Schattensamt. Klara Chilla

Schattensamt - Klara Chilla


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Bericht wissen, wie du hierhergekommen bist. Aber wenn du bei deiner Geschichte bleibst ...«, er zuckte mit den Schultern, » … dann werde ich es so in meinen Bericht schreiben. Einen schönen Tag noch.« Damit tippte er grüßend, gegen den Schirm seiner Dienstmütze, stieg in sein Auto und fuhr davon. Fearghas und Adam sahen ihm nach, dann gingen sie in ihr Haus, ohne mich zu beachten.

      War er wirklich am Abend eine Strecke geschwommen, für die man mit dem Boot bereits dreißig Minuten brauchte? Das würde zumindest erklären, warum er gestern vollkommen durchnässt war und vielleicht auch seine Wut. Nachdenklich ging ich ins Haus.

      *

      Den Rest des Tages bekam ich Fearghas nicht mehr zu Gesicht. Auch als wir später am Abend wieder zum Anleger gingen, weil mein Vater und mein Bruder dort noch angeln wollten, war er weit und breit nicht zu sehen. Also setzte ich mich dort auf eine Bank, die im Schatten eines großen Baumes stand, und holte mein Buch heraus. Inzwischen hatte sich herausgestellt, dass der Held des Buches eine Art Wassermann war, der natürlich schwimmen konnte wie ein Fisch. Nachdenklich sah ich auf das Wasser und versuchte mir Fearghas als Meermann mit Fischschwanz vorzustellen, mit dem er locker die größten Wellen durchpflügte.

      »Na, von wem träumst du denn?«

      Die Stimme meiner Mutter holte mich aus meinem Tagtraum zurück. Ich kicherte verlegen und schüttelte den Kopf. Doch meine Mutter warf einen Blick auf das Buch in meiner Hand. Sie hatte es vor mir gelesen und nickte lächelnd.

      »Hier könnte man sich wirklich einen Wassermann vorstellen. Wenn nicht hier, wo dann?« Dann holte sie ein Blatt Papier hervor, auf dem ein kleiner Teil des Lochs aufgezeichnet war, genauer gesagt, die nähere Umgebung des Hafens.

      »Adam hat uns diese Karte gezeichnet, damit wir morgen eine Bootstour machen können.« Sie fuhr mit der Fingerspitze einmal über die Karte und tippte auf ein paar kleinere Inseln. »Dort gibt es ganz viele Seehunde, und hier ist wohl das Boot von Fearghas und seinen Freunden umgekippt.« Jetzt fuhr sie den ganzen Weg auf der Karte wieder zurück bis zu unserer Bucht. »Er ist also einen erstaunlich langen Weg zurückgeschwommen. Da kann man schon mal an Wassermänner glauben, nicht wahr?« Ihre blauen Augen blitzten begeistert. Meine Mutter liebte solche Ideen und hatte mir erzählt, dass sie sogar fest an die Existenz von Nessie glaubte.

      Skeptisch sah ich in die Richtung, in der die Inseln liegen mussten, die aber von hier nicht zu sehen waren, zum Teil, weil sie von der gegenüberliegenden Insel verdeckt wurden. Ich konnte mir schon kaum vorstellen bis zum anderen Ende der Insel zu schwimmen, geschweige denn weiter.

      »Vielleicht ist er aber auch nur von hier«, ich deutete auf die Inseln der Seehunde, »bis zu der Insel dort geschwommen. Dann ist er über die Insel gelaufen und nur wieder den Rest zu unserem Anleger herüber?«

      »Wäre trotzdem noch weit, findest du nicht?«

      »Es gibt keine Wassermänner, weißt du?«, sagte ich und sah sie zweifelnd von der Seite an. Ich war mir nicht sicher, wie ernst es ihr war. »Vielleicht ist er einfach nur ein guter Schwimmer. Hast du mal seinen Oberkörper gesehen? Er sieht aus wie einer dieser Olympiaschwimmer.«

      »Ja, habe ich. Ich bin zwar viel älter als du, aber blind bin ich deswegen noch nicht.« Sie zwinkerte mir vergnügt zu und scheuchte mit ihrem Buch eine lästige Mücke davon. Ich warf einen erstaunten Blick auf den Titel. »Mein Herz für den Hochländer?«, fragte ich. Sie las zwar auch gerne Geschichten, die im Urlaubsland spielten, aber Kitschromane gehörten normalerweise nicht dazu.

      »Es ist furchtbar«, gestand sie grimmig. »Aber jetzt lese ich es auch zu Ende.« Damit schlug sie es auf und begann zu lesen. Ich beobachtete sie dabei, wie ihre Augen über die Zeilen huschten und sie dabei immer wieder den Kopf schüttelte und die Augen verdrehte. Dennoch las sie Zeile um Zeile tapfer weiter und vergaß mich und die leidigen Wassermänner.

      *

      Lustlos trabte ich meiner Familie am Morgen unseres dritten Tages hinterher. Adam hatte meinen Eltern eine Bootstour empfohlen, die an den Seehundinseln vorbeiführte. Mit etwas Glück sollten wir auch Schweinswale sehen können, die mit der Flut den Makrelenschwärmen ins Loch hinein folgen sollten. Da ich nicht wusste, was ich sonst hätte tun sollen und mich die Aussicht auf ein paar niedliche Seehunde schon lockte, hatte ich mich nach einigem Hin und Her doch noch dazu durchgerungen, mitzufahren.

      Als wir bei den Inseln ankamen, lagen dort unzählige Seehunde mit ihren Jungtieren, die sich augenblicklich ins Wasser stürzten, wenn wir zu nahe kamen. Verzweifelt versuchte ich, brauchbare Fotos mit meinem Handy zu schießen, was bei diesem Wellengang, wenn auch kaum einer da war, so gut wie unmöglich schien. Meine Mutter tippte mich an und zeigte auf die Insel, die in meinem Rücken lag. Während mein Vater und Finn sich gemeinsam aufstellten und unter leisem Gelächter aus dem Boot pinkelten, flüsterte sie:

      »Hier ist das Boot gekentert. Kannst du dir vorstellen, das Fearghas dort rüber geschwommen ist? – Also, wenn ihn kein Boot mitgenommen hat, halte ich es doch bei stürmischem Wetter eher für unwahrscheinlich.«

      Ich folgte dem Blick meiner Mutter. Sie hatte Recht. Die hauptsächlich aus grauen Felsen bestehende Insel war schon für einen Schwimmer ganz schön weit. Und Fearghas beharrte darauf, dass er sogar noch weiter geschwommen war. Ich verstand die Zweifel meiner Mutter und die der Polizei. Dennoch sagte ich:

      »Er ist halt ein durchtrainierter Schwimmer und kennt die Gewässer.«

      Meine Mutter winkte wortlos ab. Das Thema schien damit, vorerst für sie beendet zu sein. Finn und mein Vater hatten sich zwischenzeitlich wieder gesetzt und die Angeln ausgeworfen, die wir im Schlepp hinter uns herzogen. Die beiden hatten die Hoffnung, so unser Abendessen fangen zu können, doch leider vergeblich!

      »Da!«, schrie meine Mutter plötzlich hysterisch und zeigte fuchtelnd hinter unser Boot. »Schweinswale!«

      Einige Meter entfernt tauchten immer wieder die kurzen runden Rücken der doch recht kleinen Tiere auf und bescherten uns eine mittlere Panik. Wir konnten unser Glück kaum fassen, tatsächlich auch noch Schweinswale zu sehen. Als sie so schnell wieder verschwunden waren, wie sie aufgetaucht waren, tuckerten wir rundum zufrieden wieder nach Hause; wenn auch leider ohne Abendessen.

      Schon von weitem konnte ich Adam erkennen, der auf dem Steg stand und wie verabredet auf uns wartete.

      »Wart ihr erfolgreich?«, fragte er und nahm das Tau entgegen, das meine Mutter ihm reichte. Mit geübten Bewegungen befestigte er unser Boot und half uns beim Ausladen.

      »Oh, wir haben Seehunde und Schweinswale gesehen!«, rief Finn und sprang mit einem riesigen Satz auf den Steg.

      »Aber leider keine einzige Makrele gefangen.« Meine Mutter folgte erheblich vorsichtiger. Kritisch betrachtete sie den Steg, bevor sie ihn betrat, als könnte er sich plötzlich abrupt zur Seite neigen und sie ins Wasser schubsen.

      »Vielleicht beim nächsten Mal«, sagte Adam zuversichtlich und nahm uns das Angelzeug ab. Ich nahm die Schwimmwesten und lief zum Bootshaus, um sie dort zu verstauen. Als ich heraustrat, prallte ich gegen einen Mann, der unversehens vor mir auftauchte.

      »Oh, Verzeihung«, murmelte er und räusperte sich. »Gehören Sie zum Bootsverleih?«

      »Nein. Tut mir leid. Ich bin nur Feriengast«, antwortete ich und schob mich an ihm vorbei. Der Mann wandte sich langsam um und sah kurz zu Adam hinüber, der mit meinen Eltern auf dem Steg stand und sich unterhielt. Er war groß mit einer sportlich schlanken Statur und trug über einer schwarzen Jeans einen modischen Blazer.

      »Vielleicht können Sie trotzdem helfen und eine Frage beantworten?«

      Er lächelte mich an. Er war sicherlich als gutaussehend zu bezeichnen. Für sein Alter jedenfalls. Er mochte um die dreißig Jahre alt sein. Ein Grübchen wanderte in seine Wange und ließ sein männlich geschnittenes Gesicht verschmitzt aussehen. Doch mir entging nicht, dass das Lächeln nicht seine dunklen Augen erreichte und einfach nur eingeübt geschäftsmäßig wirkte. Er musterte mich und schien beschlossen zu haben, dass ich nicht gesiezt werden musste. »Weißt du«, fuhr er fort, »ob das Boot, das draußen gekentert sein


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