Johann Wolfgang von Goethe: Gesammelte Dramen. Johann Wolfgang von Goethe

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Nun laßt hören, ob ihr meiner Lehren noch eingedenk seid. – Was sind die Haupttugenden der Weiber?

      ERSTES MÄDCHEN. Geduld und Gehorsam.

      GRAF. Was ist ihr Sinnbild?

      ZWEITES MÄDCHEN. Der Mond.

      GRAF gegen die Marquise. Warum?

      MARQUISE. Weil er sie erinnert, daß sie kein eigen Licht haben, sondern daß sie allen Glanz vom Manne erhalten.

      GRAF. Wohl, das merkt euch! – Und nun, wenn ihr nach Hause fahrt, werdet ihr linker Hand das erste Viertel am klaren Himmel erblicken; dann sprecht untereinander: »Seht, wie zierlich es da steht! welches gemäßigte Licht! welche schöne Taille! welche Sittsamkeit! das wahre Bild einer liebenswürdigen heranwachsenden Jungfrau.« Erblickt ihr künftig den Vollmond, so ermahnt euch untereinander und sprecht: »Wie schön glänzt das Bild einer glücklichen Hausfrau! sie wendet ihr Gesicht gerade ihrem Manne zu; sie fängt die Strahlen seines Lichtes auf, die sanft und lieblich von ihr widerglänzen.« Das bedenkt recht und führt untereinander dieses Bild aus, so gut ihr nur könnt; setzt eure Betrachtungen so weit fort, als ihr vermöget; bildet euren Geist, erhebt euer Gemüt: denn so nur könnt ihr würdig werden, das Angesicht des Großkophta zu schauen. – Nun geht! übertretet keines meiner Gebote, und der Himmel behüte euch vor dem abnehmenden Lichte, vor dem betrübten Witwenstande! – Ihr fahrt sogleich sämtlich nach der Stadt, und nur eine strenge Buße kann euch Vergebung erwerben und die Ankunft des Großkophta beschleunigen. Lebt wohl.

      MARQUISE beiseite. Der verwünschte Kerl! Er ist ein Phantast, ein Lügner, ein Betrüger; ich weiß es, ich bin's überzeugt; und doch imponiert er mir!

      Die Frauenzimmer neigen sich und gehen ab.

      Dritter Auftritt

      Die Vorigen außer den Damen.

      GRAF. Nun, Ritter und ihr andern, tretet herbei! Ich hab euch vergeben; ich seh euch beschämt, und meine Großmut überläßt eurem eigenen Herzen Strafe und Besserung.

      RITTER. Wir erkennen deine Huld, väterlicher Meister.

      GRAF. Wenn ihr aber in der Folge meine Verordnungen überschreitet, wenn ihr nicht alles anwendet, den begangenen Fehler wiedergutzumachen, so hoffet nie, das Angesicht des Großkophta zu sehen, nie, an der Quelle der Weisheit eure durstigen Lippen zu erquicken. – Nun, laßt hören, habt ihr gefaßt, was ich euch überlieferte? – Wann soll ein Schüler seine Betrachtungen anstellen?

      RITTER. Bei Nachtzeit.

      GRAF. Warum?

      ERSTER SCHÜLER. Damit er desto lebhafter fühle, daß er im Finstern wandelt.

      GRAF. Welche Nächte soll er vorziehen?

      ZWEITER SCHÜLER. Nächte, wenn der Himmel klar ist und die Sterne funkeln.

      GRAF. Warum?

      RITTER. Damit er einsehe, daß viele tausend Lichter noch nicht hell machen, und damit seine Begierde nach der einzig erleuchtenden Sonne desto lebhafter werde.

      GRAF. Welchen Stern soll er vorzüglich im Auge haben?

      ERSTER SCHÜLER. Den Polarstern.

      GRAF. Was soll er sich dabei vorstellen?

      ZWEITER SCHÜLER. Die Liebe des Nächsten.

      GRAF. Wie heißt der andere Pol?

      ERSTER SCHÜLER. Die Liebe der Weisheit.

      GRAF. Haben diese beiden Pole eine Achse?

      RITTER. Freilich, denn sonst könnten sie keine Pole sein. Diese Achse geht durch unser Herz, wenn wir rechte Schüler der Weisheit sind, und das Universum dreht sich um uns herum.

      GRAF. Sage mir den Wahlspruch des ersten Grades.

      RITTER. Was du willst, daß dir die Leute tun sollen, wirst du ihnen auch tun.

      GRAF. Erkläre mir diesen Spruch.

      RITTER. Er ist deutlich, er bedarf keiner Erklärung.

      GRAF. Wohl! – Nun geht in den Garten, und faßt den Polarstern recht in die Augen.

      RITTER. Es ist sehr trübe, großer Lehrer; kaum daß hie und da ein Sternchen durchblinkt.

      GRAF. Desto besser! – So bejammert euren Ungehorsam, euren Leichtsinn, eure Leichtfertigkeit; das sind Wolken, welche die himmlischen Lichter verdunkeln.

      RITTER. Es ist kalt, es geht ein unfreundlicher Wind, wir sind leicht gekleidet.

      GRAF. Hinunter! hinunter mit euch! Darf ein Schüler der Weisheit frieren? – Mit Lust solltet ihr eure Kleider abwerfen, und die heiße Begierde eures Herzens, der Durst nach geheimer Wissenschaft sollte Schnee und Eis zum Schmelzen bringen. Fort mit euch! fort!

      Der Ritter und die andern mit einer Verbeugung ab.

      Vierter Auftritt

      Der Graf. Der Domherr.

      GRAF. Nun hervor mit Ihnen, Domherr! hervor! Sie erwartet ein strenger Gericht. – Ihnen hätte ich es nicht zugetraut. Der Schüler, dem ich mehr als allen andern die Hand reiche, den ich mit Gewalt zu mir heraufziehe, dem ich schon die Geheimnisse des zweiten Grades enthüllt habe – dieser besteht so schlecht bei einer geringen Prüfung! – Nicht die Drohungen seines Meisters, nicht die Hoffnung, den Großkophta zu sehen, können ihn abhalten, seine Gelage nur wenige Nächte zu verschieben. Pfui! ist das männlich? ist das weise? Die Lehren des größten Sterblichen! die Hülfe der Geister! die Eröffnung aller Geheimnisse der Natur, eine ewige Jugend, eine immer gleiche Gesundheit, eine unverwüstliche Stärke, eine nie verschwindende Schönheit! Um diese größten Schätze der Welt bemühest du dich und kannst nicht einem Abendschmause entsagen!

      DOMHERR niederkniend. Du hast mich oft zu deinen Füßen gesehen; hier lieg ich wieder. Vergib mir! entziehe mir nicht deine Huld. – Die Reize – die Lockung – die Gelegenheit – die Verführung! – Nie sollst du mich wieder ungehorsam finden! gebiete! lege mir auf, was du willst!

      GRAF. Wie kann ich mit dir zürnen, du mein Liebling! wie kann ich dich verstoßen, du Erwählter des Schicksals! Steh auf, komm an meine Brust, von der du dich, selbst mit Gewalt, nicht losreißen kannst.

      DOMHERR. Wie entzückst du mich! – Aber darf ich in diesem Augenblicke, wo ich büßen und trauren sollte, darf ich als ein Zeichen der Versöhnung mir eine Gnade von dir ausbitten?

      GRAF. Sprich, mein Teurer!

      DOMHERR. Laß mich nicht länger in Ungewißheit, gib mir ein helleres Licht über den wunderbaren Mann, den du Großkophta nennst, den du uns zeigen willst, von dem du uns so viel versprichst. Sage mir: wer ist er? Wo ist er? Ist er schon nah? Werd ich ihn sehen? Kann er mich würdigen? Kann er mich aufnehmen? Wird er mir die Lehren überliefern, nach denen mein Herz so heftig begehrt?

      GRAF. Mäßig! mäßig, mein Sohn! Wenn ich dir nicht gleich alles entdecke, so ist dein Bestes meine Absicht. – Deine Neugierde zu wecken, deinen Verstand zu üben, deine Gelehrsamkeit zu beleben, das ist es, was ich wünsche! so möchte ich mich um dich verdient machen. – Hören und lernen kann jedes Kind; merken und raten müssen meine Schüler. – Als ich sagte: Kophta, fiel dir nichts ein?

      DOMHERR. Kophta! Kophta! – Wenn ich dir es gestehen soll, wenn ich mich vor dir nicht zu schämen brauche! Meine Einbildungskraft verließ sogleich diesen kalten, beschränkten Weltteil; sie besuchte jenen heißen Himmelsstrich, wo die Sonne noch immer über unsäglichen Geheimnissen brütet. Ägypten sah ich auf einmal vor mir stehen; eine heilige Dämmerung umgab mich; zwischen Pyramiden, Obelisken, ungeheuren Sphinxen, Hieroglyphen verirrte ich mich; ein Schauer überfiel mich. – Da sah ich den Großkophta wandeln; ich sah ihn umgeben von Schülern, die wie mit Ketten an seinen klugen Mund gebunden waren.

      GRAF. Diesmal hat dich deine Einbildungskraft nicht irregeführt. Ja, dieser große herrliche, und ich darf wohl sagen, dieser unsterbliche Greis ist es, von dem ich euch sagte, den ihr zu sehen dereinst hoffen


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