Der letzte Mohikaner. James Fenimore Cooper
stand.
»Du siehst, Magua«, sprach er vertraulich, »daß die Nacht einbricht und wir immer noch in der Nähe von ›William Henry‹ sind. Du hast den Weg verfehlt. Doch zum Glück haben wir einen Jäger getroffen, der ist mit den Fährten des Wildes vertraut und verspricht uns nach einem Platze zu fuhren, wo wir uns bis morgen ausruhen können.«
Der Indianer heftete seine funkelnden Augen auf Heyward und fragte in seinem gebrochenen Englisch: »Ist er allein?«
»Allein?« wiederholte verlegen Heyward. »Du weißt ja, daß wir bei ihm sind.«
»Dann kann le Renard Subtil gehen«, erwiderte der Läufer. »Und die Bleichgesichter werden nur Leute ihrer eigenen Farbe sehen.«
»Wen nennst du le Renard Subtil?«
»Diesen Namen haben mir meine kanadischen Väter gegeben«, antwortete stolz der Läufer.
»Es ist gut, Magua«, sprach Heyward. »Sind wir nicht Freunde? Warum sollen böse Worte zwischen uns gewechselt werden? Komm, ruhe deine müden Glieder jetzt aus und öffne deine Reisetasche, um dich zu stärken. Wir haben nur wenig Zeit, und wenn die Frauen ebenfalls gegessen haben, wollen wir weitergehen.«
»Die Bleichgesichter machen sich zu Hunden ihrer Frauen«, murmelte der Indianer in seiner Muttersprache. »Und wenn sie essen wollen, müssen ihre Krieger den Tomahawk beiseite legen.«
»Le Subtil sagt, es ist gut.«
»Was sagst du, Renard?«
Der Indianer blickte Heyward scharf ins Gesicht. Als er aber seinem Blick begegnete, wandte er sich schnell ab, nahm den Rest eines früheren Mahles aus der Tasche und begann zu essen.
»So ist es recht«, fuhr Heyward fort, »Renard wird morgen wieder die Kraft haben, um den rechten Weg zu finden.« Er hielt in seiner Rede inne, denn er hörte das Knistern dürrer Reiser und das Rauschen von Blättern. Auch Magua ließ seine Hand vom Munde herabsinken und bog lauschend den Kopf seitwärts. Heyward, der seinen Bewegungen wachsam folgte, ließ nachlässig die Hand zu seinem Pistolenhalfter hinabgleiten. Jetzt stand le Subtil vorsichtig auf. Heyward fühlte, daß der Augenblick gekommen war, um zu handeln. Er stieg aus dem Sattel und sprach immer noch in vertraulichem Tone: »Le Renard Subtil ißt nicht. Ich will sehen, ob ich unter meinem Vorrat etwas finde, was ihm besser schmeckt.«
Magua hielt die Reisetasche hin. Doch kaum fühlte er, daß Heywards Finger sich vorsichtig über seinen nackten Arm bewegten, da schlug er die Hand des jungen Mannes zurück und sprang mit einem großen Satz in das gegenüberliegende Dickicht. Im nächsten Augenblick erschien die Gestalt Chingachgooks und eilte dem Entflohenen nach. Kurz darauf folgte Unkas und dann wurde der Wald durch einen Feuerschein erhellt, dem ein scharfer Knall aus der Büchse des Jägers folgte.
5. Kapitel
Die plötzliche Flucht des Irokesen und das wilde Geschrei der Verfolger setzten Heyward in Erstaunen. Auch er stürzte in das nahe Gebüsch, um sich an der Jagd zu beteiligen. Kaum hatte er aber einige Schritte zurückgelegt, als er bereits die drei Waldbewohner von ihrer fruchtlosen Verfolgung zurückkehren sah.
»Warum so schnell den Mut verlieren?« rief er, »der Schurke muß sich hinter einem der Bäume verborgen haben.«
»Wollt Ihr den Wind mit einer Wolke jagen?« fragte ärgerlich der Kundschafter. »Da, seht einmal diesen Strauch an, seine Blätter sind rot, und doch weiß jeder Mann, daß er nur im Monat Juli blüht.«
»Das ist Blut von le Subtil! Er ist verwundet!«
»Ich habe ihn leider nur leicht verwundet und dafür hüpft der Bursche um so länger«, entgegnete der Kundschafter.
»Wir sind aber vier kräftige Männer gegen einen Verwundeten!«
»Wollt ihr euer Leben verlieren?« unterbrach der Kundschafter. »Der rote Teufel brächte uns in den Bereich der Tomahawks seiner Gesellen, ehe wir uns von der Jagd erhitzt hätten. Kommt, Freunde, verlassen wir diesen Platz, sonst trocknen morgen um diese Stunde unsere Skalpe im Winde!«
Diese kaltblütige Erklärung des Kundschafters erinnerte Heyward an die Wichtigkeit des Amtes, das er freiwillig übernommen hatte. Seine Einbildungskraft verwandelte jedes Gebüsch, jeden Stamm in menschliche Gestalten und oftmals glaubte er die furchtbaren Gesichter lauernder Feinde zu erkennen.
»Was ist nun zu tun?« fragte er ziemlich hilflos. »Verlaßt mich nicht und helft die mir anvertrauten Damen verteidigen. Ich werde es euch lohnen!«
Der Jäger und seine Begleiter, die sich in der Sprache Ihres Stammes berieten, achteten nicht seiner Worte, Ihre Unterhaltung wurde leise und vorsichtig geführt. Offenbar besprachen sie Maßnahmen, die das Wohl der Reisenden betrafen. Ungeduldig trat Heyward näher zu dieer Gruppe heran, um sein Anerbieten zu wiederholen. Da machte der Weiße mit der Hand eine Bewegung und sagte wie im Selbstgespräch:
»Unkas hat recht! Es wäre unmenschlich, diese harmlosen Geschöpfe ihrem Schicksal zu überlassen. Die Mohikaner und ich wollen alles tun, um die beiden Damen vor Schaden zu bewahren und ohne Hoffnung auf andere Belohnung als solche, die Gott immer rechtschaffenem Handeln zuteil werden läßt. Zuvor müßt Ihr aber in Eurem Namen, wie auch für Eure Freunde zweierlei versprechen.«
»Redet bitte!«
»Erstens müßt ihr euch noch stiller verhalten als diese Wälder hier, möge auch geschehen, was will. Zweitens müßt Ihr uns versprechen, den Ort geheimzuhalten, wohin wir euch bringen werden.«
»Ich verspreche Euch alles zu tun, um diese beiden Bedingungen zu erfüllen.«
»So folgt mir denn.«
Heyward folgte dem Kundschafter nach der Stelle, wo er die Reisegesellschaft zurückgelassen hatte. Dort machte er die ängstlichen Frauen mit den Bedingungen ihres neuen Führers bekannt. Schweigend ließen sich die Damen aus den Sätteln helfen und gingen schnell an den Rand des Wassers, wo sich bereits die Mohikaner befanden.
»Was machen wir bloß mit den Pferden?« murmelte der Jäger.
»Wir geben ihnen die Zügel frei und lassen sie im Walde laufen«, riet Heyward.
»Nein, nein, es ist besser, wir leiten die Indianer irre.«
Die beiden Indianer schienen den gleichen Gedanken wie der Kundschafter zu haben. Sie ergriffen die Zügel und führten die erschreckten Pferde in das Bett des Flusses hinab. In der Zwischenzeit zog der Kundschafter ein Kanu aus Baumrinde aus einem Versteck hervor und ließ die Frauen, Heyward und den Sänger einsteigen. Der Kundschafter stieß mit dem Fuß das Boot von dem Ufer in den Fluß und sprang dann selbst noch auf das Fahrzeug. Geschickt steuerte Falkenauge das Kanu, das sich bald dem Ufer näherte und bald wieder entfernte, um Felsblöcke oder tiefe Stellen zu vermeiden. Manchmal hielt er an und horchte aufmerksam, ob nicht ein Laut zu vernehmen war. Dann erst, als er sich überzeugt hatte, daß alles ruhig war, fuhr er vorsichtig weiter. Endlich erreichten sie eine Stelle in dem Fluß, in der Heyward eine Gruppe schwarzer Gegenstände bemerkte. Falkenauge beruhigte den jungen Mann und sprach:
»Hier haben die Mohikaner die Pferde untergebracht. Das Wasser läßt keine Spur zurück.«
Jetzt war die ganze Gesellschaft vereinigt und eine erneute Beratung zwischen dem Kundschafter und den Indianern erfolgte.
Die Pferde waren an Sträuchern festgebunden und mußten im Wasser stehend so die ganze Nacht zubringen. Jetzt hieß der Kundschafter seine Begleiter sich in den vorderen Teil des Bootes setzen, während er sich selbst aufrecht an das andere Ende stellte. Die Indianer zogen sich zurück und der Kundschafter stemmte seine Ruderstange gegen einen Felsen und trieb mit kräftigem Stoß das gebrechliche Fahrzeug mitten in die wilde Strömung hinein. Mehrere Minuten tobte ein erbitterter Kampf zwischen dem leichten Boot und den Strudeln des Stromes. Voller Angst glaubten die Reisenden, daß sie kentern müßten, doch jedes Mal drückte die kräftige Hand des Steuermannes das Kanu der Strömung entgegen. Schon glaubte Alice, von dem Strudel am Fuße des Wasserfalles verschlungen zu werden, da