterne mit seinen tiefliegenden Augen, schob sein scharfgeschnittenes, glattes Kinn vor, das rot war wie das übrige Gesicht, und murmelte:

      „Haben Sie's gesehen? Er hat gestreift! Haben Sie's gesehen?“ Massy hob sein gelbes, fleischiges Gesicht und gab verächtlich zurück:

      „Kann sein. Hätten Sie es aber versucht, dann wären wir sicher im Schlamm festgerannt.“

      „Verzeihen Sie, Herr Massy, das wage ich zu bestreiten. Natürlich kann ein Reeder auf seinem eigenen Schiff sagen, was immer er will. Das ist schon recht; aber ich bitte doch...“

      „Gehen Sie mir aus dem Weg!“

      Der andere fuhr leicht zusammen, wie in unterdrückter Empörung, blieb aber stehen. Massys gesenkter Blick wanderte nach rechts und links, als wäre das Deck rund um Sterne mit Eiern bestreut, die nicht zerbrochen werden sollten, und er spähte ängstlich nach einem Fleck, um die fliehenden Füße niedersetzen zu können. Schließlich rührte auch er sich nicht, obwohl Platz genug da war.

       „Ich hörte Sie dort oben sagen“, fuhr der Erste Offizier fort „– und es war eine sehr richtige Bemerkung –, dass immer etwas nicht in Ordnung ist...“

      „Ihr wunder Punkt ist das Horchen, Herr Sterne.“

      „Nun, wenn Sie mir nur einen Augenblick zuhören wollten, Herr Massy, dann könnte ich...“

      „Sie sind ein Angeber“, unterbrach ihn Massy hastig und wiederholte unmittelbar darauf nochmals, „ein gemeiner Angeber“, bevor der Erste beschönigend einfallen konnte:

      „Nun, sagen Sie doch, Herr, was wollen Sie? Was wollen...“

      „Ich will – ich will“, stammelte Massy wütend erstaunt, „ich will! Woher wissen Sie, dass ich was will? Wie können Sie es wagen? ... Was meinen Sie, worauf sind Sie aus? Sie...“

      „Beförderung.“ Das kam in so kalter Unverschämtheit, dass Sterne ihn damit zum Schweigen brachte. Die runden, weichen Wangen des Ingenieurs zitterten nach, aber er sagte ruhig genug:

      „Sie belästigen mich nur damit“, und Sterne zeigte wieder sein vertrauliches kleines Lächeln.

      „Ein Geschäftsmensch, den ich einmal kannte (und heute hat er es weit gebracht in der Welt), pflegte mir zu sagen, das sei der rechte Weg. ‚Immer nach vorn drängen‘, sagte er. ‚Stelle dich richtig vor deinen Chef hin. Dränge dich vor, sooft sich eine Gelegenheit bietet. Zeig ihm, was du weißt. Belästige ihn, indem du dich immer wieder sehen lässt.’ Das war ein Rat. Nun kenne ich hier keinen anderen Chef als Sie. Sie sind der Eigentümer, und daneben verschwinden in meinen Augen alle anderen. Sehen Sie, Herr Massy – ich will vorwärtskommen. Ich mache kein Geheimnis daraus, dass ich einer von denen bin, die vorwärtskommen wollen. Das sind die Leute, die gut zu gebrauchen sind, Herr. Sie haben es nicht so weit gebracht, ohne das herauszufinden, soviel ist sicher.“

      „Den Chef belästigen, um vorwärtszukommen“, murmelte Massy, wie betäubt von der gottlosen Eigenart der Idee. „Es sollte mich nicht wundern, wenn gerade das der Grund gewesen wäre, warum die Blauankerleute Sie entlassen haben. Nennen Sie das Vorwärtskommen? Sie sollen hier auf die gleiche Art vorwärtskommen, wenn Sie sich nicht inacht nehmen – das kann ich Ihnen versprechen!“

       Sterne ließ den Kopf hängen, sah verblüfft und nachdenklich aus und zwinkerte heftig gegen das Deck zu. Alle seine Versuche, mit seinem Reeder in eine vertrautere Beziehung zu kommen, hatten in letzter Zeit immer nur zu diesen dunklen Drohungen mit der Entlassung geführt; und eine Drohung mit der Entlassung pflegte ihn augenblicklich zu einem zögernden Schweigen zu bringen, als fühlte er sich nicht sicher, ob die Zeit, ihr zu trotzen, schon gekommen sei. Bei dieser Gelegenheit schien er einen Augenblick die Sprache verloren zu haben; Massy setzte sich schwerfällig in Bewegung und drängte sich, mit einem Versuch, ihn anzurennen, an ihm vorbei. Sterne wich ihm hastig aus und fuhr dann mit weit offenem Munde herum, als wollte er etwas hinter dem Ingenieur dreinrufen, besänne sich aber eines Besseren.

      Stets – wie er gern zugab – auf der Lauer nach einer Möglichkeit zum Vorwärtskommen, war es ihm zur ständigen Gewohnheit geworden, die Führung seiner unmittelbaren Vorgesetzten nach einem Punkt zu durchspähen, ‚wo man einhaken konnte’. Er war der festen Überzeugung, dass kein Schiffer in der Welt sein Kommando auch nur einen Tag behalten würde, wenn man es nur die Reeder ‚wissen lassen könnte’. Dieser romantische, naive Leitsatz hatte ihn öfter als einmal in Schwierigkeiten gebracht; doch blieb er unverbesserlich; und der Mangel an Treue war in seinem Charakter so ausgeprägt, dass, sobald er auf ein Schiff kam, die Absicht, den Kommandanten abzusägen und selbst an seine Stelle zu kommen, mit größter Selbstverständlichkeit seine Handlungen bestimmte. Seine wachen Mußestunden erfüllten Träume von sorgfältigen Plänen und peinlichen Entdeckungen – seine Träume waren Bilder von günstigen Wendungen und (für ihn günstigen) Unglücksfällen. Es war schon vorgekommen, dass Schiffer auf See krank wurden und starben, was wie nichts sonst einem geschickten Ersten Offizier Gelegenheit bieten konnte, sich in vollem Glanz zu zeigen. Manchmal fielen sie auch über Bord: er hatte von ein oder zwei solchen Fällen gehört. Andere wieder... Von allem anderen abgesehen aber hielt er inbrünstig an dem Glauben fest, dass die Führung keines einzigen von ihnen, bei scharfem Hinsehen, vor den Augen des Mannes bestehen würde, der ‚sich auskannte’ und der diese Augen die ganze Zeit über ‚richtig offen hielt’.

       Nachdem er auf der „SOFALA“ richtig Fuß gefasst hatte, glaubte er sich dem Ziele seiner Hoffnungen ständig zu nähern. Einmal war es ja schon ein großer Vorteil, einen alten Mann als Kapitän zu haben: einen Mann überdies, der nach der Lage der Dinge sehr wahrscheinlich über kurz oder lang das Geschäft aufgeben würde. Sterne fühlte sich allerdings heftig enttäuscht, als er merken musste, dass sein Vorgesetzter scheinbar noch lange nicht an Ruhe dachte. Immerhin – diese alten Leute gehen oft ganz plötzlich in die Brüche. Dann war auch der Reeder-Ingenieur immer in der Nähe, dem man durch gleichmäßigen Diensteifer Eindruck machen konnte. Sterne zweifelte keineswegs, dass seine eigenen Verdienste jedem ins Auge springen mussten (er war tatsächlich ein ausgezeichneter Offizier); nur bringt heutzutage berufliches Verdienst allein einen Mann nicht schnell genug vorwärts. Er war entschlossen, die Erbfolge auf diesem Dampfer anzutreten, wenn es nur irgendwie zu machen war; nicht etwa, weil er das Kommando über die „SOFALA“ für etwas Wichtiges hielt, sondern aus dem Grund, dass, besonders im Fernen Osten, der Anfang alles bedeutet und ein Kommando zu einem anderen führt.

      Er begann damit, dass er sich selbst das Versprechen gab, mit größter Umsicht vorzugehen. Massys finstere und phantastische Stimmungen schüchterten ihn zunächst ein, da sie ja


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