Aschaffenburger Schloss. Erik Schreiber
in nordwestlicher Richtung der Mainmauer wieder. An dem nördlichen spitzen Winkel, wo der Berg nach zwei Seiten plötzlieh abfällt, stand das alte Schloß, genau an derselben Stelle, an der auch das jetzige sich befindet, und erst im Jahre 1552 fiel es der Brandfackel Albrechts von Brandenburg-Kulmbach zum Opfer. Kein anderer Platz wäre schon während seiner natürlichen Lage so geeignet gewesen; nördlich und westlich senkt sieh das Gelände nach dem Viehberg und dein Main zu, an den übrigen Seiten wurde die Burg von der oben genannten Mauer gedeckt. Hätte sie weiter südlich, wie man bisher allgemein annahm, gestanden, wäre es jedem Angreifer ein leichtes gewesen, die Anhöhen ungehindert zu erklimmen und dann auf dem ebenen Plateau gegen das Schloß anzustürmen. Die weiteren Beweggründe für die Annahme der ursprünglichen Lage desselben an dem bezeichneten Platze werden wir bei Betrachtung der Zeichnung des alten Schlosses von Veit Hirsvogel (29) näher ins Auge fassen.
Abermals verging eine lange Spanne Zeit, päpstliche Legaten hatten während ihres Aufenthalts in Mainz Kaiser und Erzbischof ausgesöhnt, in dem Schloß saß nun ein Vizedominus, der seinen Herrn vertrat und besonders die Geld und Verwaltungsgeschäfte zu leiten hatte. (30) Wohl hören wir manches von dem Stifte, das sich durch reiche Schenkungen immer mehr ausdehnte, dem viele adelige Familien lehenspflichtig waren, über das Schloß schweigt die Geschichte und erst im Jahre 1285 meldet uns eine kurze Nachricht (31), daß unter dem Erzbischof Werner hier eine neue Kapelle zu Ehren Johannes des Täufers eingeweiht wurde. Wir ersehen hieraus, daß schon das alte Schloß denselben Schutzpatron wie das neue hatte. Aschaffenburg selbst wurde der alte Mauergürtel, der die Oberstadt umschloß, zu eng, neue Ansiedlungen entstanden und in den Jahren 1363 bis 1364 wurden auch diese mit Wall und Zwinger umgeben; von der Löherpforte im Südosten der Stadt lief diese Befestigungslinie über das Sand- und Herstalltor nach Norden herum und weiter um das Viertel, das zu der inzwischen gebauten St. Agathakirche gehörte. Auch die Fischergasse unten an der Mainbrücke wurde in die Erweiterung mit hineinbezogen. (32)
Ende des XIV. Jahrhunderts wurde unter der Regierung Erzbischofs Johann II. der alte Streitturm des Schlosses, den man schon 1337 (33) zu bauen begonnen hatte, erhöht, der als einziger Ueberrest der ersten Anlage Zerstörung und Zeit überdauerte und später dem Neubau des Erzbischofs Schweickardt von Cronenberg (1605 - 1614) eingegliedert wurde. Sicherlich wird Kurfürst Johann II. die Befestigungen noch mehr verstärkt haben, damit er in seinen Kämpfen mit Thüringen und Hessen eine etwaige Belagerung besser aushalten konnte. Kurfürst Konrad III. (1419 - 1439) erweiterte die Burg abermals und stattete sie prächtiger und glänzender aus (34), auch schuf er 1430 eine neue steinerne Mainbrücke, da die alte, wie die Limburger Chronik berichtet, bei einem schweren Eisgange zerstört worden war. (35)
Unter seinem Nachfolger Theoderich von Erbach (1439 - 1459) erfuhren Stadt und Schloß neue Erweiterungen. (36) Er setzte den Ausbau des letzteren fort und sicherte es durch Anlage einer starken Mauer, die vorn am Main die tiefe Einsenkung sperrte, welche zwischen Schloßberg und der Anhöhe, auf welcher heute das Kapuzinerkloster liegt, von der Stadt aus allmählich nach dem Fluß zu abfällt und Viehberg genannt wurde.
In der Nähe der jetzigen Karlstraße fand sich in dem oberen Teile dieser starken und mit breiten Strebepfeilern versehenen Wehr der Rumpf einer Figur eingemauert. Da von unten nicht genau zu erkennen war, was das mutwillig von Steinwürfen beschädigte Stück zu bedeuten habe, ließ ich es aus seiner Umgebung vorsichtig herausbrechen, und bald kam der gut gearbeitete Torso einer männlichen Figur zutage, der von der Hüfte bis zum Oberschenkel erhalten war. Aus dem feinkörnigen Sandstein treten deutlich die Bauchmuskeln hervor, besonders plastisch aber ein Kranz von Weinblältern, der sich um die Hüften legt. Ueber die Entstehungszeit wird kaum etwas Genaues zu ermitteln sein, jedenfalls aber wurde die Figur schon bei Errichtung der Mauer als Baumaterial benutzt. Sie auf römischen Ursprung zurückzuführen und wegen des Weinlaubes etwa als Bacchus- zu deuten, wird kaum angehen, da die Werke, die aus dieser Periode am limes gefunden sind, in der Ausführung einen bedeutend handwerksmäßigeren Eindruck machen. Die einzige Möglichkeit wäre, ihre Anfertigung in romanische oder gotische Zeit zu versetzen und als Bruchstück einer Adamsfigur zu erklären. Diese mächtige Mauer, die unterhalb des Schlosses den Hohlweg hinabläuft, biegt am Main im scharfen Winkel nach Norden um, zieht an dem Ufer entlang und öffnet sich nach dem Viehberg in einem breiten spitzbogigen Tore, über dem man noch heute das steinerne Wappen des Erbauers erblickt. Ueber diesem ragen elf kräftige Konsolen aus der Wand hervor, auf denen einst ein Vorbau, eine sogenannte Pechnase ruhte. Während man jetzt auf der Mauer unter einem grünen Rebendache entlang geht, war dieselbe früher schräg abgedeckt und hinter ihr zog sich der Wehrgang hin, auf dem die Verteidiger standen und durch schmale Schießscharten den Gegner mit ihren Geschossen überschütteten. (37)
Steile Felsen bildeten weiter stromab genugende Befestigung für das dahinterliegende Gelände, das der „Schutz“ genannt wurde, die Mauer begann erst wieder da, wo jetzt der kleine Pavillon (ehemals ein Turm) steht, und lief als Stickelzaun zum Dingstalltor, hinter dem sich auch nach und nach Ansiedler niedergelassen hatten. (38) In dieser Zeit berief Kaiser Friedrich III. einen Reichstag nach Aschaffenburg (1447), da er zur Erreichung seiner Pläne Erzbischof Dietrich von Mainz brauchte. (39) Aeneas Sylvins Piccolomini, der spätere Papst Pius II., weilte Camals als Abgesandter des Kaisers hier und wird gewiß als Gast im Schlosse während seines Aufenthaltes gewohnt haben. (40)
Das Jahrhundert ging zur Neige, viel hatte die Stadt in den unruhigen Zeiten zu erdulden, aber die härtesten Prüfungsjahre standen ihr noch bevor. Im Bauernkriege zogen die Kriegshaufen, an der Spitze Goetz von Berlichingen und Metzler, von Miltenberg durch das Modautal gegen Aschaffenburg. (41) Hier belagerten sie den Statthalter Erzbischofs Albrecht von Brandenburg (1514 - 1545) Wilhelm, Graf von Hohenstein, die Einwohnerschaft selbst half dem Feinde die Stadt einnehmen, zwang Wilhelm die vorgelegten Bedingungen und zwölf Artikel zu unterzeichnen, und Bürger und Bauern praßten gemeinsam in den geistlichen Häusern und Pfarrhöfen: später verhandelte man wegen der Brandsehatzung. (42) Wenn Kittel und Lübke angeben, das Schloß sei damals bis auf die Grundmauern zerstört worden (43), so irren sie, denn Goetz selber hatte den Räten des Statthalters, die ihn um Vermittelung angingen, zugesichert, er werde dem Stifte keinen Schaden zufügen, wenn er ihm freilich auch nichts nützen könne. (44) Noch stand der Bau, der allmählich durch Anbauten und Erweiterungen immer größer und stolzer geworden war, der dem Simon Lemnius, bekannt durch seine Händel mit Luther und durch Lessings trefflich geschriebene Rettung die schwülstigen Verse entlockte: (45)
„Kühn und gebietend erhebt sich der Bau zu ätherischen Räumen,
Läßt Pyramiden zurück. glänzender Könige Werk!
Dir weicht Memphis und Ilion Dir, und das reiche Mykene,
Schweigend vor Dir in den Staub, sinket neronische Pracht,
Weithin blickt Dein Fürst auf segenbeladene Felder.
Unter dem stampfenden Fuß strömet in Fülle der Most.
Kaum im Hetrurien wächst der Reichtum schwellender Trauben,
Selber Methymna rühmt minderer Fülle sich nur.
Hügel hinan reift köstlicher Wein, dem Falerner vergleichbar -
Deutschem Gelände entquillt, herzerfreuend der Saft
Vor Dir strömt in der Tiefe des Mains sanft gleitende Welle.
Dessen gewundener Lauf weite Bezirke bespült;
Doch so herrlich geschmückt, stolz ragend empor zu den Wolken,
Bist Du an Größe doch nicht gleich dem erhabenen Herrn!
Von diesem Wunderwerke, das keineswegs erst eine Neuschöpfung Erzbischofs Albrecht von Brandenburg war, wie man bisher annahm, sondern sich allmählich durch die Jahrhunderte zu diesem Umfange entwickelt hatte, ist nun auch eine Zeichnung wiedergefunden, (46) die das alte Schloß, wie es bis 1552 gestanden, darstellt und von Veit Hirsvogel dem Jüngeren herrührt. (47) Sie gehört zu der Sammlung des 1798 in Bamberg geborenen Kunstfreundes Joseph Heller, der wahrscheinlich ein Verwandter des bekannten Nürnberger Patriziers und Tuchhändlers Jakob Heller war, welcher 1500 nach Frankfurt am Main übersiedelte und dort 1509 für die Dominikanerkirche das herrliche, von Albrecht Dürer gemalte Altarwerk und den aus sieben überlebensgroßen