Johann Wolfgang von Goethe: Gesammelte Dramen. Johann Wolfgang von Goethe

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seinen Vorteil findet.

      RITTER der wieder aufspringt. Entlaßt mich! Es ist mir unmöglich, es ist mir unerträglich, solche Reden zu hören.

      DOMHERR halb lachend. Ging es mir doch beinahe ebenso wie Ihnen. Zum Grafen. Es ist ihm zu verzeihen, daß er sich so ungebärdig stellt. Zum Ritter: Beruhigen Sie sich, Sie werden schon über sich selbst lachen und uns das Lächeln verzeihen, das Sie in diesem Augenblick verdrießt. Aus dem Felde der jugendlichen Schwärmerei, worin der Meister seine Schüler gängelt, glaubt man über eine goldene Brücke in eine reizende Feenwelt hinübergeführt zu werden. Und freilich ist es unerwartet, wenn man unsanft in die wirkliche Welt wieder zurückgebracht wird, aus der man sich zu entfernen glaubte.

      RITTER. Meine Herren, Sie erlauben, daß ich gehe, daß ich mich von meinem Erstaunen erhole.

      DOMHERR. Gehn Sie nur, gehn Sie und sehn Sie sich in der Welt, sehn Sie sich in Ihrem Herzen um. Bedauren Sie meinetwegen die Toren; aber ziehen Sie Vorteil aus der Torheit. Sehn Sie, wie jeder vom andern soviel als möglich zu nehmen sucht, um ihm sowenig als möglich zurückzugeben. Jeder mag lieber befehlen als dienen, lieber sich tragen lassen als tragen. Jeder fordert reichlich Achtung und Ehre und gibt sie so spärlich als möglich zurück. Alle Menschen sind Egoisten; nur ein Schüler, nur ein Tor kann sie ändern wollen. Nur wer sich selbst nicht kennt, wird leugnen: daß es in seinem Herzen ebenso bestellt sei.

      RITTER. Wohin bin ich geraten!

      DOMHERR. Diesen Lauf der Welt wird Ihnen der Meister im zweiten Grade ganz enthüllen. Er wird Ihnen zeigen, daß man von den Menschen nichts verlangen kann, ohne sie zum besten zu haben und ihrem Eigensinne zu schmeicheln; daß man sich unversöhnliche Feinde macht, wenn man die Albernen aufklären, die Nachtwandler aufwecken und die Verirrten zurechtweisen will; daß alle vorzüglichen Menschen nur Marktschreier waren und sind – klug genug, ihr Ansehn und ihr Einkommen auf die Gebrechen der Menschheit zu gründen.

      RITTER. Abscheulich! Abscheulich!

      GRAF. Es sei genug! Er mag nun selbst denken; und noch ein Wort, eh wir uns trennen. Wie nennt man den ersten Grad?

      DOMHERR. Die Lehre.

      GRAF. Warum?

      DOMHERR. Damit die Schüler glauben, sie lernen etwas.

      GRAF. Wie nennt man den zweiten Grad?

      DOMHERR. Die Prüfung.

      GRAF. Und weswegen?

      DOMHERR. Weil der Kopf eines Menschen darin geprüft wird und man sieht, zu was er fähig ist.

      GRAF. Vortrefflich! Leise zum Domherrn. Laß uns allein; ich muß diesen Trotzkopf zu begütigen suchen.

      DOMHERR. Ich hoffte, du würdest meine Wünsche erhören und mich in den dritten Grad erheben.

      GRAF. Ich darf dem Großkophta nicht vorgreifen. Warte seine Erscheinung ab; in kurzer Zeit werden alle deine Wünsche befriedigt sein.

      Sechster Auftritt

      Der Graf. Der Ritter.

      GRAF. Junger Mann!

      RITTER der indessen nachdenklich und unbeweglich gestanden. Leben Sie wohl, Herr Graf!

      GRAF. Wo wollen Sie hin? Ich lasse Sie nicht weg.

      RITTER. Halten Sie mich nicht! Ich lasse mich nicht halten!

      GRAF. Bleiben Sie!

      RITTER. Nicht länger, als bis ich Ihnen Dank gesagt für das Gute, das Sie mir erzeigt, für die Bekanntschaften, die Sie mir gemacht, für den guten Willen, den Sie mir versichert. Und nun leben Sie wohl! auf ewig wohl! denn ich möchte mich nicht undankbar zeigen gegen meinen Wohltäter. Leben Sie wohl! und lassen mich nur noch das sagen: Ihre Wohltaten beschämten mich nicht, denn ich glaubte sie einem edlen großen Manne zu verdanken.

      GRAF. Weiter! weiter! Reden Sie aus, eher kommen Sie nicht von der Stelle.

      RITTER. Sie wollen es? Sie befehlen es? Es sei denn! O Graf! wie haben Sie in dieser Viertelstunde mein Glück, meine Hoffnungen zernichtet! Haben Sie mich nicht besser gekannt, nicht besser beurteilt?

      GRAF. Worin hab ich mich denn so sehr betrogen? Ich lernte Sie als einen jungen Mann kennen, der sein Glück zu machen wünschte; der mit Eifer, ja mit Heftigkeit nach Rang, nach Vermögen strebte, und desto heftiger, je weniger ihm seine Lage Ansprüche zu großen Hoffnungen erlaubte.

      RITTER. Wohl! Aber zeigte ich mich nicht auch mit einem Herzen, das niedrige, gewöhnliche Mittel verschmähete? Wünschte ich nicht meine beste Empfehlung von meiner Redlichkeit, meiner Gesetzlichkeit, meiner Treue, von allen jenen Eigenschaften, die einen edlen Mann, die einen Soldaten zieren? – Und nun?

      GRAF. Und nun erschrecken Sie über den Fuchspelz, mit dem Sie Ihre Löwenmähne bedecken sollten.

      RITTER. Scherzen Sie nur, ich will ernsthaft reden; ernsthaft zum letzten Male mit einem Manne, den ich für meinen Freund hielt. Ja, ich gesteh es Ihnen: Ihr Betragen war mir längst verdächtig. Diese geheimen Wissenschaften, in deren Vorhof mir dunkler ward als vorher in der freien Welt, diese wunderbaren Kräfte, die uns auf guten Glauben versichert wurden, diese Verwandtschaft mit Geistern, diese unfruchtbaren Zeremonien, alles weissagte mir nichts Gutes; nur die Großheit Ihrer Gesinnungen, die ich in vielen Fällen kennenlernte, die Entäußerung von jedem Eigennutz, Ihre Teilnehmung, Ihre Dienstfertigkeit, Ihre Freigebigkeit, das alles deutete mir dagegen auf einen tiefen Grund eines edlen Herzens. Ich hing an Ihrem Munde, saugte Ihre Lehren ein bis auf diesen Augenblick, der alle meine Hoffnungen zerstörte. Leben Sie wohl! – Wenn ich je ein kleinlicher, niedriger Schelm werden, wenn ich dem Strome nachschwimmen und nur einen augenblicklichen elenden Vorteil für mich zum Schaden der andern gewinnen sollte: so bedurft es nicht dieser Vorbereitungen, dieser Anstalten, die mich beschämen und erniedrigen. Ich verlasse Sie! Aus mir werde, was da will.

      GRAF. Ritter, sehen Sie mich an!

      RITTER. Was verlangen Sie von mir?

      GRAF. Was Sie mich tun sehn, tun Sie auch. Er nimmt den Hut ab.

      RITTER. Sollen wir mit Zeremonien scheiden?

      GRAF. Selbst die Höflichkeit gebietet Ihnen, zu folgen.

      RITTER indem er den Hut abnimmt. Nun denn, so empfehle ich mich Ihnen.

      GRAF der seinen Hut wegwirft. Nun, Ritter?

      RITTER. Was soll das?

      GRAF. Ich verlange, daß Sie mir nachfolgen.

      RITTER der seinen Hut wegwirft. So sei denn zum letzten Male etwas Unverständliches, etwas Törichtes getan!

      GRAF. Nicht so töricht, wie du glaubst. Er geht mit offnen Armen auf ihn zu. Siehe mich von Angesicht zu Angesicht, du Erwählter. Komm in meine Arme, schließe dich an meine Brust, erhabener Meister!

      RITTER. Was soll das? Lassen Sie mich los!

      GRAF. Niemals, wenn ich dich nicht eher lassen sollte, als bis meine Freude über diesen meinen trefflichen Freund erschöpft wäre!

      RITTER. Erklärt Euch, Ihr macht mich verwirrt.

      GRAF. Erinnerst du dich, wie nannte der Domherr den zweiten Grad?

      RITTER. Mich dünkt: die Prüfung.

      GRAF. Gut, die hast du überstanden.

      RITTER. Erklärt Euch!

      GRAF. Laß mich erst meine lebhafteste Freude in diesen Umarmungen ausdrücken.

      RITTER. Ich verstumme!

      GRAF. Wie selten hab ich sie genossen! Ich wünsche Euch Glück und mir.

      RITTER. Laß mich nicht länger in Ungewißheit.

      GRAF. Du hast das sonderbarste Abenteuer überstanden, du hast dir die Würde eines Meisters selbst gegeben, du hast dir die Vorzüge des dritten Grades wie mit stürmender Faust erobert.

      RITTER. Noch immer bin ich in Zweifel


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