Böse ist der Mensch?. Ekkehard Wolf

Böse ist der Mensch? - Ekkehard Wolf


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blieb nicht mehr die Zeit, um sich darüber zu wundern. Das Erstaunen wurde überlagert von diesem völlig unbekannten, extrem intensiven Schmerz, den er noch verspürte, als die dreieckig geschliffene Klinge unmittelbar unterhalb der kleinen Rippen links in seinen Körper eindrang und ihm die Aorta durchtrennte. Dann wurde ihm schwarz vor Augen. Die zierliche junge Frau mit den langen blonden Haaren hatte dafür keine Kraft aufwenden müssen. Das Körpergewicht des Mannes, der sich auf sie stürzte, allein hatte dafür ausgereicht. Sie hatte lediglich das Messer so halten müssen, dass es an der gewünschten Stelle in den Körper des Mannes eintrat. Aber damit hatte sie inzwischen ja Übung. Schließlich war das nicht ihr erstes Opfer. Tatsächlich hatte die junge Frau diesen „Schlafplatz“ genau deshalb für ihren Beutezug ausgewählt, weil sie überzeugt davon war, hier unten allein und völlig unbeobachtet zu sein. Durchaus angeekelt schob sie den sterbenden Mann von sich, eilte dann die wenige Schritte zum Wasser, reinigte sich von dem Blut ihres Opfers, und trocknete sich gründlich ab. Ohne Hast bedeckte sie anschließend den Körper des Toten so mit ihrem Schlafsack, dass jeder fremde Beobachter den Eindruck gewinnen musste, hier habe sich ein müder Krieger zur Ruhe gelegt. Eilig schlüpfte sie danach in ihre eigene Kleidung und begab sich sodann zügig aber ohne Hast nach oben zu den Sachen des Mannes. Auf dem Weg dorthin kam ihr der kleine Reim in den Sinn, den ihr ihre Mutter schon vorgesungen hatte. Sie erinnerte sich nicht mehr so genau an den genauen Wortlaut, aber so oder ähnlich musste der gegangen sein. Röslein, Röslein, Röslein rot: du bringst dem Knaben stets den Tod. Die junge Frau durchsuchte gewissenhaft die Taschen der Ledermontur des Bikers, entnahm dort alles, was zur Identifizierung des Toten hätte geeignet sein können, ging die wenigen Schritte bis zum Motorrad ihres Opfers, setzte sich dessen Helm auf, startete die Maschine und machte sich auf zur nächsten Gelegenheit.

      Schutzengel

      Der junge Mann stand da und überlegte. Nachdenklich blickte er zum Himmel, konnte aber beruhigt feststellen, dass kein Wölkchen zu sehen war. Eigentlich hatte er spontan beschlossen, das Zelt doch besser nicht gerade hier aufzubauen, jedenfalls nicht heute, jedenfalls nicht unter diesen Bedingungen. Der junge Mann blickte in die Runde und rieb sich immer noch unschlüssig das Kinn. An sich hatte er sich genau diesen Platz ja extra ausgesucht, weil er so abgelegen war. Schließlich lag er auf einer kleinen Lichtung, umgeben von Bäumen, die nicht nur Schatten spendeten, sondern auch perfekt vor unerbetenen Blicken schützte. An sich spielte das zwar keine große Rolle, denn normalerweise verirrte sich ohnehin keine Menschenseele bis hierher. Aber abgesehen davon lag der Vorteil dieses Platzes auch darin, dass die Hintergrundgeräuschkulisse dazu beitrug, die Sorge vor etwaigen Lauschern abzubauen, die sich rein zufällig ausgerechnet in den kurzen Momenten in der Nähe hätten aufhalten können, in denen es im Zelt aus nachvollziehbaren Gründen nicht ganz so leise herging. Der Grund dafür war der kleine Wasserfall, den der Fluss nur knapp fünfzig Meter weiter unten überwinden musste. Er wusste natürlich, dass die Mädchen meist ein wenig Mühe hatten, sich auf die schönste Sache der Welt zu konzentrieren, wenn sie das Gefühl hatten, von irgendjemandem beobachtet zu werden. Sie waren dann immer irgendwie ein wenig gehemmt und dann machte das alles natürlich nicht mehr so viel Spaß. Das Mädchen, das er sich in dieser Nacht vorzunehmen gedachte, war da vermutlich nicht viel anders aufgelegt. Hinzu kam, dass der kleine Fluss direkt hier noch ganz gemächlich vor sich hin floss. Der Abstieg vom Ufer verlief so sacht, dass es selbst in etwas angeheiterter Stimmung kein Problem darstellen würde, hinterher ein kleines Erfrischungsbad zu nehmen und sich von all dem Schmutz und Blut zu reinigen. Der junge Mann hatte sich diesen Platz also wie gesagt ganz bewusst ausgesucht und sich schon die ganze Woche auf das gefreut, was er sich für diese Nacht vorgenommen hatte. Die Vorfreude war noch dadurch verstärkt worden, dass er sich immer wieder dabei ertappte, wie ihn seine Phantasie dazu verführte, sich sehr konkret auszumalen, wie er die Nacht mit seiner neuen Freundin an diesem Samstag hier auf dieser kleinen Lichtung verbringen würde. Als dann ausgerechnet an diesem Tag die Motorradgang ausgerechnet in ihrer ziemlich unmittelbaren Nähe aufgetaucht war, war ihm von Anfang an nicht sonderlich wohl gewesen. Immerhin hatten sich diese Rocker von Anfang an genauso verhalten, wie man das so gemeinhin von Rockern erwartet. Ihre Scheißmusik hatten sie gleich nach ihrer Ankunft übel laut aufgedreht und auch sonst entsprach ihr Auftreten zu hundert Prozent dem, wie Rocker sich so aufzuführen pflegen. Nachdem sie ihre schweren Ledermonturen abgelegt hatten, kamen Körper zum Vorschein, die mit Tätowierungen noch und nöcher bestückt waren. „Vertrauenerweckend sieht anders aus“, hatte sich der junge Mann klar gemacht, anfangs aber doch noch gehofft, die Brutalos würden sich im Laufe der Zeit dann schon noch wieder verziehen. Aber weit gefehlt. Als sich zu den anfangs zwölf Typen auch noch zwei Bräute gesellten, war ihm schnell klar gewesen, dass der ganze furchterregende Verein die Absicht hatte, hier ebenfalls sein Zelte aufzuschlagen. Der junge Mann musste sein Vorstellungsvermögen nicht sonderlich strapazieren, um sich eine Geschichte auszudenken, mit der es ihm gelingen würde, die Neue davon zu überzeugen, das Zelt für diese Nacht heute doch besser nicht ausgerechnet hier aufzustellen. Wie in einem Film vermochte er sich ohne Mühe vorzustellen, wie diese ganze Bande die Dunkelheit der Nacht nutzen würde, um notgeil wie sie war, ihn und seine Freundin zu überfallen, um dann das zu machen, was Rocker bekanntlich zu machen pflegten, wenn sie sicher sein konnten, dass ihre Opfer keine Chance haben würden. Die beiden Bräute würden dabei vermutlich sogar noch behilflich sein. Aber auf jeden Fall kaum auf die Idee kommen, ihre Kumpel daran zu hindern, genau all das zu machen, was sich diese Macker nun mal vorgenommen hatten. Als die dann auch noch anfingen, das Bier gleich kistenweise in sich hinein zu schlürfen, war er endgültig sicher, dass diese Nacht anders verlaufen würde, als er sich das vorgestellt hatte. Diese Perspektive hatte ihn nicht zuletzt auch deshalb total genervt, weil er in den Tagen zuvor sehr sorgfältig all die netten kleinen Utensilien zusammengelegt hatte, von denen er sicher war, dass sie dazu beitragen würden, seine neue Freundin und ihn in die gewünschte Stimmung zu versetzten. Dazu gehörte der kleine Gaskocher ebenso wie die alte Petroleumfunzel, die dieses einmalige, romantische Licht verbreitete. Dazu hatte natürlich auch gehört, die Luftmatratzen auf Dichtigkeit zu testen, die Bestecke und das Geschirr zu reinigen und die Gläser zu besorgen, aus denen er mit seiner Freundin den Wein genießen würde, der dazu beitragen würde, auch bei ihr die letzten kleinen Besorgnisse wegen etwaiger ungebetener Zuhörer zu zerstreuen. Selbstverständlich hatte er auch an die Angel gedacht und sich vergewissert, dass er die Ersatzschnur für die „etwas größeren Fische“ dabei hatte. Soweit hatte also alles gepasst. Aber genau dieses Gefühl der Sicherheit würde sich ja jetzt ganz sicher nicht einstellen. Das war ihm vom ersten Moment an klar gewesen und deshalb hätte er es wirklich vorgezogen, ganz einfach hier das Zelt abzubrechen und statt dessen irgendwo anders zu campen – egal wo, nur hier eben nicht. Aber daraus war nun einmal nichts geworden. Zu seiner Überraschung hatte seine kleine, furchtsame neue Freundin, ihn mit ihrem typisch befremdeten Gesichtsausdruck angesehen, als er es gewagt hatte, ihr seine Besorgnisse zu unterbreiten. „Vorurteile?“ Nur dieses eine Wort hatte sie ihm etwas unwirsch entgegen gehalten und damit klar gemacht, dass sie seine Befürchtungen nicht zu teilen bereit war. Aber so war sie nun einmal. Er wusste das natürlich. Aber das änderte nichts daran, dass er sich all die schönen Details abschminken konnte, die er sich für den Verlauf der Nacht so lebhaft ausgemalt hatte. Das wurmte ihn zwar gewaltig, aber er hatte sich notgedrungen dazu durchgerungen, gute Miene zum bösen Spiel zu machen. Die zweite Angelschnur hatte er daher folglich gar nicht erst ausgepackt. Bei nächster Gelegenheit würde sich für ihn eine neue Chance ergeben, um seiner Phantasie freien Lauf zu lassen. Im Stillen ärgerte er sich aber massiv darüber, dass seine junge Begleiterin ausgerechnet solche Schutzengel auf ihrer Seite hatte.

      Racheengel

      Der mittelgroße Mann mit dem Audi hatte die Autobahnraststätte an diesem Nachmittag bereits zum zweiten Mal angefahren. Wenige Minuten zuvor war er schon einmal zum Tanken hier gewesen, hatte aber die beiden Anhalterinnen zu spät registriert, um noch unauffällig halten zu können. Er hatte sich über sich selbst geärgert. Eigentlich fuhr er diese Strecke ziemlich regelmäßig ab, eben weil es um diese Zeit recht häufig vorkam, dass sich eine Anhalterin hierher verirrte. Gleich zwei zu übersehen, war ihm noch nie passiert. Er hatte sich daher beeilt und gleich die kommende Abfahrt genutzt, die Autobahn verlassen und war auf der


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