Im Busch / Kriegsbilder aus dem dt.-franz. Krieg. Gerstäcker Friedrich

Im Busch / Kriegsbilder aus dem dt.-franz. Krieg - Gerstäcker Friedrich


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da Hausthüren öffneten und Leute, völlig zur Reise gerüstet, heraustraten, um ihre bestellten Fuhrwerke oder Pferde aufzusuchen. Güterkarren, sogenannte drays, mit Provisionen und Handwerkszeug be/24/laden, was jedenfalls in der Nacht geschehen sein mußte, rasselten schon einzeln über das Pflaster der Stadt, von den neidischen Blicken der Nachschauenden so lange als nur irgend möglich verfolgt. Einzelne Arbeiter waren zu irgend einer häuslichen Beschäftigung schon gar nicht mehr zu bekommen, denn wer wollte jetzt noch für zwei oder drei Shilling den Tag arbeiten, wo er da oben in den Bergen vielleicht in einer Stunde eben so viele Pfund Sterling auflesen konnte? Eine Menge kleiner Läden selbst blieben geschlossen, da sich deren Eigenthümer entweder schon zum Abmarsch in die Minen rüsteten, oder doch wenigstens eifrig beschäftigt waren zu überlegen, ob sie gehen sollten oder nicht. -

      Aber selbst das schien nur die nutzlose Verzögerung eines doch nicht mehr zu vermeidenden Schrittes, denn wer überhaupt schon s o weit war, daß er mit sich zu Rathe ging, blieb auch, in fast allen Fällen, für ein ruhiges Alltagsleben von dem Augenblick an verloren, und wenn er seinen Marsch in die Minen noch aufschob, marschiren mußte er; darauf konnte er sich verlassen.

      Gold! was für ein eigener, wunderbarer Zauber in dem einem Worte liegt, und wie leicht die kleine Silbe selbst die innigsten Familienbande zu trennen vermochte, als ob es leichter Zunder gewesen wäre. Gold! wie das durch alle Schichten der Gesellschaft zuckte, vom reichen Schiffsrheder hinunter bis zu dem halb ausgestoßenen ticket of leave man hinab; wie das im Nu Pläne baute und Luftschlösser hoch in die Wolken hinein, und für einen Augenblick fast jeden Rangunterschied aufzuheben schien - Gold! Hatte doch auch Jeder jetzt gleiche Anrechte an den Schätzen, die der australische Boden barg, und gleicher Anspruch war Allen gegönnt, die goldene Beute zu gewinnen, wer nur eben verstand seine Zeit zu benutzen und die kostbare nicht hier in leerem Nichtsthun versäumte.

      Die meisten Menschen kamen aber an diesem ersten Tage noch nicht recht zur Besinnung, denn zu rasch war die betäubende Kunde über sie hereingebrochen, als daß sie sich gleich zu einem entscheidenden Schritt entschließen konnten. Die weniger Zaghaften aber, die jede Stunde fast mit Sack und Pack, selbst unter ihren Augen fort, den Bergen zuströmten, /25/ nur um dort die Ersten zu sein, die das Gold sammelten - denn an wirkliches Arbeiten dachten noch Wenige - ließen sie nicht zu Ruhe kommen und trieben sie selbst zuletzt zu dem verzweifelten Schritt. Jeder Trupp ja, der jetzt die Straßen von Sidney auf seinem Weg in die Berge passirte, nahm ihnen einen „Platz" da oben weg, und konnte gleich von vornherein die am reichsten geträumten Stellen entdecken. Jeder Wanderer trug in seiner Spitzhacke und Schaufel die Schlüssel zu ungezählten, märchenhaften Schätzen, und es blieb zuletzt nichts weiter übrig, als ihnen nur so rasch als möglich nachzuziehen, denn zurückbleiben konnte man doch einmal nicht.

      Die natürliche Folge blieb nicht aus. Mehl, wie alle übrigen Arten von leicht verführbaren Lebensmitteln stiegen im Preis - nicht von Tag zu Tag, nein von Stunde zu Stunde bis zu einer kaum geahnten, kaum zu erschwingenden Höhe. Drays oder andere Fuhrwerke waren kaum mehr zu bekommen, wenigstens nur noch für einen Preis, der in ruhigeren Zeiten gleich Karren und Pferde bezahlt hätte. Wo sich sonst Jemand einen Spazierstock oder Regenschirm gekauft haben würde, handelte er jetzt in einer Eisenwaarenhandlung auf das Ernsthafteste um eine Spitzhacke und Schaufel; große unbehülfliche Blechpfannen schienen ein rasender Modeartikel geworden zu sein, und Glanzstiefel wurden verächtlich in die Ecke geschleudert, um ganz gewöhnlichen, aber derbgearbeiieten Buschschuhen ehrfurchtsvoll Raum zu geben.

      Selbst die Mode- und Ausschnittwaarenhandlungen veränderten in kaum zweimal vierundzwanzig Stunden ihren ganzen Charakter. Wer kaufte jetzt noch Barége- oder Mullkleider, wer jetzt noch seidene Franzen oder leichten Damenputz? - Kein Mensch mehr - rothe wollene Hemden und chocoladenfarbige Minerhüte waren auf einmal Mode geworden, lange Wasserstiefel und wasserdichte Mäntel, und wo sonst Spiegelglasscheiben zarte rosafarbene Bänder und künstliche Blumen und Zierrathen geflattert hatten, hingen jetzt Tabaksbeutel von rother und blauer Wolle, kurze Holz- und Thonpfeifen, kleine Ledersäcke, um die gewonnenen Schätze sicher aufzubewahren, und drohende Revolver und Buschmesser, das wirklich Gewonnene damit zu vertheidigen. /26/

      Kein Mensch bot dem andern mehr auf der Straße einen gemüthlichen guten Morgen. „Noch hier?" oder „wann geht's fort?" schienen die einzigen gangbaren Anreden geworden zu sein, und unbestimmte Gerüchte durchliefen dabei die Stadt und reizten die Bevölkerung zu den ungemessensten Ausdrücken über die Regierung: daß das Gouvernement nämlich die Absicht habe, sämmtliches Staatsland als Eigenthum der Krone zu erklären und ein Graben nach edlen Metallen darauf nicht allein zu verbieten, sondern sogar in Uebertretnngsfällen als Diebstahl zu behandeln.

      Niemand überlegte sich, daß eine solche Maßregel, wenn man wirklich einmal daran gedacht hatte, nie ausführbar gewesen wäre. Jeder hielt sich schon in seinem Recht gekränkt, Gold aufzunehmen, wo es ihm eben im Wege läge, und drohende Aeußerungen, daß man Gewalt mit Gewalt begegnen würde, mischten sich wild mit neuen, meist erfundenen oder doch wenigstens übertriebenen Berichten frisch entdeckter goldhaltiger Stellen.

      Die Bewohner Sidneys hatte mit einem Wort ein halber Wahnsinn, ein toller Rausch gepackt, der eben nur auf eine einzige Art bei jedem Einzelnen geheilt werden konnte - durch einen langen, mühseligen Marsch in die Berge und Wochen lange und in wie vielen Fällen nutzlose Arbeit in dem harten Boden - Ueberredung oder vernünftige Vorstellungen richteten gerade so viel bei dem Goldfieber-Kranken aus, als ob man den untergehenden Mond hätte durch eine interessante Vorlesung bewegen wollen, seine gegebene Zeit zu versäumen.

      Selbst die reichsten Leute der Stadt hatte der Taumel gepackt; alte, würdige Herren waren dabei, die nie im Leben daran denken konnten, noch eine Schaufel oder sonst irgend eine andere derartige Waffe des Proletariats in die Hand zu nehmen, aber ihre Hand wollten sie in dem Auffinden des Goldes haben. Wo sie deshalb nicht selber gehen konnten, begannen sie Leute um schweres Geld zu miethen und kleine Gesellschaften mit Tonnen Mehles und Speck, mit Werkzeugen, Quecksilbermaschinen, Zelten und anderen Buschutensilien auszurüsten, immer dabei in dem guten Glauben, daß diese „Goldgräber" auch noch weiter für sie arbeiten würden, wenn sie /27/ wirklich nutzbare Gruben dort oben entdeckten, und dann doch jedenfalls viel vortheilhafter für sich sorgen konnten, sobald sie die Arbeit auf eigene Hand betrieben.

      Aber wer von Allen dachte jetzt auf Wochen oder Monate hinaus, wo es ja galt das Glück im Augenblick beim Schopf zu fassen. Wie Viele griffen freilich in die Luft, aber sie ahnten das wenigstens jetzt noch nicht, und der Taumel, der Alle gepackt hatte, riß auch sie mit fort.

      Am allerschlimmsten traf dies Lockern aller Bande des gesellschaftlichen und geschäftlichen Verkehrs die gerade zufällig mit ihren Schiffen in der Bai ankernden Capitaine, noch dazu, wenn sie schon im Begriff waren, wieder auszulaufen. Zu den Matrosen drang ja das Gerücht der reichen Minen eben so rasch wie zu allen übrigen Menschenkindern, und wenn sie den geringen Monatslohn gegen das, was sie da oben finden konnten, in die Wage warfen, schnellte ihre Schale freilich hoch empor. Natürlich liefen sie fort, und ob List oder Gewalt angewandt wurde, sie an Bord zu halten, mit List oder Gewalt brachen sie durch, und es dauerte nicht drei Tage, daß kein einziges Schiff mehr mit vollzähliger oder selbst nur genügender Mannschaft in der Bai lag, seine Reise nach irgend einer Richtung hin fortsetzen zu können oder nur in See zu gehen.

      Und was für bunte Züge bildeten sich jetzt: junge Kaufleute und Beamte, Tagelöhner, weggelaufene Matrosen, Handwerker, Künstler, Alles mischte sich bunt durcheinander - die rothen Hemden, Wasserstiefeln und chocoladenfarbige Hüte machten Alles gleich, und eine gewisse Verbrüderung, eine Art von Communismus schien den ganzen Staatskörper wie in einem Taumel erfaßt zu haben.

      Selbst das Theater mußte später in Sidney ganz geschlossen werden, weil die Schauspieler keine Lust mehr hatten, ihre schöne und kostbare Zeit hier mit Komödienspielen, und noch dazu vor leeren Bänken - zu vergeuden. Wer dachte denn in diesem Augenblick daran, ein Theater zu besuchen, wo man alle Hände voll zu thun hatte, um sich für den nächsten Marsch zu rüsten.

      Nie im Leben hatte die Polizei mehr zu thun gehabt, /28/ oder war wenigstens mehr in Anspruch genommen worden, besonders contractbrüchige Arbeiter wieder aufzuspüren, wie flüchtige Seeleute zurück zu bringen, und wie geringen Erfolg erzielte sie mit all' ihrem Eifer. Draußen im Lande war es ohnedies schon


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