Die Chroniken von 4 City - Band 1-3. Manuel Neff

Die Chroniken von 4 City - Band 1-3 - Manuel Neff


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Ziel ist es, die ersten beiden Schrottsammler mit einem Doppelkick auszuschalten und sich dann um den Dritten zu kümmern. Sie wird die Arena niemals zu Gesicht bekommen, weil sie entkommen wird. Ein weiterer Sekundenbruchteil vergeht.

      Love landet auf dem Boden. Einerseits erstaunt darüber, dass sie nach dieser akrobatischen Einlage sicher wie eine Eins landet. Andererseits, weil sich die beiden Zielobjekte ihres Kicks ebenfalls noch auf den Beinen befinden. Der Grund dafür leuchtet Love sofort ein. Sie hat sie schlichtweg verfehlt.

      Alle schauen verwirrt, überrascht und ein bisschen überfordert, angesichts dessen, was gerade passiert ist. Als Nächstes landet eine Faust auf Loves Kinn. Sie ist noch zu erstaunt darüber, was eben geschehen ist, um der Faust auszuweichen. »Zu blöd, dass das Kapitel mit den Angriffstechniken erst in der zweiten Hälfte des Buches kommt«, denkt sie noch und dann gehen ihr die Lichter aus. Ein klassischer Knock-out. Jemand fängt ihr Körper auf, als sie zu Boden geht. In einem Zustand, mehr benommen als bei Bewusstsein hört sie die Worte: »Das wird eine unterhaltsame Überraschung geben.«

      Die Arena

      Der Weg bis in die sogenannte Arena ist eine Tortur für Loves Psyche. Sie wird durch eine enge Gasse, nicht mehr als eine Scharte zwischen den Häusern, getrieben. Ihre Hände sind auf dem Rücken festgebunden. Eine Speerspitze trifft sie immer wieder schmerzhaft zwischen den Schulterblättern und lässt sie vorwärtsstolpern. Hebt sie den Blick, erkennt sie verzerrte Gesichter aus ihrem alten Clan - erstarrt im Angesicht des Todes. Sie haben die Menschen aufgespießt. Dutzende Gepfählte säumen den Weg zur Arena. Dahinter erheben sich große Holzfeuer und Rauchsäulen steigen zwischen den Häuserblocks auf. Hier ein Gesicht aus der Leibgarde ihres Vaters. Dort ein Mann, den sie von der Straße kannte. Jeden, der sich zur Wehr gesetzt hat, haben sie getötet und als Mahnmal hier aufgespießt. Was ist das nur für ein grausamer, unbarmherziger Clan? Noch nie hat Love von so etwas Bestialischem gehört oder so etwas Barbarisches gesehen.

      Wieder spürt sie die Speerspitze in ihrem Kreuz und macht ein paar weitere Schritte vorwärts. Sie spürt das Blut an ihrer Wirbelsäule herunterlaufen. Es ist nicht viel, sie ist kaum verletzt. Sie soll nicht kampfunfähig in der Arena ankommen. Wieder hebt sie den Kopf und sieht in ein totes Gesicht, als ob es keine andere Alternative für ihre Augen gäbe. Menschen grölen aus den Fenstern der emporragenden Gebäude zu ihr hinab. Ein Junge wirft etwas nach ihr, verfehlt sie jedoch knapp. Fäkalien. Love schüttelt sich innerlich. Nur noch eine aufgespießte Leiche, dann wird sie diese schmale Straße hinter sich lassen. Fast schon freut sie sich auf das, was kommt, auch wenn es ihren Tod bedeutet. Ein innerer Impuls ergreift wieder Besitz von ihr. Stolz. Mut. Sie wird nicht sterben. Vorher wird sie sich rächen. Sie hebt ihr Gesicht, um der Niedertracht und dem Mob zu trotzen. Der letzte Pfahl befindet sich vor ihr. Dahinter ist die Arena. Sie kann das Jubelgeschrei deutlich hören. Ihr Vorgänger hat es nicht geschafft. Tig hat die Arena nicht überlebt. Woher sie das weiß?

      Sein Körper hängt aufgespießt und schlaff an dem Holzpfahl herab. Sein Gegner hat ihm die Brust durchbohrt. Dort klafft ein riesiges Loch. Dieser Weg durch die Gasse des Grauens soll sie einschüchtern. Ihr allen Mut und den letzten Rest Überlebenswillen rauben, aber bei Love funktioniert es nicht. Es ist, als würden die schlimmen Situationen, wie die Ermordung ihrer geliebten Lea mit ansehen zu müssen, sie nur noch stärker machen.

      Zornig blickt sie in die schreienden Gesichter. Der Junge, der mit Scheiße nach ihr geworfen hat, ist wieder in einem der Fenster über ihr erschienen. In seiner Hand einen neuen Beutel und zum Wurf bereit. Love fokussiert ihn. Durchbohrt ihn mit ihren stahlblauen Augen. Der Junge zögert, erschreckt förmlich, lässt den Beutel fallen und haut ab. Sie erwartet wieder einen Stupser mit dem Speer, lässt es aber nicht soweit kommen. Gefasst und bereit schreitet sie weiter. Sie wird das hier überleben. Sie kann es fühlen, die Stunde ihres Todes ist noch nicht gekommen.

      Die Gasse öffnet sich in einen Innenhof. Hinter Love wird ein Metallzaun zusammengeschoben und versperrt ihr den Rückweg. Als hätte sie jemals vorgehabt, noch einmal durch diese Straße zu gehen. Alle anderen Ausgänge sind ebenfalls verbarrikadiert. Holzpalisaden, Metallgitter, Stacheldraht. Das, was Schrottsammler eben so auftreiben können. Feuer flackert und wird von den Häuserfronten reflektiert. Sie haben drei brennende Mülltonnen aufgestellt, um auch die Geschehnisse in den dunkelsten Ecken für die Zuschauer auszuleuchten. Love wagt einen Blick nach oben, um den Ursprung des Geschreis und Gejohles zu ergründen. Fenster, Balkone und aufgerissene Wände gestalten die Tribüne. Hunderte sind gekommen, um das Schauspiel zu verfolgen. Um sich an Blut und Todesangst zu ergötzen.

      Love schluckt die Gefühle, die ihre Kehle emporzuklettern versuchen, wieder hinunter. Sie senkt den Blick, versucht, sich zu fokussieren und die nächsten Minuten irgendwie zu überstehen. Sie entdeckt ein Podest zu ihrer Rechten und ihr Magen krampft sich zusammen. Auch dort wurden zwei Pfähle aufgestellt. An einem hängt Lea. Nackt. Kopfüber. Ausgeblutet. Zorn, unfassbare Wut und unbändiger Hass vermischen sich mit tiefster Traurigkeit über den Verlust ihrer lieben Lea. Love droht innerlich an den Gefühlsregungen zu verbrennen. Daneben haben sie ihren Vater an den Pfahl gebunden. Gebunden? Nicht etwa aufgespießt wie die anderen?

      Plötzlich traut Love ihren Augen nicht. War da eine Bewegung zu sehen? Tatsächlich. Ihr Vater hebt leicht den Kopf. Er lebt noch! Er ist doch nicht tot. Es ist keine Freude, was Love nun empfindet. Zu schlimm ist alles andere. Es ist ein Fünkchen Hoffnung. Nicht diese Art von Hoffnung, dass am Ende alles gut wird. Es ist die Hoffnung, sich noch einmal wiederzusehen. Sie dürfen sich verabschieden. Lebewohl sagen. Man wird sich im Jenseits finden. Love macht ein paar Schritte auf ihren Vater zu. Plötzlich ertönt ein Horn und der Mob auf den Rängen verstummt.

      Der Mörder von Lea entpuppt sich wirklich als der Master des Schrottsammlerclans.

      »Einschüchterung und Abschreckung ist die zweitbeste Waffe, mit der wir uns unsere Gegner vom Hals halten. Die Beste ist, sie alle zu töten oder zu versklaven. Ich halte nichts von Integration, bevor mir die einstigen Feinde nicht uneingeschränkt ihre Loyalität erweisen. Knie nieder!«, befiehlt er.

      Love denkt nicht einmal daran. Lieber würde sie sterben. Die Speerspitze in ihrer Kniekehle zwingt sie zu Boden und erhalten den Schein ihrer demütigen Unterwerfung. Der Mob grölt. Das Gejohle hält an und das Stahlgitter vor einer der gegenüberliegenden Gassen wird auseinandergeschoben. Herein bugsiert wird eine zweite Person. Loves Gegner entpuppt sich als ein Mitglied der Leibgarde ihres Vaters. Sie kennen sich. Sein Name ist Garen. Als sich ihre Blicke treffen, reißt Garen seine Augen auf. »Hoffentlich hält er seinen Mund«, denkt Love.

      Wieder ertönt das Horn. Love steht ruhig da, Garen zuckt unwillkürlich zusammen und duckt sich, als würde jemand nach ihm schlagen.

      »Lasst sie kämpfen«, befiehlt der Master. Die Menge tobt und die Speere, mit welchen Love und Garen bis hierher in die Arena gestoßen wurden, liegen plötzlich zu ihren Füßen. Garen hebt seinen zuerst auf und macht Anstalten, ihn zu verwenden. Der Ausgang wird verschlossen. Die Arena gehört nun den beiden allein. Zwei Schrottsammler aus dem gleichen Clan. Garen reißt seinen Speer in die Höhe und rennt auf Love zu.

      »Ich töte die Prinzessin für Euch«, hört Love ihn brüllen. Aber das Gekreische des Mobs ist lauter und so gehen seine Worte unter. Das hofft Love zumindest.

      »Wie treulos kann man werden im Angesicht des Todes?«, stammelt Love vor sich hin. Immerhin hat er es ihr leicht gemacht, eine Entscheidung zu treffen. Sie wird kämpfen und ihn töten, wenn es sein muss.

      Love gelingt es nur knapp, Garens Angriff auszuweichen. Die Speerspitze verfehlt sie um Haaresbreite und Garen stolpert überrascht ins Leere. Er hat wohl gedacht, dies hier schnell beenden zu können.

      »Garen, du hast meinem Vater gedient«, sagt Love entsetzt.

      »Jetzt diene ich meinem neuen Master. So läuft das. Das sind die Gesetze der Schrottsammler.«

      »Was, wenn die Gesetze falsch wären?«, kontert Love und weicht mit einer Drehung seinem nächsten Angriff aus. Die Menge lacht, was Garen nur noch wilder macht. Die darauffolgende Attacke und auch der Versuch danach, Love aufzuspießen, laufen ins Leere.


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