Tante Lisbeth. Honore de Balzac

Tante Lisbeth - Honore de Balzac


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schaut einen alle Welt an und läuft einem nach. Jeden gelüstet nach dieser Frau. Solche Erfolge sind aber nicht jedermanns Geschmack. Mancher schießt sich nicht gern. Mehr als einen kann man auch nicht auf einmal niederknallen. Kurz und gut, wie die Verhältnisse liegen, können Sie Ihre Tochter nur auf drei Arten an den Mann bringen. Erstens: mit meiner Beihilfe. Das wollen Sie ja nicht. Zweitens: Sie verschachern Sie an einen Sechzigjährigen, etwa an einen reichen Witwer, ohne Kinder, der sie haben möchte. Das ist zwar auch nicht so einfach, aber es läßt sich machen. Finden sich doch alte Kerle genug, die junge Weiber wie die Josepha oder die Jenny Cadine aushalten. Warum sollte man nicht mal einen finden, der dieselbe Dummheit in legitimer Weise begeht? Wenn ich meine Cölestine nicht hätte und meine beiden Enkelchen, heiratete ich Hortense. Na und drittens: das ist die allerleichteste Art und Weise...«

      Frau von Hulot sah angsterfüllt auf Crevel.

      »Paris ist eine Stadt, in die alle tatkräftigen Menschen zusammenströmen. Und die schießen in Frankreich wie die Pilze aus der Erde. In Paris wimmelt es von Talenten, die nicht Haus und Herd haben, aber mutig und zu allem fähig sind, selbst dazu, ihr Glück zu machen. Ich meine, Menschen wie... na, ich selber war mal so einer, und ich kenne ihrer eine ganze Menge. Was besaß Tillet, was Popinot vor zwanzig Jahren? Sie ramschten beide in Papa Birotteaus Laden mit keinem andern Kapital als dem Drange, emporkommen zu wollen. Ich versichere Ihnen, das ist soviel wert wie das beste Kapital! Kapital kann zum Teufel gehen, Mannesmut nicht... Was besaß ich? Den Drang nach vorwärts und meinen Mut! Tillet ist heute einer der gewichtigsten Leute. Und der kleine Popinot, der reichste Drogist in der Rue des Lombards, ist Abgeordneter geworden, jetzt Minister... Kurz und gut, so ein Kondottiere der Elle, der Feder oder des Pinsels, aber nur ein solcher, kann in Paris ein schönes Mädel ohne einen roten Heller heiraten. Die Sorte hat auch dazu Mut. Popinot hat Fräulein Birotteau ohne Aussicht auf die geringste Aussteuer genommen. Solche Kerle sind Narren! Sie glauben an die Liebe, wie sie an ihr Glück und ihr Können glauben. Suchen Sie einen Mann von Energie! Wenn er sich in Ihre Tochter verliebt, heiratet er sie ohne Bedenken. Sie werden mir zugeben, daß ich – als Feind – immerhin großmütig bin, denn mit diesem guten Rate arbeite ich gegen mich selber.«

      »Ach, Herr Crevel, wenn Sie nur mein Freund sein und Ihre lächerlichen Hirngespinste lassen wollten!«

      »Lächerliche Hirngespinste? Gnädige Frau, schädigen Sie sich doch nicht selber! Sehen Sie: ich liebe Sie, und Sie müssen zu mir halten! Eines schönes Tages will ich zu Hulot sagen: ›Du hast mir Josepha genommen, ich dir deine Frau!‹ Die alte Geschichte von der Vergeltung! Ich werde mein Ziel weiter verfolgen, es sei denn – Sie würden grundhäßlich! Und ich komme zum Ziele, und zwar aus dem Grunde« – er blickte die Baronin selbstbewußt an –, »aus dem Grunde«, fuhr er nach einer Pause fort, »weil Sie weder einen alten Mummelgreis noch einen verliebten Draufgänger erwischen werden. Weil Sie Ihre Tochter viel zu sehr lieben, als daß Sie sie einem alten Roué in die Hände geben. Und weil Sie viel zu stolz sind, Sie, die Baronin Hulot, Sie, die Schwägerin eines napoleonischen Generals, der die Alte Garde geführt hat, viel zu stolz, sage ich, als daß Sie einen jener Draufgänger nähmen, wo Sie ihn finden. Zum Beispiel, einen einfachen Arbeiter? So mancher Millionär war vor zehn Jahren simpler Maschinist, Vorarbeiter oder Werkführer. Und dann: wenn Sie glauben, Ihre Tochter könne Ihnen in einer schwachen Stunde Schande bereiten, müssen Sie sich da nicht sagen: ›Nein, nein! Lieber ich als sie! Crevel wird mein Geheimnis wahren, und ich erringe die Mitgift meiner Tochter. Zweihunderttausend Francs gegen zehn Jahre Freundschaft mit diesem ehemaligen Handschuhmacher, dem alten Crevel!‹ Ich belästige Sie, und was ich da sage, ist höchst unmoralisch, nicht? Wenn Sie von wilder Leidenschaft zu mir ergriffen wären, dann fänden Sie wie alle liebenden Frauen tausend Gründe zur Rechtfertigung Ihrer Sünden! Ich sage Ihnen: Hortenses Glück wird Ihr Gewissen zur Kapitulation zwingen!«

      »Hortense hat noch einen Onkel.«

      »Wen? Wohl den Vater Fischer? Na, der ist mit seinem Gelde fertig, und zwar dank dem Herrn Baron, der alle Kassen ausräumt, die in seinem Bereiche liegen.«

      »Graf Hulot ....«

      »So? Die Ersparnisse des alten Generalleutnants wird Ihr Mann wohl längst klein gekriegt haben. Mit dem, was er von ihm bekommen hat, ist das Haus seiner Sängerin eingerichtet. Genug! Wollen Sie mich wirklich ganz ohne Hoffnung von dannen gehen lassen?«

      »Leben Sie wohl, Herr Crevel! Die Genesung von der Leidenschaft zu einer Frau in meinen Jahren ist leicht. Sie werden christlich denken. Gott schützt die Unglücklichen.«

      Die Baronin erhob sich, um den Bürgerwehrhauptmann zum Gehen zu zwingen. Sie manövrierte ihn in den großen Salon hinüber.

      »Soll die schöne Frau von Hulot inmitten des alten Gerümpels leben?« bemerkte er, sich umblickend, wobei er auf eine altmodische Lampe, auf einen ehedem vergoldeten Kronleuchter, auf einen fadenscheinigen Teppich deutete, die Reste vom Prunke dieses Salons in Weiß, Gold und Rot, die toten Überbleibsel kaiserlichen Glanzes.

      »Herr Crevel, über alledem leuchtet die Ehrbarkeit! Ich verspüre kein Verlangen nach einer luxuriösen Einrichtung. Aus den schönen Dingen, die Sie mir borgen würden, könnte Speck für die Mäuse werden!«

      Crevel biß sich auf die Lippen. Er erkannte seine eigenen Ausdrücke wieder, mit denen er vorhin Josephas Habgier gebrandmarkt hatte.

      »Für wen die Treue?« warf er hin.

      In dem Augenblick waren beide an der Salontür angelangt.

      »Für einen Wüstling!« knirschte er mit der Grimasse des Moralisten und Millionärs.

      »Wenn Sie recht hätten, Herr Crevel, wäre meine Treue um so verdienstvoller!«

      Sie grüßte den Bürgergardisten, wie man grüßt, um sich einen lästigen Menschen vom Leibe zu halten. Dann wandte sie sich rasch ab, ohne ihn ein letztes Mal in seiner Attitüde zu sehen. Sie schloß die Tür wieder auf, die sie vor der Unterredung verschlossen hatte, und so entging ihr die drohende Gebärde, mit der Crevel schied. Stolz und edel schritt sie hin wie eine Märtyrerin in der Arena des Kolosseums. Immerhin waren ihre Kräfte erschöpft. Halbkrank sank sie auf den Diwan ihres blauen Zimmers. Ihre Blicke suchten die verfallene Laube draußen, in der ihre Tochter mit Tante Lisbeth plauderte.

      Seit ihrem Hochzeitstage bis zu dieser Stunde hatte die Baronin ihren Gatten geliebt wie Josephine ihren Napoleon, in bewundernder Liebe, in mütterlich-sorglicher Liebe, in feiger Liebe. Wenn sie auch die Einzelheiten, die ihr Crevel eben hinterbracht, nicht gewußt hatte, so war sie trotzdem überzeugt gewesen, daß der Baron sie seit zwanzig Jahren hinterging. Aber ganz klar hatte sie gar nicht sehen wollen. Heimlich hatte sie oft geweint, aber nie war ihr ein Wort des Vorwurfs entschlüpft. Als Dank für diese engelhafte Zartheit hatte sie die Ehrfurcht ihres Mannes geerntet. Er behandelte sie wie ein höheres Wesen. Die Zuneigung, die eine Frau für ihren Mann äußert, die Achtung, mit der sie ihn ehrt, wirkt vorbildlich auf die ganze Familie. Hortense hielt ihren Vater für das Muster eines liebevollen Ehemannes, und der junge Baron Hulot, von Kindheit an ein Bewunderer seines Vaters, in dem er einen der Paladine des großen Kaisers sah, war überzeugt, daß er seine eigene Stellung dem Namen, dem Range und dem Ansehen des Vaters zu verdanken hatte. Überdies pflegen Jugendeindrücke lange nachzuwirken. Er hatte die Ehrfurcht vor seinem Vater noch nicht verloren, und selbst wenn er die von Crevel enthüllten Seitensprünge geahnt hätte, würde er sie ehrerbietig übersehen und vom herkömmlichen Standpunkte der Männer in derlei Dingen entschuldigt haben.

      Die außergewöhnliche Anhänglichkeit der Baronin, dieser vornehmen schönen Frau, erklärt sich von selbst aus ihrer Lebensgeschichte.

      Im äußersten Lothringen, zu Füßen der Vogesen, waren zur Zeit der Aushebungen der jungen französischen Republik (1792) drei Brüder namens Fischer, alle drei einfache Landleute, zur sogenannten Rhein-Armee ausgehoben worden. Im Jahre 1799 vertraute der zweitälteste, Andreas, der verwitwete Vater der nachmaligen Baronin Hulot, sein Kind der Fürsorge seines ältesten Bruders Peter an, der im Jahre 1797 infolge einer Verwundung invalid geworden war. Andreas zeichnete sich bei einem besonders wichtigen Nachschubunternehmen aus und erwarb sich die Gunst des Armee-Intendanten Hulot von Ervy. Wie das ganz natürlich ist, lernte dieser bei einem Aufenthalt in


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