Hinter Der Bühne. Wolf Wrobel
Geschäftsführer einer unabhängigen Finanzconsulting Gesellschaft. Ein Investor und Finanzier von Pharma-Parks. Dies war sein erster Ausflug in die schönen Künste.
Es begann, wie eigentlich alles in Deutschland geschäftlich beginnt: Auf Mallorca.
Ein verschuldeter Schweizer Opernliebhaber bittet seinen Nachbarn, denn beide haben ein Haus auf Mallorca, um Hilfe. Er bräuchte ein wenig mehr Geld für ein sehr viel versprechendes Projekt in Deutschland mit einem österreichischen Autor. „Aha“, denkt sich der Nachbar, „Du hast ja schon Schulden bei mir, was kann das dann wohl sein?“ „Ein Musical soll das werden“ meint der Opernliebhaber. In diesem Moment kommt die Frau des Nachbarn herein. „Was, ein Musical? Ich liebe Musicals …“ Und so nimmt alles seinen Lauf.
So muss es nicht, aber so kann es gewesen sein. Der Nachbar übernimmt seiner Frau zu Liebe die Finanzierung ohne jegliche Ahnung vom Theater zu haben. Dafür bleibt ja der Opernliebhaber, der das eigentlich allein machen wollte. Aber so ist es auch nicht schlecht.
Der Komponist und Regisseur
Ein früherer Deutsch- und Musiklehrer aus Wien. Er hatte schon ein paar Musicals geschrieben, die aber mehr oder weniger in der Versenkung verschwanden. Eines wurde in einem Puff in Wien aufgeführt, noch ein Weihnachtsstück und eines, das aber erstmal zurückgestellt wurde, da der Namenspartner „Space Dream“ in Berlin gefloppt war.
Ja, er hatte mit „Herr der Ringe“ auch wirklich ein paar nette Melodien zustande gebracht, die allerdings in unseren Augen schließlich durch ein fatales Arrangement das letzte bisschen Besonderheit und jeglichen Drive einbüßten. Schmissige Shownummern – ja, es gab wirklich eine – wurden so zu belanglosen Fiddel-Songs.
Er hatte die Choreographin damals in Wien kennengelernt und für sein Projekt erwärmt. Er wollte sie als Choreographin und Regisseurin. Darum bat er sie jedenfalls und erläuterte ihr sehr bildhaft seine Vision. Das hat er wohl ziemlich gut gemacht, denn sie erwiederte, wenn er so genaue Vorstellungen habe, solle er doch selbst die Regie übernehmen. Sie meinte allerdings wohl mit ihrer Hilfe. Das hatte ihm anscheinend so gut getan, dass er sofort auch der Meinung war, allein die Regie übernehmen zu können.
Die einzelnen szenischen Proben waren von Beginn an sehr langsam, ungenau und nicht besonders vertrauenerweckend. Und eines war sehr deutlich. Er hatte keine blasse Ahnung von Regie, Schauspiel, oder Theater. Auch eine „Vision“ konnte das nicht wettmachen. Er sprach „Vision“ im Englischen immer wie „Wision“ aus. Auf Deutsch: „Uischn“. Das Englisch des österreichischen Deutsch- und Musiklehrers war eher vermeidenswert. Kundige zuckten zusammen. Jede Rolle wurde einem mit kindlichen Grimassen und enormen körperlichen Verrenkungen „vorgespielt“, wie man sie sich vorzustellen hat. Und natürlich auch, wie man sie spielen soll. Für unsere Englisch sprachigen Kollegen: „You have to makin' it like siss way!“
Aber wir dachten trotzdem, das wird hoffentlich noch. Er war wirklich interessiert. Allerdings eher an den Darstellerinnen, vor allem den Akrobatinnen, als an den Szenen. Einige stellten deswegen nach diversen Telefonanrufen vorsorglich ihre Mailbox an.
Immerhin bekamen wir einen Zettel mit den Eigenschaften der Rollen. Das Wissen über den „Herr der Ringe“ hatte er und mit ein wenig Neid muss ich ihm auch zugestehen, dass es eine ganz schöne Leistung ist, so ein Projekt auf die Beine zu stellen. Mit welchen Mitteln, sei dahin gestellt.
Er hatte eine sehr prägnante Eigenheit fremde Ideen, nach einer Zeit von ein paar Wochen bis einem Monat, voller Stolz und Überzeugung als die seinen zu präsentieren, die ihm gerade eingefallen waren: Beispielsweise das Stück in einem Zelt spielen zu lassen.
So eine Eigenheit verlässt einen wohl ein Lebtag lang nicht.
Der Enthusiasmus der Darsteller nahm inzwischen ständig ab, da jeder früher oder später feststellte, mit was für einem Dilettanten wir es zu tun hatten. Aber er war immerhin ein guter Blender. Und je länger es dauerte, um so größer wurde seine Leidenschaft für die Macht, die er sich mit Hilfe der Geschäftsleitung selbst gab. Ein Wiener Bekannter, der Licht Designer der Produktion, erhielt in der Probenzeit für ein paar Tage tagsüber sogar Zeltverbot. Widerspruch wird eben nicht geduldet. Ich denke, schließlich glaubte er wirklich Gott zu sein. Ob Gott wohl eine Brille trägt und nie zum Friseur geht?
Man hörte oft Äußerungen wie: „… Wenn sie nicht tut was ich sage, dann feuere ich sie eben …“
Es schien ihm Spaß zu machen. Und so hatte er auch keinen Sinn für Objektivität. Er glaubte allen Ernstes, es werde ein großer Erfolg werden. Wurde es leider nicht.
Aber eigentlich, so er selbst später, war er ja gar nicht daran schuld. Wir haben aufrichtiges Mitleid und erteilen keine Absolution, denn es war natürlich die Mafia! Ganz klar!
Ein sehr erfahrener Darsteller aus dem Ensemble übernahm zu Anfang Improvisationen zu den einzelnen Figurengruppen. Wie verhalten sich Orks, wenn sie auf Zwerge treffen. Das war sehr interessant und nützlich, aber es wurde vom Regisseur weder gewürdigt noch bewusst eingesetzt. Und so wand man sich durch Szenen, an denen überhaupt nicht gearbeitet wurde, die schlecht gestellt waren und dramaturgisch lieber nicht kommentiert werden sollten.
Mehr und mehr wurde er zu Gollum.
Die Choreographin
Eine tolle Frau aus New York und als Gillian Lynne‘s Assistentin und frühere Ballettmeisterin und Choreographin am Theater des Westens für das Staging aller „Phantom der Oper“-Produktionen in den USA zuständig. Sie erhoffte sich sicherlich den Durchbruch mit dieser Produktion.
Die Choreographien, unorganisch und altertümlich – über Geschmack kann man streiten – waren gesetzt und relativ genau. Die Assistenten gaben sich die größte Mühe alles auf einen Nenner zu bringen. Details würden dann schließlich im Zelt gearbeitet.
Sie hatte in den ersten Wochen noch versucht bei den szenischen Arbeiten des Regisseurs einzugreifen, gab dann aber leider wohl aus persönlichen Differenzen klein bei und ließ ihn gewähren. Man kann sagen: Konfliktscheu. Obwohl es später ziemlich „gekracht“ haben muss, denn er verbot ihr für ein paar Tage die Teilnahme an den Proben. So hatte man dann nicht einmal mehr jemanden, der etwas von Theater verstand und Szenen ändern konnte. Sie hatte verständlicherweise aber wahrscheinlich auch nicht mehr den Willen, wirklich Verantwortung zu übernehmen. Sie verließ uns nach der Premiere und war bestimmt froh, endlich fort zu sein.
Die Probenzeit
Der erste Probentag Tag war der 31. August 1998. Wir wurden mit einem T-Shirt auf unserem Stuhl – damals durfte sich jeder noch einen aussuchen – einer Mappe mit Info-Material und einem Notizblock mit dem Logo bedacht. Das Logo war zweifellos sehr schön und hatte wahrscheinlich auch eine Stange Geld gekostet. Es wurde angeblich von einem der Top-Airbrushkünstler Englands entworfen. Bei so vielen Superlativen stumpft man irgendwann ab.
Ein T-Shirt von einer Produktion ist eine schöne Sache. Schön war auch, dass auf der Rückseite ein Aufdruck mit der Tickethotline zu sehen war. Damals war der Premierentermin laut Vertrag noch für den 5. November vorgesehen. „Bitte tragt es bei dem Fototermin morgen.“ Ich hätte mir bereits etwas denken können, dass es damals schon mit einer besonders „persönlichen“ Behandlung anfing. „Jeder muss morgen sein T-Shirt tragen …, dass es keiner vergisst!“
Begrüßung mit gegenseitigem Kennenlernen in der Freien Volksbühne und damit war der Tag fast wieder gelaufen. Aber schon gab es die erste Überraschung: Die musikalische Leitung lag nicht mehr in den Händen von Cameron Macintoshs Assistentin, sondern in bisher unbekannten neuen.
Ein wenig gesungen haben wir dann auch. Eine Stimmenaufteilung wurde gemacht; wobei der neue Musikalische Leiter plötzlich feststellte, dass es bei den Herren eigentlich nur Tenöre gab. So bat er einige Herren sich zu opfern und die Baritonstimmen zu übernehmen, die für einen Tenor ziemlich tief waren. Bei den Damen war das nicht viel anders.