Johann Wolfgang von Goethe: Gesammelte Dramen. Johann Wolfgang von Goethe
Auf dem Krautlande hat er eine Laube gebaut, da machen wir ein Feuerchen an, wärmen die Suppe und verzehren sie miteinander.
MÄRTEN. So geh hin! Es ist doch nicht anders.
RÖSE. Wie meint Ihr?
MÄRTEN. Vater und Mutter verlaßt ihr und folgt dem Manne nach.
RÖSE. So soll's ja sein.
MÄRTEN. Geh nur.
RÖSE. Zu Mittag sollt Ihr ein gut Essen haben; ich sage nicht was.
MÄRTEN. Schon recht.
RÖSE. Seid nicht verdrießlich.
MÄRTEN. Nein doch!
RÖSE. So lebt wohl.
MÄRTEN. Geh nur! Ich komme auch hinaus.
Fünfter Auftritt
MÄRTEN allein, sitzend und trinkend. Es ist gut, daß sie geht. Schnaps sagte mir gestern im Vorbeigehn: wenn die Kinder im Felde wären, wollte er mich besuchen und mir viel Neues erzählen. – Ein vertrackter Kerl, der Schnaps! Alles weiß er! – Wenn er nur mit Görgen besser stände! Aber der hat geschworen, wenn er ihn wieder im Hause trifft, will er ihn lederweich schlagen. Und Görge hält sein Wort. – Ein guter Bursch! Ein heftiger Bursch! – Ich höre was. An der Türe. Ha! Ha! Schnaps! – Da ist er ja.
Sechster Auftritt
Märten. Schnaps.
SCHNAPS hereinsehend. Seid Ihr allein, Vater Martin?
MÄRTEN. Nur herein!
SCHNAPS einen Fuß hereinsetzend. Görgen sah ich gehen; ist Röse nach?
MÄRTEN. Ja, Gevatter Schnaps. Wie immer.
SCHNAPS. Da bin ich.
MÄRTEN. Ihr seid vorsichtig.
SCHNAPS. Das ist die erste Tugend.
MÄRTEN. Wo kommt Ihr her?
SCHNAPS. Hm! Hm!
MÄRTEN. Seit acht Tagen hat man Euch nicht gesehen.
SCHNAPS. Ich glaub es.
MÄRTEN. Habt Ihr auswärts eine Kur verrichtet?
SCHNAPS. Vater Martin! – Ich habe kurieren gelernt.
MÄRTEN. Gelernt? – Als wenn Ihr noch was zu lernen brauchtet.
SCHNAPS. Man lernt nie aus.
MÄRTEN. Ihr seid bescheiden.
SCHNAPS. Wie alle große Männer.
MÄRTEN. Nun, was die Größe betrifft! – Ihr seid ja kleiner als ich.
SCHNAPS. Vater Martin, davon ist die Rede nicht. Aber hier! hier! Auf die Stirn deutend.
MÄRTEN. Ich verstehe.
SCHNAPS. Und da gibt's Leute in der Welt, die das zu schätzen wissen.
MÄRTEN. Ohne Zweifel.
SCHNAPS. Da findet man Zutrauen –
MÄRTEN. Ich glaub's.
SCHNAPS. Da erfährt man –
MÄRTEN ungeduldig. Was denn? Sagt!
SCHNAPS. Und erhält Aufträge.
MÄRTEN. Geschwind! Was gibt's?
SCHNAPS bedeutend. Man wird ein Mann von Einfluß.
MÄRTEN. Ist's möglich?
SCHNAPS. In wenig Tagen erfahrt Ihr's.
MÄRTEN. Nur gleich! Nur heraus damit!
SCHNAPS. Ich kann nicht. Schon das ist genug gesagt.
MÄRTEN bedenklich. Gevatter Schnaps –
SCHNAPS. Was gibt's?
MÄRTEN. Seht mich an!
SCHNAPS. Nun?
MÄRTEN. Gerad in die Augen!
SCHNAPS. So?
MÄRTEN. Scharf!
SCHNAPS. Zum Henker! Ich seh Euch ja an. Mich wundert's, daß Ihr meinen Blick ertragen könnt.
MÄRTEN. Hört.
SCHNAPS. Was soll's?
MÄRTEN. Wäre das, was Ihr zu erzählen habt –
SCHNAPS. Wie meint Ihr?
MÄRTEN. Nicht etwa wieder so eine Historie?
SCHNAPS. Wie könnt Ihr so denken?
MÄRTEN. Oder –
SCHNAPS. Nicht doch, Vater Martin!
MÄRTEN. Oder von den vielen Schnäpsen, Euren hochansehnlichen Vorfahren?
SCHNAPS. Das war Scherz, lauter Scherz! Nun fängt's an, Ernst zu werden.
MÄRTEN. Überzeugt mich.
SCHNAPS. Nun denn! Weil Ihr's seid.
MÄRTEN. Ich bin äußerst neugierig.
SCHNAPS. So hört! – Sind wir auch sicher?
MÄRTEN. Ganz gewiß! Görge ist aufs Feld, und Röse zu ihm.
SCHNAPS mit Vorbereitung. Sperrt die Ohren auf! Sperrt die Augen auf!
MÄRTEN. So macht denn fort!
SCHNAPS. Ihr habt oft gehört – Es lauscht doch niemand?
MÄRTEN. Niemand.
SCHNAPS. Daß die berühmten Jakobiner – es ist doch niemand versteckt? –
MÄRTEN. Gewiß nicht.
SCHNAPS. Gescheite Leute in allen Ländern aufsuchen, kennen, benutzen.
MÄRTEN. So sagt man.
SCHNAPS. Nun ist mein Ruf – ich höre jemand!
MÄRTEN. Nein doch!
SCHNAPS. Mein Ruf über den Rhein erschollen –
MÄRTEN. Das ist weit.
SCHNAPS. Und man gibt sich schon seit einem halben Jahre alle erdenkliche Mühe –
MÄRTEN. So fahrt nur fort!
SCHNAPS. Mich für die Sache der Freiheit und Gleichheit zu gewinnen.
MÄRTEN. Das wäre!
SCHNAPS. Man kennt in Paris meinen Verstand –
MÄRTEN. Ei! Ei!
SCHNAPS. Meine Geschicklichkeit.
MÄRTEN. Kurios!
SCHNAPS. Genug, die Herren Jakobiner sind seit einem halben Jahre um mich herumgeschlichen, wie die Katze um den heißen Brei!
MÄRTEN. Ich kann mich nicht genug verwundern!
SCHNAPS. Bis man mich vor acht Tagen in die Stadt bestellte.
MÄRTEN. Ihr solltet einen Fremden kurieren, der das Bein gebrochen hatte. So sagtet Ihr.
SCHNAPS. So hatte man mir gesagt.
MÄRTEN. Wir wunderten uns.
SCHNAPS. Ich auch.
MÄRTEN. Ob's denn nicht auch in der Stadt Chirurgen gäbe.
SCHNAPS. Genug, ich wunderte mich – und ging.
MÄRTEN. Da habt Ihr wohlgetan.
SCHNAPS. Ich finde meinen Patienten.
MÄRTEN. Wirklich?
SCHNAPS. Und wie ich den Fuß aufbinde –
MÄRTEN. Nun?
SCHNAPS. Ist er so gesund wie