Geliebter Unhold. Billy Remie
deine Feinde zu Märtyrern gemacht, als du sie getötet hast. Sieh, was wir angerichtet haben.« Wexmell breitete die Arme aus. »Wir haben die Aufstände bei uns vielleicht zerschlagen, doch jetzt breiten sie sich in unseren Nachbarländern aus. Wir haben niemanden gerettet, wir haben es verschlimmert. Du hast dafür gesorgt, dass du mehr Feinde hast, als du überblicken kannst. Mächtige Feinde.«
Riath wusste das, er starrte in seinen Kelch. »Ich bin mächtiger als sie alle zusammen.«
»Aber auch du hast deine Grenzen und Schwächen. Und glaub mir, sie werden sie finden – oder haben es vielleicht schon.«
Der bedeutsame Blick sagte alles. Riath hätte niemals herkommen sollen, denn mit einer dieser Schwächen hatte er vor kurzem noch das Bett geteilt.
Wexmell atmete aus, schien sich zu beruhigen. Er war nie aufbrausend gewesen, doch die letzten Jahre hatten auch ihn verändert. Der Tod seines geliebten Gefährten, der Tod zwei seiner Ziehkinder, die Krone auf seinem Haupt, die alleinige Verantwortung, die Aufstände und… der Verrat. Vor allem der Verrat hatte ihn schwer getroffen, ihn altern lassen und strenger gemacht. Von der warmen, strahlenden Sonne Nohvas zum kalten, fahlen Mond.
»Du fragst mich, warum ich dir nicht vertraue«, Riath sah wieder auf, Wexmell blickte ihn an. »Ich frage dich, warum du stattdessen nicht mir vertraust.«
Daraufhin verfiel Wexmell in tiefes Schweigen. Er musterte Riath noch stumm, dann glitt sein Blick endgültig ab und schien über etwas nachzudenken, das ihn zutiefst schmerzte.
Riath inspizierte seine Stiefel. »Was willst du hier?«
Er war bestimmt nicht die lange Reise angetreten und hatte Nohva allein gelassen, um mit Riath über das leidige Thema Krieg oder Frieden zu streiten. Nein, diese Diskussion würden sie noch an Wexmells Sterbebett führen, doch deshalb war er bestimmt nicht hier.
Als Wexmell nicht gleich antwortete, betrachtete Riath ihn wieder, wartete aber geduldig.
»Du hast mich gewarnt, dass Melecay Desith mit einer Armee nach Nohva schicken wird.« Wexmell drehte sich zu ihm um, sein Gesicht war wieder ernst.
»Ich bin mir sicher, dass er das tun wird, ich hoffe sogar darauf. Sie werden sich jetzt alle auf dich konzentrieren, um dich zu zermürben. Sie wollen, dass du die Krone abgibst. Also wirst auch du dich auf diesen Feind konzentrieren.« Er zuckte mit den Achseln. »Ich sehe das als Vorteil für mich.«
»Dann willst du mich ausliefern?« Wexmell fragte das so trocken, dass es ihn nicht überraschen würde, wenn Riath einfach mit Ja geantwortet hätte.
Doch er lächelte zynisch. »Ich bin sicher, du bist in der Lage, mit Desith zu verhandeln.«
»Und während ich das tue, fällst du über Melecays Land her?« Wexmells Lippen waren zu einem dünnen Strich geworden. »Schlachtest ein Dorf nach dem anderen ab, bis kein Barbar mehr übrig ist?«
Riath sagte dazu nichts, aber ein Lächeln lag auf seinen Lippen. Wenn die Zeit reif war, würde er das, doch im Moment wäre es noch Selbstmord. Anders als Wexmell immer behauptete, hatte Riath sehr wohl Geduld.
Wexmell legte den Kopf schief. »Und was ist mit Xaith? Du wolltest ihn finden, bevor es ein anderer tut.«
»Das werde ich«, versicherte er pikiert. »Ich weiß, wo Xaith ist, keine Sorge. Im Moment ist er geschwächt und kommt nur langsam voran, meine Getreuen verfolgen ihn. Ich bringe ihn nach Hause.« Er wollte ihn bitten, ihm zu vertrauen, doch sein Auftauchen hier bewies mal wieder, dass er das nicht tat – nicht konnte.
Riath war nicht überrascht, vielleicht musste das so sein, vielleicht würde nie irgendjemand, der auch nur den Funken gesunden Menschenverstandes in sich trug, ihm vertrauen.
Dennoch schmerzte es. Sein eigener Vater. Dieses Misstrauen, diese Enttäuschung hätte er von seinem anderen Vater erwartet, doch Wexmell war ihm früher immer nur mit Liebe und Stolz begegnet. Diese Zeiten waren schon seit einer ganzen Weile vorbei, was Wexmell nun für ihn empfand, verbarg er stets hinter dieser neutralen Maske.
Wexmell betrachtete ihn lange, sehr lange, mit diesen eindringlichen, dolchartigen Augen, die er sich angewöhnt hatte, seit er als König gezwungen war, Stärke zu beweisen. Nur zu oft hatte man seine Gutherzigkeit ausgenutzt. Doch eines war Wexmell nie gewesen: schwach.
Das durften sie niemals unterschätzen.
»Hast du es ihm gesagt?«, fragte Wexmell. »Kacey. Weiß er, dass er in Gefahr ist?«
Das letzte Gespräch mit Kacey trat in Riaths Erinnerung, noch frisch und aufwühlend. Er bekam Kopfschmerzen von dem wirren Gerede, das zu nichts geführt hatte. Die Sache mit Kacey war viel komplizierter, als er je angenommen hatte. Dabei könnte es so einfach sein, würden sie schlicht aufhören, miteinander zu reden. Nur fühlen, nicht denken, das wäre das Beste.
»Ich mache das auf meine Weise«, sagte Riath und sah ebenso ungerührt und streng zu Wexmell hin, so wie dieser zu ihm sah. Genau das hatte er damals gesagt, als er die Armee genommen – zumindest den Teil davon, der treu zu ihm stand, weil er der Sohn seines Vaters war – und den Aufstand zerschlagen hatte. Ich mache das auf meine Weise.
Wexmells volle Lippen wurden dünner, da er sie fest aufeinanderpresste. »Du musst es ihm sagen.«
»So wie du mir hättest viele Dinge sagen müssen.« Vorwurfvoll starrte Riath zurück. »Du und Vater, ihr habt uns belogen und jetzt müssen wir es ausbaden. Ihr hab uns nie gesagt, in welcher Gefahr wir schweben.«
Wexmell zeigte keine Reue, sein Gesicht blieb unbewegt. »Weder ich noch dein Vater hätten jemals damit rechnen können.«
»Und doch hast du ihn sofort durchschaut, also musst du es geahnt haben.«
»Ich sage nicht, dass dein Vater und ich immer die richtigen Entscheidungen getroffen haben, wir waren jung und ratlos, haben uns auf das Gespür anderer verlassen. Damals erschien es uns richtig und damals war es für uns von Vorteil. Melecay war ein starker Verbündeter gegen die Dämonen.«
»Für euch war er das«, betonte Riath, »nicht für eure Söhne.«
Riath hasste Wexmells neutralen Blick, er wirkte so ungerührt. Er war wie eine dicke Mauer, und er wusste nicht, ob sein Vater, der ihn früher immer warm angelächelt hatte und immerzu stolz auf ihn gewesen war, noch dahintersteckte. Der Vater, der Mann, der ihn immer ermutigt und ihm den Rücken gestärkt hatte. Da waren nur diese unergründlichen, fernen Augen.
In gewisser Weise sind beide Väter gestorben, auch Wexmell war fort, hatte sich so stark verändert. Wo war nur die strahlende Liebe und die Vergebung hin? Vor ihm stand nur ein… König. Unantastbar, neutral, uneinsehbar.
»Du hättest mir vertrauen müssen, Riath«, sagte Wexmell bedauernd, »ich hätte dich beschützt.«
Riath spürte die Tränen in seinen Augen und kämpfte sie zurück. »Du konntest niemanden mehr schützen, viele von uns mussten das lernen. Auch du hast ihn unterschätzt. Du und Vater hättet ihm nie eine Krone verschaffen dürfen!«
Da war er wieder, dieser zerreißende Schmerz in der Brust, der Verlust, die Enttäuschung, der Schock. All das drohte, ihn zu verschlingen, er musste sich selbst vom Abgrund wegreißen.
Nein, er würde nicht weinen, er würde nicht einmal klagen oder sich auch nur für den Bruchteil eines Augenblicks selbst bemitleiden! Es führte zu nichts und er hatte kein Recht dazu, nach all den Leben, die er genommen hatte. Kein Recht, zu fühlen, er war der Böse, hatte sich dazu gemacht. Kein Recht, zu atmen, zu existieren, zu leiden oder zu lieben.
Er war der dunkle Hexenprinz, das schwarze Schaf des königlichen Geschlechts.
Aber dennoch würde er sich nicht mit einer Niederlage abfinden, nur weil er es vielleicht sollte. Ob er sie nun verdiente oder nicht, er würde seine Rache bekommen. Das war alles, was zählte, alles, was jemand wie er fühlen durfte.
Ein Schatten fiel auf ihn und er hob den Kopf. Wexmell stand dicht vor ihm, sodass er ihm nicht entkommen konnte. Sein Blick bohrte sich in Riaths Augen.
»Es