Vier Jahre für Lincoln. Stillwell Leander
der Stadt und der Vororte lag. Soweit ich mich erinnere, entsprach die Form des Kasernengeländes einem großen, länglichen Viereck. Die Baracken selbst bestanden aus einer langen Reihe miteinander verbundener Holzrahmenbauten, in denen die Quartiere einer jeden Kompanie durch Bretterwände getrennt und entlang der Wände mit zwei Reihen von Stockbetten eingerichtet waren. Am Ende jeder Kompanieunterkunft befand sich die Kompanieküche. Diese war jeweils ein abgetrennter, separater Rahmenbau, der über allerlei Vorrichtungen zur Nahrungszubereitung verfügte, darunter einen Backsteinofen mit Öffnungen für Pfannen, Töpfe, Kessel und dergleichen. Sowohl die Baracken als auch die Küchen waren bequem und angenehm eingerichtet und unseren zusammengezimmerten Hütten in Carrollton in jeder Hinsicht vorzuziehen. Das Kasernengelände umfasste ein beträchtliches Areal, jedoch kann ich mich nicht an die genaue Größe erinnern. Das Gelände war nahezu völlig frei von Bäumen und wurde für Drillübungen und Paraden genutzt. Der Kommandeur vor Ort war zu dieser Zeit Colonel Benjamin L. E. Bonneville, ein alter Offizier der regulären Armee, der in seinen jüngeren Jahren ein bekannter Entdeckungsreisender in den ungezähmten westlichen Gebieten gewesen war. Ich sah ihn häufig auf dem Gelände umherreiten. Er war ein kleiner, runzeliger, alter Franzose und eine vollkommen unmilitärische Erscheinung. Trotzdem hatte dieser Mann seiner Wahlheimat lange und treu als Soldat gedient. Solltest du jemals mehr über diesen Mann erfahren wollen, so lies (falls du dies nicht schon getan hast) die "Abentheuer des Capitäns Bonneville oder Scenen jenseits der Felsgebirge des fernen Westens" von Washington Irving. Es wird dir eine ausgesprochen interessante Lektüre sein.
Wir verbrachten etwa vier Wochen in der Benton-Kaserne. Das Leben dort war eintönig und bar jeglicher Ablenkung. Ich erinnere mich, dass wir nur selten Drillübungen abhielten, da es die meiste Zeit über regnete und der Boden des Exerzierplatzes ein einziger See aus Matsch war. Die Drainage war eine Katastrophe und so blieb der Regen an der Oberfläche, bis die Erde ihn aufsog. Und eines kann ich dir sagen: Im März des Jahres 1862 regnete es über der Benton-Kaserne wie aus Eimern! Während wir dort untergebracht waren, fand ich in einer kürzlich geräumten Baracke eine alte, zerfledderte Taschenbuchausgabe von Dickens' "Bleakhaus" und an jenen regnerischen Tagen kroch ich in mein Bett (ich belegte eines der oberen Stockbetten), machte es mir bequem und las dieses Buch. Einige der darin vorkommenden aristokratischen Charaktere besaßen einen Landsitz namens "Chesney Wold", wo es unablässig zu regnen schien. Um (sinngemäß) aus dem Buch zu zitieren: "Der Regen fiel ohne Unterlass, tropf, tropf, am Tage wie in der Nacht in jenem Orte in Lincolnshire." Ebenso verhielt es sich in der Benton-Kaserne. Wenn ich des Lesens überdrüssig war, wandte ich meinen Kopf zur Seite und schaute eine Weile aus dem kleinen Fenster an der Seite meines Bettes, das mir einen Ausblick über den Großteil des Platzes gewährte, um den herum die Baracken standen. Der Boden war ein regelrechter Sumpf aus Schlamm und Wasser und keine Seele rührte sich dort draußen, mit Ausnahme einer berittenen Ordonnanz, die gelegentlich im Galopp über das Kasernengelände jagte. Seit damals habe ich "Bleakhaus" mehrere Male gelesen und sobald ich das Kapitel erreiche, in dem vom regnerischen Wetter auf dem Landsitz der Dedlock-Familie die Rede ist, kann ich jene düsteren und trostlosen Verhältnisse, unter denen ich vor mehr als einem halben Jahrhundert meine Zeit in der Benton-Kaserne verbrachte, stets deutlich und mit allen Sinnen nachempfinden. Irgendwo in General Shermans Memoiren habe ich eine Stelle gelesen, in der er sich dahingehend äußert, dass sich Regen im Feldlager negativ auf das Gemüt der Soldaten auswirke, auf dem Marsch jedoch durchaus anregend sei. Aus persönlicher Erfahrung weiß ich, dass diese Beobachtung der Wahrheit entspricht. Auf dem Marsch wurden wir häufig von schwerem Regen überrascht, welcher die Straßen rasch in einen Sumpf aus klebrigem, gelbem Schlamm verwandelte. In diesen Fällen zogen wir unsere Schuhe und Strümpfe aus, banden sie etwas unterhalb der Mündung und knapp oberhalb des Schaftendes an unserem Musketenlauf fest, balancierten die Muskete auf ihrem Hahn über der Schulter, sodass der Schaft nach oben zeigte und rollten unsere Hosenbeine bis zu den Knien hoch. Dann taten wir es wie Tam O'Shanter und ließen "Lehm und Moder um uns spritzen, die Winde heulen, Blitze blitzen", wobei wir "John Brown's Body" sangen oder irgendein anderes Lied, nach dem uns gerade zumute war. [Anm. d. Übers.: Stillwell zitiert hier aus "Tam O'Shanter", einem Gedicht des schottischen Nationaldichters Robert Burns aus dem Jahre 1790.] Regnerische Tage im Lager hingegen, besonders derart heftige wie jene während unserer Zeit in der Benton-Kaserne, beschwören Gefühle von Trostlosigkeit und Niedergeschlagenheit herauf, die man nur nachvollziehen kann, wenn man sie selbst erlebt hat. Das Elend, das sie verursachen, lässt sich nicht beschreiben.
Während ich eines Tages müßig über das Kasernengelände schlenderte, traf ich einen Soldaten, der mir erzählte, er gehöre zur 14th Wisconsin Infantry. Er war einige Jahre älter als ich, recht mitteilsam und schien mir ein vernünftiger, aufgeweckter Bursche zu sein. Er redete ohne Unterlass über sein Regiment, es bestünde fast ausschließlich aus jungen Männern, großgewachsenen, kräftigen Holzfällern aus den Kiefernwäldern Wisconsins. Ich wurde nachdrücklich eingeladen, das Regiment bei Gelegenheit am Abend zu besuchen und ihm bei der Parade zuzusehen. Ich hatte zu diesem Zeitpunkt bereits die Erfahrung gemacht, dass Soldaten dazu neigten, mit ihrem Regiment zu prahlen, weswegen ich seinen Schilderungen mit einiger Vorsicht begegnete, allerdings hatte er trotzdem meine Neugierde auf diese Kerle aus Wisconsin geweckt. Als ich eines Abends keine Verpflichtungen hatte, ging ich mir also ihre Parade ansehen und es stellte sich heraus, dass der Soldat tatsächlich nicht übertrieben hatte. Es waren allesamt prächtige, große Burschen mit breiten Schultern, enormen Brustkörben und kräftigen Gliedmaßen. Was die körperliche Verfassung betrifft, so waren dies zweifelsohne die prächtigsten Soldaten, die ich während meiner gesamten Militärzeit sah. Ich erwähne dieses Ereignis und diese Burschen an dieser Stelle, da ich später möglicherweise noch mehr über das 14th Wisconsin zu sagen haben werde.
In der Benton-Kaserne erhielten wir unsere Regimentsnummer – die 61 – und fortan waren wir die 61st Illinois Infantry. Auch unsere Waffen wurden uns zugeteilt. Wir wurden mit österreichischen Musketen mit gezogenem Lauf ausgerüstet. Sie waren von mittlerer Länge, hatten einen Schaft aus hellbraunem Walnussholz und gaben alles in allem tadellose Schießeisen ab. Zu jener Zeit waren die meisten Truppen des westlichen Kriegsschauplatzes mit aus Europa importierten Musketen ausgerüstet. Viele Regimenter hatten alte, belgische Musketen, schwere und unhandliche Ungetüme, die in jeder Hinsicht ungenügend und minderwertig waren. Wir waren froh, unsere "Österreicher" erhalten zu haben und waren stolz auf sie. Wir benutzten sie, bis wir sie im Juni 1863 gegen die Springfield-Muskete Modell 1863 mit gezogenem Lauf eintauschten. Diese war nicht so schwer wie das österreichische Modell, bot einen gefälligeren Anblick und war eine sehr effektive Waffe. Es war dies die letzte Änderung in dieser Hinsicht und wir trugen die Springfield-Muskete bis zu unserer Ausmusterung. [Anm. d. Übers.: In den frühen Kriegsjahren kaufte die Unionsregierung ungeachtet der Qualität möglichst viele der zum Export bestimmten Waffenbestände der europäischen Staaten auf, teils um den enormen Bedarf zu decken, teils um sie den ebenfalls sehr aktiven Einkäufern der Südstaaten vorzuenthalten. Das österreichische Lorenz-Gewehr war eines der besseren und begehrteren europäischen Modelle.]
In der Benton-Kaserne war es auch, wo die Indienststellung des Regiments in die Streitkräfte der Vereinigten Staaten vollzogen wurde. Zu jener Zeit bestand ein Infanterieregiment aus zehn Kompanien, aber unseres verfügte nur über neun. Wir hatten keine Kompanie K und sollten eine solche erst im März 1864 erhalten. Da wir kein vollständiges Regiment darstellten, diente Colonel Fry (wie wir ihn nannten) lediglich als Lieutenant-Colonel und diesen Rang bekleidete er während seiner gesamten Zeit beim Regiment. Captain Simon P. Ohr aus Kompanie A wurde zum Major befördert. Aufgrund unseres Mangels an einer zehnten Kompanie und der Tatsache, dass wir diese erst erhielten, als die übrigen Kompanien bereits beträchtlich geschwächt waren, verfügte das Regiment bis zum Sommer des Jahres 1865 über keinen Offizier im Range eines Colonels. Von den Umständen, unter denen wir endlich einen Colonel bekamen, wird noch die Rede sein.
Kapitel III
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Aufbruch an die Front – Die Schlacht von Shiloh (März und April 1862).
Am 25. März verließen wir die Benton-Kaserne und machten uns auf den Weg an die Front. An jenem Tag marschierten wir durch St. Louis