Der Junge mit dem Feueramulett - Die Schule der Alchemisten. Frank Pfeifer

Der Junge mit dem Feueramulett - Die Schule der Alchemisten - Frank Pfeifer


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      Tsarr betrachtete die Vampyrin, die vor einem mit Blutrinnen durchsetzten Altar stand. Tsarr erschrak. Wie schön sie ist, dachte sie. Die Priesterin war jung. Hohe Wangenknochen und große, dunkle Augen unter geschwungenen Augenbrauen dominierten die ebenmäßigen Gesichtszüge. Nur ihre ledrigen Schwingen und ihre krallenförmigen Hände trübten für Menschenaugen diesen Anblick, der Tsarr verbittert an die eigene Vergänglichkeit denken ließ. Außerdem waren die Ns so wie Tsarrs Familie eine der großen, alten Goiba-Dynastien. Der Respekt, den sich die beiden Priesterinnen entgegenbrachten, war nicht nur reine Formsache, sondern entsprang alter und tiefer Überzeugung der eigenen Überlegenheit.

      »Goiba über alles.«

      Ihre Tradition und ihre Treue zur Göttin von Tod und Kälte hatte diese beiden Frauen zusammengeführt, hatte sie Konkurrenz und Eifersucht für diesen Moment vergessen lassen.

      »Goiba für immer, werte Tsarr.« Die Stimme der Vampyrin war durch und durch menschlich. Dunkel, warm und doch irgendwie bedrohlich. »Die Ratten bestätigen es.«

      Also stand es nicht nur in den Gedärmen der Katzen, die Tsarr opferte, um die Zukunft zu deuten, sondern auch im Gekröse der Ratten, die die Vampyre für die gleichen Zwecke schlachteten.

      Ich habe mich also nicht geirrt, dachte Tsarr. Leider.

      Aus der grünen Dunkelheit löste sich nun ein Schatten und trat an den Altar neben Ns’frta. Der Vampyr.

      »Ich habe Laltan bereis von dem Auftrag erzählt.«

      Tsarr spürte sofort, dass dieses Wesen genau das Richtige für die Aufgabe war, die sie ihm zugedacht hatte. Laltan, der im gesamten Reich nur als ›Der Vampyr‹ bekannt war, der Oberste Assassine des Reiches, strahlte eine Kälte aus, die selbst Tsarr beeindruckte. Dieses Wesen würde nicht versagen. Nicht wie dieser tölpelhafte Laoch.

      Auf den ersten Blick unterschied das Wesen sich nicht von seinen Artgenossen. Die Haut des menschenähnlichen Gesichtes war ledrig und durchfurcht von tiefen Falten, die fast schwarzen Lippen schmal und zusammengepresst, so dass man die scharfen, spitzen Zähne nicht sehen konnte. Vampyre waren etwas größer als Menschen, aber erst wenn sie ihre Schwingen ausbreiteten wurde man dessen gewahr. Hatten sie ihre Flügel angelegt, wirkten diese wie Arme, an dessen Ende sich scharfe, lange Klauen zeigten, die in Bruchteilen eines Wimpernschlages ihren Opfern die Kehle aufschlitzen konnten. Sie waren mit leichtem, eng anliegendem Stoff bekleidet, der sie fast wie Menschen aussehen ließ. Aber jeder, der einen Blick in ihre gelben, geschlitzten Augen geworfen hatte, die an die hungrige Miene eines Reptils erinnerten, ahnte, dass diese Wesen nichts Menschliches an sich hatten.

      Laltan war den anderen Wesen Haragors als der grausamste aller Vampyre bekannt, eine furchteinflössende Legende. Ein Wesen so schwarz und gnadenlos, so ganz ein Wesen Goibas, dass es von Natur aus eine abgrundtiefe Abscheu gegen alles hatte, was mit der Magie Branus daherkam. Der perfekte Killer, um den Jungen aufzuspüren und zu töten.

      Der Vampyr kniete nieder vor der Obersten Goiba-Priesterin von Haragor. Da spürte sie es. Dieses Ungleichgewicht, diesen Verrat an der Natur. Angewidert trat sie einen Schritt zurück.

      »Deine Mutter war ein Flughund?«

      Ein Bastard, unrein, ein Wesen wider die Gesetze der Götter. Ns'frta legte ihrer Priesterschwester beruhigend die Kralle auf die Schulter.

      »Daher kann er es auch lange unter den Strahlen der Sonne aushalten, ohne wie wir echten Vampyre davon nach einiger Zeit zu erblinden. Aber sonst ist er einer von uns, ein Vampyr und treuer Goiba-Diener, das verspreche ich dir.«

      Tsarr nickt. Ns'frta hatte recht. Die Götter wählten ihre Werkzeuge so, wie sie sie brauchen. Trotzdem durchlief eine Welle von Ekel und Abscheu ihren Körper. Dann näherte sie sich dem Vampyr erneut und legte ihm die Hände auf das Haupt. Sie begann, unverständliche Worte zu murmeln, unverständlich für alle, die der magischen Sprache Goibas nicht mächtig waren. Alles, was sie über den Jungen wusste, pflanzte sie nun in das Gedächtnis des Vampyrs. Er atmete tief, verkrampfte sich, schüttelte sich und grunzte unkontrolliert. Eine Abwehrreaktion auf so viel Branu-Vergiftung, die er in diesem Moment aufnehmen musste. Nach wenigen Sekunden war das Ritual vorbei und der Vampyr erhob sich wieder. Im grünen Licht ihres Nachtsichtzaubers konnte Tsarr nicht wirklich erkennen, ob es Hass oder Ekel war, welche die Miene des Vampyrs verzerrte. Und sie selbst hoffte, dass sie mit der Wahl des Vampyrs keinen Fehler gemacht hatte.

      »Hiermit kannst du immer Kontakt mit mir aufnehmen.«

      Aus den Tiefen ihrer Robe hatte Tsarr zwei Mini-Obsidiankugeln herausgezogen, eine Erfindung, die noch von Davischi, dem letzten Bauherren der Drachenkönige, stammte und magische Fernkommunikation ermöglichte.

      Die Oberste Goiba-Priesterin reichte eine der Kugeln dem Vampyr und berührte sanft ihre eigene, die bläulich zu leuchten begann. Im Dunkeln der Höhle zeigte das sanfte Licht eine ungeahnte Intensität. Geblendet wichen die beiden Vampyre zurück. Über der Kugel des Vampyrs erschien nun die blaue Aura von Tsarr, eine verkleinertes Abbild der Priesterin, das pulsierte, als ob es ein eigenes Herz hätte. Erstaunt hielt der Assassine die Kugel weit von sich.

      »Um mich zu erreichen, musst du diese magischen Worte sagen, merke sie dir gut.« Tsarr beugte sich vor und flüsterte dem Vampyr die geheime Formel ins Ohr. Demütig nickte das Höhlenwesen, während sich die Worte tief in sein Inneres fraßen. Die Oberste Priesterin von Goiba betete zu ihrer Göttin, dass der Vampyr seinen Auftrag erfüllen würde. Ein nochmaliges Scheitern konnte ungeahnte Folgen haben.

      *

      Mit aller Macht ließ Kard den Schmiedehammer auf den Latrinenauskratzer herunterkrachen. Er riss den schweren Hammer mit einem gewaltigen Ruck über seinen Kopf, bog dabei leicht das Rückgrat nach hinten, gerade so, dass er genug Schwung bekam, um den Hammer erneut mit aller Macht auf das Werkstück auf dem Amboss vor ihm zu schmettern. Kard war wütend. Der helle Schrei, der beim Kampf der Metalle entstand, stieß wie ein Messer durch seine Ohren direkt in seine Wut und stachelte ihn nur noch an. Erneut hob er den Hammer. Und diesmal kam aus seiner Kehle ein gepresster Schrei, der sich mit dem Klang des Metalls vermischte.

      »Yo, mach das Ding platt!«

      Madad stand in der Tür der kleinen Schmiede in Truk und sah seinen Freund grinsend an. Kard wandte nur kurz den Kopf beiseite, presste die Lippen zusammen, nahm den Latrinenauskratzer und hievte ihn hinüber ins Abkühlbecken. Schnell stieß er das Eisen in die dunkle Flüssigkeit, als ob erneut ein Ogul zu erledigen wäre. Das Wasser zischte, eine Dampfwolke bildete sich über dem Becken und hüllte Kard in weichen Nebel. Als er das Werkzeug wieder herausholte, fiel sein Blick auf sein Spiegelbild, wie es in den Wellen des Wassers sich verzerrte und hin und her geschleudert wurde.

      Kard betrachtete diese Erscheinung im Wasser, als ob etwas Fremdes, Unbekanntes ihm entgegenblicken würde. Tatsächlich erkannte er sich nicht selbst in diesem verzerrten Abbild auf der Wasseroberfläche. Ein wenig mehr Muskeln hatte er in den letzten Wochen hier in Truk bekommen. Ein schlaksiger Junge mit dunklen, lockigen Haaren, der ihn jetzt mit ausdrucksloser Miene und leerem Blick anstarrte.

       Wer ist das? Wer bin ich?

      Nach dem Tod von Wallas, seinem alten Lehrmeister und Ziehvater, hatte sich eine gewaltige Leere in ihm breitgemacht. Er schwamm in einem dunklen See tief in seinem Innern. Nirgendwo war ein Ufer zu sehen. Er war so müde, dass er immer wieder vergaß zu schwimmen und sich in den Abgrund saugen ließ. Hätte Madad ihn nicht ab und zu kräftig in die Waden gebissen, wer weiß, vielleicht würde er immer noch am Fuß des Branubrabat sitzen? Inzwischen wäre er nur noch ein Gerippe, umringt von unsichtbaren Chameliten, diesen Anpassungskünstlern des Dunklen Waldes.

      Irgendwie hatte ihn Madad nach der Schlacht am Branubrabat bis nach Truk getrieben, der kleinen Stadt ganz im Westen der Hochebene von Asch-by-lan. Ein Ort, an dem ihn niemand kannte. Ihn, Kard, den Verräter, der das magische Schwert zerstört hatte.

      Die Gefolgsleute hatten sich nach dem Sieg über Laoch und den Ogul in alle vier Winde zerstreut. Kustos, der gutmütige Magier und Baumwächter, war zu seinem gemütlichen Wohnbaum aufgebrochen. Die Credna-Priesterin Nanda, Tsarkoik, der Erzhändler,


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