Die Krone gegen Penguin. Walter Brendel
20. Oktober 1960 vor einem Londoner Geschworenengericht eröffnet. 12 Geschworene sind per Los ermittelt worden. Sie haben nun darüber zu entscheiden, ob die Zensur aufgehoben wird oder nicht.
Die entscheidenden Momente sind erhalten geblieben, die zeugen von einem aufschlussreichen Verfahren.
Erster Verhandlungstag. Die Anklage hat das Wort
Mervyn Griffith-Jones, der königliche Ankläger, ergreift das Wort:
„Verehrte Geschworene, es geht um Lady Chatterley, eine junge Frau, deren Ehemann Clifford im Ersten Weltkrieg verwundet wurde. Er kam heim, verkrüppelt und impotent. Ich lade Sie ein zu bestätigen, dass das in der Tat ein Buch ist, das beschreibt, wie diese Frau, des Geschlechtsverkehrs mit ihrem Ehemann beraubt, ihr sexuelles Verlangen befriedigt, so wie ein sexhungriges Mädchen ihren Hunger stillt, mit einem besonders sinnlichen Mann, der sich als der Wildhüter ihres Mannes erweist.
Und dann gibt es die Passagen mit Geschlechtsverkehr. Es gibt 13 Sex-Passagen in diesem Buch. Der Vorhang ist nie zugezogen. Man folgt ihnen nicht nur bis ins Schlafzimmer, sondern bis ins Bett und bleibt dort bei ihnen.
Sex, verehrte Geschworene, wird bei jeder Gelegenheit eingebaut.“
Der Staatsanwalt fuhr fort:
„Verehrte Geschworene!
Diese Dinge werden normalerweise nicht ausgesprochen in diesen Gerichtssaal. Aber wenn sie den Hauptanklagepunkt bilden, dann verehrte Geschworene, ist es unvermeidlich sie auszusprechen. Gewisse Wörter – und wann wird einwenden, es seien gute alte, angelsächsische Wörter – tauchen immer wieder auf. Das Wort „ficken“ erscheint nicht weniger als dreißig Mal. Ich habe sie gezählt, ohne Garantie auf Vollständigkeit. „Möse“ vierzehn Mal. „Eier“ dreizehn Mal. „Scheiße“ und „Arsch“ jeweils sechs Mal. „Schwanz“ viermal, „pissen“ drei Mal und so weiter.“
***
Wir haben es also hier mit einer heißen außerehelichen Beziehung zwischen einer frustrierten Aristokratin und einem selbstbewussten Proletarier zu tun. Darauf reduziert der Staatsanwalt, Sprachrohr des Staates, Lady Chatterleyn Liebhaber. Mehr hat er zu dem einfühlsamen, wie sinnlichen Roman, über dieses amouröse Dreieck im England der zwanziger Jahre nicht zu sagen. Zu der Geschichte von Lady Chatterleyn, einer jungen freien Frau auf der Suche nach ihrem Leben.
Von Clifford, ihrem Mann, einen herrsüchtigen, gelähmten und impotenten Aristokraten und von Oliver Mellors, dem Wildhüter, Mann der Wälder, ihren Liebhaber und Komplizen.
Diesem Buch wollte Lawrence ursprünglich einen anderen Titel geben, „Zärtlichkeit“. Es ist furchtbar, wenn man als Schriftsteller nicht verstanden wird, die Rezeption des Buches in die Irre geht. Es kommt dann zu einen völligen Missverständnis, als wäre das Buch in der falschen Sprache geschrieben. Man hat so den Wald vor lauter Bäumen nicht gesehen. Der Baum, das sind die erotischen, sinnlichen, fleischliche, manchmal wollüstige Erinnerungen. Das ist alles bedeutsam und Lawrence kann seinen Lesern nicht vorwerfen, dass sie manchmal in Erregung geraten sind, beim Lesen. Genau das passiert mal. Er kann den Leser nicht vorwerfen, dass er ein Beben der Erregung verspürt, aber das ist ein Missverständnis und es wäre ein großer Fehler, Lady Chatterleyn Liebhaber auf eine Reihe von Liebesabenteuern zu reduzieren. Das wäre genauso, als würde man behaupten, dass Romeo und Julia eine Geschichte über das Erklettern von Balkonen wäre oder Don Quichotte eine Anleitung zur Eroberung von Windmühlen.
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