Wolken klingen rosa. Katrin Meyer

Wolken klingen rosa - Katrin Meyer


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Inmitten quengelnder Kinder an der Hand genervter Mütter. Geschäftsreisende drängeln sich durch die Masse ankommender Fahrgäste um ihre Anschlusszüge zu erreichen und aus den Imbissbuden wabert der Geruch ranzigen Fettes. Undeutliche Durchsagen an den Bahnsteigen und das Gewicht des eigenen Gepäcks führen dazu, dass ich mich sofort wieder überfordert fühle und alles wird von meinem Gehirn als besonders bedrohlich interpretiert. Jetzt heißt es, Ruhe bewahren. Auch ich muss meinen Anschluss erreichen um nicht stundenlang auf den nächsten warten zu müssen, aber zuvor muss ich mich erst einmal orientieren, wo ich überhaupt angekommen bin.

      Zum Glück habe ich genügend Zeit, das Gleis zu wechseln. Mühelos erreiche ich die Regionalbahn und finde auch schnell einen Sitzplatz. Zügig verstaue ich mein Gepäck um weitere Fahrgäste nicht zu behindern. Ein paar tiefe Atemzüge, ein Blick aus dem Fenster und ein Schluck Wasser. Das müsste reichen um den Alarmzustand in meinem Körper wieder herunter zu regeln.

      In der Ferne kann ich bereits schemenhaft den Umriss der Berge erkennen. Wieder spüre ich das Herz in meiner Brust. Dieses Mal aber vor Freude. Ich kann es kaum erwarten anzukommen und ich spüre, wie sich in jeder meiner Zellen ein Lächeln formt.

      Um diesen malerischen Anblick ein wenig zu unterstreichen, setze ich meine Kopfhörer auf und stelle leise Musik an. Leider wird dieser wunderbare Moment durch eine ankommende WhatsApp Nachricht unterbrochen:

      “Hsllo Svhatz! wo bist du? Geht es dit gut” Typisch Sascha! Offensichtlich schreibt er die Nachricht wieder multitasking. Beim Anblick der Worte muss ich schmunzeln.

      “Danke Schatz, mir geht es gut. Ich bin gerade in München umgestiegen und abgesehen von meinem durchgesessenen Hintern freue ich mich auf die erste zünftige bayerische Mahlzeit!” Ich füge noch ein lächelndes Smiley hinzu und drücke auf senden.

      Da Sascha online ist, lässt die Antwort nicht lange auf sich warten.

      “Meib spatzl in der grossen weitwn welt!”

      Wieder amüsiere ich mich über die grauenhafte Rechtschreibung, dann antworte ich ihm noch kurz, dass ich mich melden werde, sobald ich angekommen bin.

      “Bussi!”

      “Bussi!”

      Sascha liebt seine Freiheit. Genauso wie ich. Vielleicht ist das der Grund, warum er sein Hobby zum Beruf gemacht hat. Seitdem ich ihn kenne, liebt er es, Modellflugzeuge zu bauen. Fliegen sei für ihn der Inbegriff der Freiheit, sagte er einmal. Und jetzt schraubt er mit derselben Leidenschaft an echten Flugzeugen herum und träumt davon, irgendwann einmal in leitender Position zu sein. Immer wenn wir einen gemeinsamen Spaziergang im Naturschutzgebiet am Rande des Hamburger Flughafens machen, schaut er sehnsüchtig startenden Flugzeugen nach und manchmal, wenn einer seiner “Patienten”, wie er sie liebevoll nennt, über unseren Köpfen gen Himmel klettert, erklärt er mir ganz aufgeregt, dass er bei der Inspektion des Leit – und Steuerwerks dabei war. Selbstverständlich zählt er mir bis ins kleinste Detail alle Daten der Maschine auf, bis mir ganz schwindelig wird vor lauter Informationen.

      Während es für ihn immer selbstverständlich war, in einem Team zu arbeiten und er nach Feierabend noch gerne mit seinen Kollegen ein Bier trinken geht, brauche ich nach einem anstrengenden Arbeitstag etwas zu Essen und meine absolute Ruhe. Dass ich mir ein paar Tage Auszeit genommen habe, gab uns beiden nie einen Anlass zur Diskussion. Er gönnt mir meine Freiheit ebenso wie ich ih

      Bad Reichenhall empfängt mich mit Sonnenschein. Es ist kühl aber nicht zu leugnen, dass endlich der Frühling im Anmarsch ist.

      Ich bin erschöpft aber glücklich, beseelt von dem Anblick der Berge, die nun zum Greifen nah scheinen. Ich sauge die frische Luft ein, trinke sie förmlich und brauche eine Weile um zu verstehen, dass ich wirklich hier bin. Vor mir liegen drei Wochen ganz für mich alleine. Ich werde viel schlafen, spazieren gehen, lesen und mich treiben lassen. Der Anblick dieser vollkommenen Schönheit der Natur wird mir jeden neuen Morgen die Erfüllung sein.

      Das kleine Hotel liegt in unmittelbarer Nähe des Kurparks. Das Zimmer ist schlicht eingerichtet, aber gemütlich, sauber, hell und ruhig. Genauso wie ich es mag. Unruhige Muster von Tapeten oder grelle Farben würden mich wahrscheinlich wieder nur nervös machen. Am liebsten würde ich mich jetzt einfach auf das große Bett fallen lassen, prüfen ob es weich genug ist, und dann einfach nur schlafen. Ich habe nicht das Bedürfnis zu reden oder jemandem zu begegnen, aber ich habe versprochen, Sascha anzurufen, wenn ich angekommen bin. Dass es mich ein klein wenig Überwindung kostet, dies zu tun, löst sofort wieder einen Alarm in meinen Gedanken aus.

      “Hallo Schatz, ich bin gut angekommen! Es ist soooo schön hier!”

      Müsste jetzt nicht eigentlich kommen, wie schön es wäre, wenn er jetzt auch hier ist? Wäre das tatsächlich schön?

      “Das freut mich, mein Spatzl,” versucht Sascha in einem gequälten bayerisch zu erwidern.

      “Hast du die lange Fahrt gut überstanden?”

      Jetzt fehlt nur noch, dass er mich nach der Wetterlage fragt und ob ich genügend warme Kleidung mitgenommen habe. Im Geiste verdrehe ich die Augen.

      “Naja, es war schon anstrengend, aber in meinem Abteil war es schön leer, ich habe zwischendurch immer wieder geschlafen. In München war es hektisch, aber das habe ich ja schon erwartet. Großstadt eben...”

      Ich ertappe mich dabei, wie ich tatsächlich mit den Augen rolle.

      “Aber mein Anschluss ging pünktlich,“ füge ich noch schnell hinzu.

      “Und jetzt bist du ganz fasziniert von der Landschaft, richtig?”

      Warum hat er nicht “gell” gesagt?

      “Und wie!” bestätige ich aufgeregt.

      “Dann genieße deine Auszeit und erhol´ dich gut. Hast es verdient!”

      Seiner sanften Stimme entnehme ich, dass er mir meine Pause vom Alltag wirklich gönnt und ich mich nun um mich selbst kümmern darf. Warum also dieser Anflug von schlechtem Gewissen? Als ich spüre, dass er mir nun doch ein klein wenig fehlt, bin ich erleichtert.

      Wir versichern uns noch einige Male, dass wir uns liebhaben, dann legen wir auf.

      Wieder muss ich dem Impuls, mich unter der Bettdecke zu verkriechen und zu schlafen, widerstehen, denn mein Magen meldet sich. Eine wirklich vernünftige Mahlzeit hatte ich heute auch noch nicht, und ich könnte mir gleich ein Bild von der Umgebung machen. Selbstverständlich nur ein kleines!

      Nachdem ich mich ein wenig erfrischt und die Kleidung gewechselt habe, fühle ich mich gleich etwas wohler. Meine Sachen würde ich in Ruhe später auspacken. Mich beschleicht ein leises Gefühl von Gelassenheit. Zu Hause wäre ein Koffer mit lauter Zeug drinnen undenkbar. Ich spiele noch kurz mit dem Gedanken, ein paar Socken quer über dem Bett zu verteilen, aber das wäre für meinen Geschmack doch etwas zu übermütig.

      Obwohl die Fußgängerzone im Ort noch gut besucht ist, verspüre ich keine Hektik. Weder in mir, noch in den Menschen. Die Uhren ticken hier anders. Ich weiß, warum ich dieses Ziel gewählt habe. Eine Woge der Freundlichkeit umspült mich und mir gelingt es, Blickkontakt mit den Passanten aufzunehmen. Eine Fähigkeit, die ich zu Hause an den wenigsten Tagen besitze. Meine Schritte werden immer langsamer, immer leichter und gelöster. Ich finde eine kleine, einladende Gaststube, habe aber noch gar nicht das Bedürfnis, einzukehren. Ich möchte am liebsten immer weiter gehen.

      Vom Gradierhaus weht eine frische Brise Alpensole herüber, die an tausenden von Schwarzdornbündeln herabrieselt. Davor sprudelt ein prachtvoller Springbrunnen, dessen Anblick mich tief beeindruckt. Einen Moment lang bleibe ich stehen, schließe die Augen und atme die salzhaltige Luft in tiefen Zügen ein, bis ich ein klein wenig husten muss. Ich fühle mich so wohl, so geborgen, so in mir ruhend, dass ich weinen möchte. Wann ich das letzte Mal einen solchen Moment der absoluten Freiheit und Leichtigkeit in mir spürte, weiß ich nicht. Ich gehe ganz in ihm auf und möchte ihn am liebsten für immer festhalten.

      Nachdem ich eine Weile dieses herrliche Gefühl


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