Die letzte Seele. Lars Burkart

Die letzte Seele - Lars Burkart


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Wenn ich an die Provision für die zweite Auflage denke, macht mein Herz immer noch Freudensprünge!“

      „Hat er schon was Neues?“

      „Jo, hat er.“

      Jeromes Gesicht verriet, dass auch diese Provision saftig ausfallen würde. Und das hatte er sich auch verdient. Schließlich war es nur ihm zu verdanken, dass hier ein neuer Stern am Autorenhimmel aufgegangen war.

      „Jetzt aber genug getuschelt. Ich komm mir schon vor wie eine Frau. Lass uns zu ihm gehen.“

      „Genau. Nicht, dass der Kleine sich noch einsam fühlt.“

      Keine fünf Minuten später waren alle drei in ein munteres Gespräch vertieft. Paul stellte ein wenig schuldbewusst fest, dass sein Gegenüber ein amüsantes Kerlchen war, Stelzenbeine hin oder her, Hässlichkeit hin oder her. Er hatte sich mal wieder vorschnell eine Meinung gebildet. Schmunzelnd dachte er an den Moment, als seine Abneigung schwand: genau da, als der junge Kollege ihm erzählte, dass er jedes Buch von ihm gelesen hatte. Und er hatte sie nicht nur gelesen, sondern war von ihnen auch inspiriert worden.

      „Sie sind es gewesen, der mich in die Welt des Schreibens geführt hat. Sie haben meine Welt mit Bildern erfüllt. Sie haben meinem Leben einen Sinn gegeben. Ich bin Ihr größter Fan.“

      Danach war das Eis geschmolzen. Zugegeben, der Spruch war nicht sehr originell. Aber aus diesem Mund, dessen Besitzer etwas von seinem Handwerk verstand und wusste, wovon er sprach, bedeutete es ihm schon einiges. Es war Anerkennung unter Berufskollegen. Der putzige kleine Kerl wurde ihm immer sympathischer.

      „Jungs, geht doch schon mal in den Wintergarten! Paul, du kennst ja den Weg.“ Mit diesen Worten erhob sich Jerome, stapfte zur Hausbar und mixte drei Gläser randvoll mit Teufelspisse, wie er es nannte. Das Gesöff trug den Namen mit Recht. Die genaue Mixtur hatte er noch niemandem verraten. Obwohl Jerome schnell wieder zu den beiden Goldeseln zurückwollte, wurde er ständig von anderen Gästen aufgehalten. Inzwischen hatten Paul und Vincent (so hieß der Picklige) es sich auf Stühlen bequem gemacht.

      „Er ist `ne Wucht, oder?“ fragte Vincent.

      „Wer? Jerome? Ja, das ist er. Ohne Frage.“

      Sie unterhielten sich über dieses und jenes, rauchten ein paar Zigaretten (die Zigarre war längst aufgeraucht) und quatschten, als ob sie sich seit Jahren kannten. Irgendwann gesellte sich auch Jerome wieder zu ihnen.

      „Die anderen labern nur über Fußball, das letzte Golfturnier und all dieses Pipapo.“ Er brachte drei randvolle Gläser und stellte sie auf den Tisch. Und als ob er eine Schicht im Bergwerk gearbeitet hätte, ließ er sich seufzend auf einen Stuhl fallen, schnorrte eine Kippe und qualmte vor sich hin.

      Paul starrte wissend auf das Glas. Vincent, der nicht so recht wusste, was da vor ihm stand, sah nur einmal kurz hin und widmete sich dann wieder anderen Dingen. In der Nase bohren, zum Beispiel.

      Jerome räusperte sich, hob das Glas und setzte zu einem Trinkspruch an.

      „Lasst uns trinken! Auf neue Projekte und eine allseits gute Zusammenarbeit!“

      „Kreativ enorm ausgereift, Jerome!“

      Auch die anderen griffen nach den Gläsern, Paul etwas widerwilliger als Vincent, aber der wusste ja auch nicht, was ihn erwartete. Fast augenblicklich wurde Vincents Gesicht kahl und weiß wie eine Wand. Paul war es beim ersten Mal nicht anders ergangen.

      „Meine Fresse, was ist denn das für ’n Giftcocktail? Der ist ja teuflisch!“

      „Und genauso heißt er auch: Teufelspisse.“ Jerome amüsiert sich köstlich.

      „Schmeckt so, als hättest du alles reingeschüttet, was du in der Bar hast. Und zur geschmacklichen Feinabstimmung noch einen Spritzer Motoröl hinterher, was? Junge, Junge, das Zeug hat’s in sich!“

      Sein Gesicht war mittlerweile von aschfahl zu feuerrot übergegangen.

      „Ich hab damals das Gleiche gesagt. Allerdings erst, nachdem ich mir die Lunge aus dem Hals gehustet hatte. Dieser Schweinehund rückt mit der Mixtur nicht raus! Er hütet sie wie Onkel Dagobert den Kreuzer Nummer Eins!“

      Sie stimmten in ein herzhaftes Lachen ein; sogar Vincent schloss sich ihnen an, obwohl sein Hals brannte wie Hölle.

      Eine halbe Stunde später mischten sie sich wieder unter die anderen Gäste. Man erzählte, scherzte, lachte. Auch Paul amüsierte sich. Der Abend entwickelte sich entgegen seiner anfänglichen Skepsis gut. Der befürchtete Fragenmarathon über den Verbleib von Jeannine blieb aus. Aber war das so überraschend? Schließlich waren die meisten Anwesenden Fremde und die, die er kannte, schienen mit sich selbst zu tun zu haben. Nur von Jerome und seiner Frau ging ein gewisses Risiko aus. Aber die waren mit anderen Gästen beschäftigt. Nur einmal wurde es kurz brenzlig.

      Als sie im Wintergarten saßen, hatte Jerome ihn nach Jeannine gefragt – und da war guter Rat teuer gewesen. Aber obwohl er diesen Augenblick gefürchtet hatte wie der Teufel das Weihwasser, reagierte er mit einer Geistesgegenwart, die ihn selbst überraschte. Es war so einfach. Er setzte einfach ein sorgenvolles Gesicht auf und sagte: „Sie fühlt sich heut Abend nicht wohl.“ Wahrlich keine brillante Ausrede, doch Jerome schien sie zu schlucken. Er bestellte ihr liebe Grüße und gute Besserung, und damit war das Ganze gegessen.

      Paul versenkte gerade den Blick in den Ausschnitt einer jungen Frau. Halt, hier bedarf es einer kleinen Richtigstellung, denn diese Öffnung als Ausschnitt zu bezeichnen, wäre nicht korrekt, schließlich ging sie ihr bis kurz unter den Nabel. Wenn sie sich nach vorn beugte (wie sie es gerade tat) meinte man, ihren schneeweißen Slip zu sehen. Paul war in diesen Ausschnitt versunken. Er war mit den Augen so tief hineingeklettert, dass er Vincent, der hinter ihm stand, gar nicht bemerkte.

      „Paul, hast du nicht Lust, noch ein bisschen von dieser Teufelspisse zu süffeln?“ Vincent hätte gegen eine Wand sprechen können. Amüsiert beobachtete er, wie Paul fast die Augen aus den Höhlen fielen. Als nach zwanzig Sekunden noch immer keine Reaktion erfolgte, versuchte er es noch einmal.

      „He, Paul! Fahr deine Radartüten wieder ein und schlag dir deine schweinischen Gedanken aus dem Kopf! Oder willst du hier mit einer Riesenbeule in der Hose rumlaufen?“

      Tatsächlich, etwas regte sich in Pauls Hose. Er starrte blitzschnell woanders hin, doch in der Eile merkte er gar nicht, dass er längst wieder in ihr Dekolleté glotzte. Was ist nur mit mir los, verdammt? Die Antwort war einfach: Er war hammergeil. Er war scharf auf diese Frau. Er wollte sie haben. Er musste sie haben. Und am besten gleich hier und jetzt. Er wollte zu ihr gehen sie und ansprechen …

      Doch stattdessen tat er das einzig Richtige: Er zwang sich, in eine andere Richtung zu sehen. Und das war bei diesem Bombendekolleté alles andere als einfach. So sehr er auch wegsehen wollte, sein Blick blieb auf den Vorbau gerichtet. Und sein Denken drehte sich nur noch um eins.

      Paul schüttelte den Kopf. Es half nicht. Aber zum Glück gab es ja noch die Schmetterlingbrummer-Methode, und die musste einfach funktionieren. Hinter der Frau mit dem Ausschnitt bis zur Kniescheibe stand noch eine Frau. Und sie war das blanke Gegenteil. Sie war schätzungsweise Anfang sechzig, konnte aber auch gut und gern darüber hinaus sein. Ihr genaues Alter zu schätzen war schwer, wenn nicht unmöglich. Sie war geschminkt bis zum Gehtnichtmehr. Außerdem schien sie mehr als ein dutzend Mal geliftet worden zu sein. Sie war … nun ja, untersetzt. Das Schrecklichste an ihr aber war, dass sie einen Pelzmantel trug. Ob sie Angst hatte, sich zu erkälten? Egal. Sie musste für die Zwecke genügen. Sie war perfekt dafür.

      Obwohl es ihn Überwindung kostete, versuchte Paul, sich die Frau nackt vorzustellen. Anfangs kehrten seine Gedanken immer wieder zurück zu dem Wahnsinnsausschnitt. Es war, als wehre sich sein Hirn. Aber er musste es tun, schließlich war er noch immer ein verheirateter Mann, und was würde Jerome sagen, wenn er dieser Braut nachstellte, während Jeannine mit Fieber oder weiß der Geier was im Bett lag? Also versuchte Paul etwas, was unmöglich schiefgehen konnte: Er stellte sich den alten Drachen nicht nur nackt vor, sondern zog ihr einen Tanga, einen aufreizenden Büstenhalter, feuerrote Lackschuhe und eine durchsichtige Strumpfhose über


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