Reiner Mothes: Meine Seefahrt. Reiner Mothes
beibehalten: Nur der Wachoffizier beäugte das Radarbild, nicht der Jan-Maat als Ausguck. Der hatte in der Nock zu bleiben und konnte bei Bedarf fragen, ob er mal den Kieker ausleihen dürfe, um ein anderes Objekt am Horizont zu erkennen. Ein Witz? – Nein. Echt wahr.
Später fragtest du mich, warum heutzutage überhaupt jemand dafür bezahlt würde, um zu gucken, ob sich das Schiff einer Küste oder anderen Schiffen nähere, bei den lahmen Geschwindigkeiten, die von Radwettfahrten leicht noch vor dem Frühstück erreicht werden könnten. Die wenig erstaunliche Antwort war mein Hinweis auf die geltenden Vorschriften. Nachdem man zum Ende der Segel- und damaligen Forschungsreisen auf den Mann im Krähennest Als Ausgucker im hohen Mast verzichtete, sorgten die Traditionspfleger für die folgende Regel: Erstens immer mindestens ein Mann als Ausgucker bei schlechter Sicht und in Gewässern mit hoher Verkehrsdichte. Und zweitens in solchen Fällen ein weiterer Wachmann am Ruder, um das Schiff immer von einem gelernten Menschen zu steuern. Egal, ob ein Schiff eventuell mit besserer Technik für diese Arbeiten ausgerüstet war oder nicht. In der Praxis bedeutet das, auf See zog immer ein Jan-Maat bei beginnender Dunkelheit als Wache in einer Nock auf, bei Nebel und schlechter Sicht waren zwei oder drei Maaten gefordert. Der zweite Mann begab sich an den Steuerstand und ersetzte die dort die übliche Steuerautomatik, während der dritte Mann sich als Ausgucks-Mann zum vordersten Teil des Schiffes begab, um dort den Am wenigsten beliebten Platz zum Ausgucken Auf der ungeschützten Back einzunehmen. Für alle galt eine Wach-Zeit von vier Stunden. Die damals beginnende Raumfahrt übernahm diese Regel nicht. Entsprechend kennen wir heute keine neckischen Geschichten, wie die Story von Fiete Butt, der einst vorn auf der Back die Order erhielt, an der Steuerbordseite nach einer Tonne auszuschauen und ihre Annäherung laut und deutlich zu melden. Was er auch machte, jedoch erst, als das Schiff die Tonne mit lautem Gerumpel rammte: „Wi häv se!“ Danach wurde er dafür nicht mehr gebraucht und durfte abmustern.
Trotz all dieser komischen Regeln stand ich gerne in den Nocken (= Flügeln). Besonders in klaren Nächten. Dann kam oft der Wachoffizier nach draußen, und wir genossen gemeinsam den wunderschönen Sternenhimmel bei guten Gesprächen. Nur beim II. Offizier Nopi war es nie so gemütlich. Der hatte seinen Namen Nopi bekommen, weil er sich dabei erwischen ließ, als er in die Nock pinkelte – Nopi, der Nockenpisser.
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Mein liebstes T-Shirt mochtest du damals überhaupt nicht leiden. Also schonte ich es für später und ließ es im Schapp, um dein Dauer-Gemecker nicht mehr hören zu müssen. Vor allem wollte dir nicht in den Kopf, dass es sich bei diesem Maling eigentlich um ein Kunstwerk handelte. Dafür war tagelang Schnippel- und Pinselarbeit nötig.
An Land konnte niemand so ein tolles Hemd vorweisen, bei dem auf dem Rückenteil zu lesen war: „MORE DRINKING, LESS SINKING“ (mehr trinken, weniger sinken). Das war ein alter Seemannsspruch Aus der englischen Piratenzeit in der Karibik. Gleichzeitig wurden dabei auf meinem Rücken die Handelsschiffer mit der Firmenaufschrift „BROWNWATER SAILING ASSN“ verhöhnt.
Später erübrigte sich dieses Thema von allein, als ich zum Uniformträger verpflichtet wurde. An Bord und in einem der Häfen hätte ich mir mit meinem beliebten T-Shirt nirgends Respekt verschaffen können. Heute hängt es am Kleiderbügel im Schrank und hat dort einen Ehrenplatz.
Von meiner ungeliebten Uniform habe ich mich schon lange verabschiedet. So einen Dunkelblauen mit Goldstreifen uns allerlei Goldstreifen und allerlei Gekringel an den Ärmeln sieht man heute vor allem auf dem und an den Landungsbrücken, um zahlende Touristen anzulocken.
Die Berufsseeleute haben heute kaum Zeit, um an Land zu gehen.
Auch an Bord wird die Uniform heute seltener als Blaumann getragen. Im Hafen wird jetzt die ursprüngliche Tropen-Uniform (Khaki) als Arbeitskleidung der Offiziere benutzt. Die kurze weiße Uniform kannst du in Filmen mit Kreuzfahrtschiffen sehen. Dann können Leute wie du, wieder träumen.
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Wer von den Jan-Maaten nicht zum regelmäßigen Wachdienst eingeteilt war, arbeitete als Tagelöhner an allen Tagen außer sonntags von morgens 6 bis 18 Uhr. Die hauptsächlichen Arbeiten betrafen die Reinigung (vor allem vom Salzwasser) und Konservierung des Schiffes und dessen Ausrüstung. Dazu kamen die vielen Kontrollen und Pflege der Teile des Ladegeschirrs, für die es auf allen Schiffen genaue Vorschriften und Pläne gab. Jeder Schäkel und Draht war gut lesbar nummeriert und seine Tragfähigkeit musste eindeutig sicher sein. Beschädigte Teile mussten aussortiert und ersetzt werden. Alle Leinen und Drähte wurden im Kabelgatt je nach Bedarf gespleißt. Das hierfür nötige Gut wurde in Rollen (Coils) von ca. 220 Meter Länge an Bord geliefert. Jan-Maat hatte daraus etwas Verwendbares zu gestalten. Solche Arbeiten konnten bei schlechtem Wetter unter Deck erfolgen.
Bei gutem Wetter wurde draußen vor allem der überall blühende Rost weggeklopft. Dafür gab es spezielle Entrostungshämmer und die unbeliebten Rostmaschinen. Wer damit arbeitete, musste sich vom Maschinenpersonal Ohrschützer gegen den infernalischen Höllenlärm ausleihen und hüllte sich in Turban-ähnliche Wickelgewänder, um am Ende aus den gewaltigen Staubwolken irgendwie menschlich zur frischen Luft kommen zu können. Die Arbeits- und Schutzkleidung für alle Arbeiten musste sich Jan-Maat selbst und auf eigene Kosten besorgen. Arbeitsschule oder gar Helme gab es damals noch nicht. Sogar die festen Arbeitshandschuhe versuchte der erfahrene Maat in den Häfen unauffällig zu sammeln, wo sie für die Schauerleute vorgeschrieben war.
Für die streng eingehaltenen Arbeitszeiten gab der Bootsmann oder sein Vertreter jeweils die Signale oder Zeichen. Mittags um 12 Uhr wurde die Schiffsleitung auf der Brücke aktiv und testete regelmäßig die akustischen Notsignale des Schiffes, indem sie das Nebelhorn und in Allen Gängen die großen Alarmklingeln ertönen ließ. Auch die „Öl-Füße“ wurden so informiert. Von Schiffen des Ostblocks hörte man dazu noch gewaltiges Getöse aus den Lautsprechern. Danach wussten alle an Bord, dass es zwölf Uhr war.
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Über meine Kleidung hast du ja immer gemeckert. Dabei kam ich nie in Arbeitsklamotten zu euch. Für uns Seeleute galt damals ein ungeschriebenes Gesetz zum Kleidungsthema: Wer das Schiff verlässt, wird spätestens beim Betreten der Gangway zum Sea-Lord. Dann hatte man auch entweder wirklich Geld in den Taschen oder gar kein Geld. Wer nur wenig Bargeld gespart hatte, der blieb an Bord, denn schon der Beginn des Landgangs im Taxi war überall teuer. Einen kostenfrei organisierten Service für die Seefahrt vom Schiff zur Stadt gab es nur in Ostblockländern. Aus welchen Gründen auch immer. Mancher Sea-Lord würgte sich gelegentlich den bunten Tampen um den Hals, dessen verflixter Knoten in keinem Lehrbuch abgebildet war. Noch auf halbem Weg in den Ort mussten wir uns manchmal umziehen. Danach konnte das beginnen, was man heute Event nennt. Onkel Rudi wolle gern mitgehen, aber du hattest immer etwas dagegen einzuwenden. Rudi war eben kein Sea-Lord mehr, nachdem er an Land gegangen war. Erinnerst du dich? PS: Was man heute Event nennt, hieß bei uns „die Sau raus lassen“. Das war immer gemütlich.
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