Magic Stoner. Frank Pfeifer

Magic Stoner - Frank Pfeifer


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blonde Vollbart und das schüttere Haar auf dem Schädel. Der Prophet einer neuer Weltordnung.

       Die Logik des Diebstahl bestand darin, den begehrten Gegenstand ohne Gegenleistung in Besitz zu nehmen. Wem es wie Nara kaum um das Diebesgut ging, schien einer fremden Welt zu entstammen, in die einzudringen Dieters Fantasie und Intuition nicht ausreichten. De facto war es außerdem ein Verbrechen, welches Dieter gerne als politische Tat deklariert hätte. Am liebsten hätte er hinter der Tat ein höheres Ziel gesehen. Das Subjektive alleine war ihm verdächtig. Trotz allem war er neugierig. Ich erinnere mich an die stundenlangen Gespräche in meiner Küche, bei denen er versuchte, in Nanas Logik des Diebstahls einzudringen. Nanas alles beinhaltende Argument für ihre skurrile Art mit dem Thema Shopping umzugehen, war aber völlig unlogisch und höchst emotional: Ich möchte die Kontrolle haben.

       An einem dieser Abende hätte Dieter beinahe seine Augen verloren. Wir waren schon alle drei ein wenig angetrunken. Ich stand etwas gelangweilt in einer Ecke der Küche, nippte an meinem FUCKING-BIER-INTERNATIONAL und sinnierte über mein Lieblingsthema, das Rätsel untergegangener Kulturen.

       Wieder waren sie an der Stelle, an der Dieter klagte, es könnte doch nicht jeder machen, was ihm so gefällt. Wo käme man denn da hin? Man musste über den Moment hinausdenken. Für Nana war das viel zu abstrakt und allgemein, schließlich wollte sie nur ihre eigene Angst verdeutlichen und nicht Weltökonomiepläne entwerfen. Dieter aber drängte sie immer wieder in die gleiche Ecke. Was ist, wenn jeder und bla und soziale Gemeinschaft und kategorischer Imperativ und blablabla. Das machte Nana mit der Zeit total aggressiv. Schließlich wollte sie erzählen, wieso sie, Nana, diesen Zwang zum Diebstahl verspürte, und jetzt wollte Dieter hören, dass es Nanas Ziel sei, die gesamte Menschheit zum Verbrechen zu verführen. In ihrer Persönlichkeit offensichtlich vollkommen negiert, genügten Dieters abschließende Worte, dass das Subjektive sich dem Kollektiv unterordnen müsse, ihre Gewaltgrenze zu brechen. Sie schnappte sich den Korkenzieher und wollte mit diesem eines von Dieters himmelblauen Augen entstöpseln, hätte dieser nicht in plötzlichem Entsetzen laut aufgeschrien. Dieses Geräusch band Nana wie ein ungeschriebenes Gesetz die Hände. Fluchend sprang Dieter von dem Stuhl auf, griff sich seine Jacke, schrie noch einiges dummes Zeug und verschwand mit wehendem Bart. Am nächsten Tag war alles schon wieder verziehen, der verdammte Alkohol war daran Schuld, was sonst? Seitdem hielt Dieter einen gebührenden Abstand von Nana.

       Trotz solch kleinen Zwischenfälle und diversen Diskussionen gab es aber nie längerfristigen Zwist. Spätestens in der »Bar der bekennenden Alkoholiker« verloren sich alle Unstimmigkeiten und wir zogen wieder lallend, uns brüderlich umarmend und Die Internationale singend durch die nächtlichen Straßen Berlins oder brüllten auf den Demos für Klimaschutz und Menschenrechte die Parolen des Widerstands.

       Was mir an Dieter gefiel, war seine Anonymität, die er trotz aller Freundschaft nie ganz verlor. Er hatte Verbindungen zum organisierten politischen Widerstand genauso wie zur professionellen Kriminalität. Er war ein Spezialist in der Beschaffung von Informationen und nach seinen Worten konnte er von Gaspistolen bis zu Atom-U-Booten alles besorgen, wenn er wusste, für welchen Einsatz seine Hilfe benötigt wurde. Nachdem der Entschluss gefallen war, Zamaon lahmzulegen, hatten Nana und ich überlegt, ob wir ihn nach dem Virus fragen sollten, aber für Nanas privaten Wahnsinn schien er nicht die richtige Kontaktperson zu sein.

       Das Internet ist vermittelte Realitiät. Entfremdung von der Welt, die wir durch unsere Sinne wahrnehmen. Aber wir sind ja auch keine Steinzeitmenschen mehr, die Tiere jagen und Pilze sammeln. Wir gehen in den Supermarkt und kaufen Fleischwurst und Champignons. Das fühlt sich ziemlich real an. Im Internet shoppen, dort ein Buch oder ein Paar Schuhe zu bestellen, fühlt sich seltsamerweise immer noch real an. Obwohl wir nichts anfassen, nichts riechen und uns nur an ein paar Bildchen und an einigen Textzeilen orientieren können. Während wir aber im Supermarkt nicht wirklich an die Möglichkeit eines Taschendiebes denken, obwohl uns die theoretische Gefahr durchaus bewusst ist, wissen wir, dass wir im Internet von allen Seiten belauert werden. Aber wenn wir uns ein Anti-Virus-Programm auf den Rechner geladen haben, glauben wir, alles Menschenmögliche getan zu haben. Wir begeben uns freiwillig in die Gefahrenzone.

       Umgekehrt müssen auch die Unternehmen, die etwas anbieten wollen, ihre Portale im Internet öffnen. Sonst könnte ja niemand bei ihnen einkaufen. Und so wie es Trojaner, Würmer und Viren gibt, die unseren heimischen Rechner befallen wollen, musste es doch Tools geben, um zum Beispiel Zamaon zu infiltrieren.

       Ich hatte rudimentäre Kenntnisse mit dem Kommandozeilen-Tool. In der Archäologie kommt man natürlich nicht an gewissen Messverfahren herum. Um ein Georadar an eine spezifische Geländebeschaffenheit anpassen zu können, war dies die gewöhnliche Programmiermethode. Für mich war es nur ein Spiel, das ich Nana zuliebe spielte. Ich schrieb eine Loop-Datei, die tausende von Anfragen an die IP-Adresse von Zamaon schickte, in der vagen Hoffnung, diesen Internet-Giganten damit in die Knie zu zwingen. Aber das einzige, was geschah war, dass meine eigene IP-Adresse vom Zamaon-Server gesperrt wurde. Trotzdem hatte ich ein seltsames Hochgefühl, das ich mir nicht erklären konnte. Aber schnell stellte sich ein Gefühl der Ernüchterung ein. Zeit, ein FUCKING-BIER-INTERNATIONAL zu trinken.

       »Kann man halt nichts machen, Nana. Scheiß darauf. Die haben natürlich ein Sicherheitssystem, das mit solchen Spielchen leicht fertig wird.«

       »Ja, Five. Spielchen. Aber dann müssen wir den Einsatz erhöhen. Damit es ein richtiges Spiel wird.«

       Ich sah meine Bierdose an. Dann Nana. Es war wirklich anstrengend mit ihr. Wieso gab sie nicht einfach auf?

       Den Einsatz erhöhen. Wie sollte ich das machen? Was waren meine Beschränkungen? Das, was ich vorhatte, nannte sich DOS-Angriff. DOS stand für Denial of Service. Das Problem war meine kleine Batch-Datei. Aber mit einer gezielten Suche im gehassten Internet fand ich eine Software, über die man diese DOS-Angriffe wesentlich professioneller durchführen konnte. Ganz offiziell, ganz legal. Nana wollte dabei sein, wenn es geschah.

       Man konnte wählen, mit welchem Protokoll man den Server beschoss. Außerdem den Port, die Anzahl der Threads und die Geschwindigkeit, mit der man die Anfragen an den gewünschten Server abschoss. Das ganze Tool war also viel mächtiger als die kleine Batch-Datei, die ich selbst geschrieben hatte. Ich nickte Nana zu. Wir hatten den Einsatz erhöht.

       Ich drückte auf den Fire-Button und der Angriff begann. Parallel hatte Nana die Zamaon-Seite geöffnet, um zu sehen, ob unser Angriff, irgendeine Auswirkung hatte. Meine Software schickte tausende von Pings in Richtung der IP-Adresse, unter der ich von meinem Rechner zuletzt die Zamaon-Seite aufgerufen hatte. Beim Abgleich mit Nanas Rechner mussten wir feststellen, dass sie eine ganz andere IP-Adresse hatte. Der Feind, denn das war Zamaon für uns in diesem Moment, arbeitete also unter verschiedenen Masken, die nach Außen alle gleich aussahen.

       Ich versuchte die verschiedenen Protokolle - TCP, UDP, HTTP - verschieden Threads, verschiedene Geschwindigkeiten. Mit dem gleichen Ergebnis, wie mit meiner Batch-Datei - meine IP-Adresse wurde irgendwann gesperrt. Der Feind hatte meinen Angriff bemerkt und die Tür zugemacht.

       Einsatz erhöht. Keinen Treffer gelandet. Dachte ich jedenfalls. Ehrlich gesagt war ich erleichtert. Das Bier rannte kühl und erfrischend die Kehle herunter.

       Aber Nana war alles andere als frustriert.

       »Five, die haben deine IP-Adresse gesperrt.«

       »So sieht es aus, Nana. Also, komm. Prost. Und vergiss den Scheiß.«

       »Nein, nein, Five. Das ist gut. Das ist sehr gut.«

       Ich sah sie verständnislos an. Wir waren gerade glorreich gescheitert. Zamaon-Goliath hatte uns Kunden-Davids gerade eins über den Schädel gehauen. Schluss. Aus. Zurück zum Kühlschrank.

       »Zamaon hat geantwortet.«

       »Ja klar, Nana. Die haben uns den Hahn


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